Nationalcoach Joachim Löw:Sphinx mit professioneller Fassade

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"Irgendwann wird er wieder merken, dass es für ihn im Prinzip keinen besseren Job gibt": Bundestrainer Joachim Löw

(Foto: Getty Images)

Kurz vor dem Höhepunkt seiner Amtszeit erleben viele Begleiter Bundestrainer Joachim Löw als schwer durchschaubar. Sein Vertrag beim DFB läuft bis 2016 - aber über seine Zukunft entscheidet die WM.

Von Philipp Selldorf

Neulich im Trainingslager in Südtirol war Joachim Löw angeblich ärgerlich über den geballt negativen Tenor der Berichterstattung und über einige Auswüchse am Rande, weshalb er, so wird behauptet, eine stattliche Medienschelte plante.

Doch es hat dann keinerlei Medienschelte gegeben, stattdessen erzählte Löw "gut gelaunt", wie der kicker die Gemütslage analysierte, von den großen Fortschritten während des Beisammenseins in Tirol, und wahrscheinlich war eben diese betont positive Würdigung seine Art der Gegendarstellung zu den Schilderungen, die nicht nur in der Boulevardpresse zu finden waren: Wahlweise war von "Jogis Horror-Lager" oder von "Jogis Chaos-Camp" die Rede. Aber dass sich Löw deswegen wie Horror-Jogi aufführt, das ist nicht zu erwarten. Da steht er drüber.

Acht Jahre ist Löw, 54, schon der verantwortliche Bundestrainer, wieder erweist sich Deutschland als Hort der Stabilität in einer rasend sich drehenden Welt. Überall haben die Nationaltrainer, die Staatschefs und Ministerpräsidenten, sogar Könige und Diktatoren ihre Posten räumen müssen, weil das Volk es wollte. Aber in Deutschland dürfen Angela Merkel und Joachim Löw routiniert und jeweils mit gelassen beherrschtem Temperament weiterregieren.

Ob das Volk dies wirklich will, ist nicht ganz klar, aber es hat zumindest keinen Aufstand gemacht, als es Gelegenheit dazu hatte. Was nicht nur damit zu tun hat, dass sich die Deutschen traditionell schwer damit tun, ihre Anführer zu beseitigen. Nun aber könnte es eine Zäsur geben, nach diesem Sommer wird Angela Merkel womöglich allein regieren müssen. Viele Leute am Rande des Nationalteams sprechen jetzt von Endzeitstimmung. Zu spüren ist diese Abschiedsatmosphäre aber schon länger.

Irrtümlich als Wutrede berühmt geworden

Begonnen hat der Abschied womöglich mit jener Ansprache ans Volk, die damals irrtümlich als Wutrede berühmt wurde. In einem Veranstaltungszelt neben dem Frankfurter Stadion hatte Löw vor zwei Jahren im August seinen ersten öffentlichen Auftritt seit der Heimkehr von der EM, sechs Wochen lag damals die Halbfinal-Niederlage gegen Italien (1:2) zurück, und in diesen sechs Wochen hatte ihn das Volk nirgendwo gesehen und gehört. Es gab keine Interviews, keine Statements, keine Erklärungen. Und nun trat er an, um wohlvorbereitet seine Antworten auf die Vorwürfe zu geben.

Löw sprach sehr laut in das Mikrofon, mancher Zuhörer hatte das Gefühl, er werde angeschrien wie beim Ehestreit, aber eine Wutrede war das nicht. Es ging gar nicht um seine emotionale Erlösung. Der Bundestrainer argumentierte in der Sache. Auch den Herrschaften vom DFB-Präsidium hatte er zuvor einen Vortrag über die EM gehalten, der voller Wissenschaft steckte, aber frei war von persönlicher Betroffenheit. Statt den Kritikern Rache zu schwören, berichtete Löw von Statistiken über Torchancen und Torschüsse und die Laufleistungen der Spieler.

Beim DFB hat er mit dem Nachweis der Steigerungsraten Gehör gefunden, beim Volk eher nicht. Seit der EM, seit dem Italien-Trauma, hat sich bei Löws Gegnern der Konsens gebildet, dass dieser Trainer nicht dazu geeignet ist, ein Turnier zu gewinnen. Nach Auffassung der Kritiker steht die Niederlage gegen Italien 2012 in logischer Verbindung mit den Niederlagen gegen Spanien 2010 und 2008 und gegen Italien 2006.

Fußballturniere folgen nicht der Logik einer Fernsehserie

Vielleicht haben sie recht, wahrscheinlich aber nicht. Wahrscheinlich ist diese These sogar dummes Zeug, denn eine Serie von Turnieren folgt nicht mit der Logik einer Fernsehserie aufeinander. Aber in Wahrheit geht es ja gar nicht so sehr um sachliche Fragen, sondern um das Auseinanderleben im Laufe der Jahre. Symptome gibt es auf beiden Seiten.

Löw hat viel erreicht in den acht Jahren, aber er verteidigt sein gewachsenes Trainerwerk nicht, er äußert sich nicht mal dazu. "Er würde nicht sagen, dass er enttäuscht ist", erzählt ein enger Bekannter. Doch es ist wohl so, dass sich für Löw etwas verändert hat in den vergangenen zwei Jahren. "Bei der EM in Polen ist unglaublich viel kaputtgegangen", sagt der Vertraute. Nicht im Verhältnis zum DFB oder zu seiner Mannschaft, sondern im Verhältnis zum Job und dessen Begleiterscheinungen.

Manches, was ganz offiziell in der Umgebung der Nationalmannschaft passiert, "das ist nicht mehr Jogis Welt", heißt es. Aber es gibt keine Klagen darüber, Löw begnügt sich damit, häufiger als früher ein falsches Lächeln aufzusetzen, und sich ansonsten noch etwas mehr auf den Sport zurückzuziehen, auf das, was er wirklich schätzt. Dass er öffentlich ausfallend werden könnte - undenkbar.

Seine Vorgänger sind allesamt irgendwann an den Punkt gestoßen, an dem sie sich bewaffnen wollten. Jupp Derwall, ein gutmütiger Rheinländer, registrierte zu seinem eigenen Erstaunen Gewaltphantasien ("ich bin zum Kampf nicht geboren, aber ich kann auch mit dem Hammer reinhauen"). Sein Nachfolger Franz Beckenbauer war ein Meister der jähzornigen Entgleisung. 1986 in Mexiko gab es die berühmte Tirade gegen den mexikanischen Journalisten Miguel Hirsch, der über das rege Nachtleben der deutschen Spieler geschrieben hatte, woraufhin Beckenbauer schimpfte: "Diesen kleinen Mexikaner sieht man mit bloßem Auge doch gar nicht."

Und auf die Frage, warum er den Reporter nicht zur Rede gestellt habe: "Dann wäre er schon tot. Wenn man kurz zudrückt, dann gibt es den nicht mehr." Den italienischen Schiedsrichter Agnolin bezeichnete der Teamchef nach einem verlorenen Freundschaftsspiel als "gemeingefährlich" und als "Stinker", der möglicherweise "nichts im Kopf" habe. DFB-Staatsanwalt Kindermann ermittelte daraufhin, ob "verbandsschädigendes Verhalten" vorliege.

Journalisten nannte Beckenbauer "geistige Nichtschwimmer". Zeitzeugen erzählen, es sei alles in allem eine lustige Zeit gewesen, und 1990 wandelte ein etwas geläuterter, aber immer noch wilder und zynischer Beckenbauer als Weltmeister über den Rasen des Olympiastadions in Rom.

Berti Vogts hatte es schwer, seinen Zorn und seine Enttäuschung gewinnbringend loszuwerden, das gehörte zu den zahlreichen unglücklichen Aspekten seiner Amtsführung. Rudi Völler dagegen frischte durch den Wutanfall in Reykjavík seine Popularität auf. Schon bei der WM 2002 hatte er hin und wieder bemerkenswerte Ausbrüche, die seinem Seelenleben Beruhigung verschafften. Jürgen Klinsmann ließ es meistens nicht so weit kommen. Er zog vorher die nötigen Konsequenzen.

"Im Prinzip gibt es für ihn keinen besseren Job"

Joachim Löw verliert nicht die Fassung, wenn ihn etwas nervt. Hin und wieder klingt Unverständnis und ein Hauch von Verächtlichkeit durch wie neulich, als er bemerkte, er könne "nichts damit anfangen", wenn von ihm und seiner Mannschaft der Titelgewinn in Brasilien erwartet werde. "Ich kann schon sehr distanziert sein", hat er mal verraten, und so erleben ihn jetzt auch viele, die ständig mit ihm zu tun haben: Manchmal so distanziert und in sich zurückgezogen, dass er dem Alltag und den dafür getroffenen Verabredungen entrückt zu sein scheint.

Häufiger als früher erlebten ihn die Begleiter als schwer durchschaubar und rätselhaft. Hinter der professionellen, unverbindlichen Fassade schien er zur Sphinx zu werden.

Es war während der zwei Jahre seit der EM auch zu erkennen, dass die alte Gemeinschaft im DFB-Team nun zunehmend ein Eigenleben entwickelte. Die Personen, die das Unternehmen Nationalmannschaft betreiben, sind ja immer noch dieselben wie am Anfang: Löw, Hansi Flick, Andreas Köpke und Oliver Bierhoff; der schweizerische Chefscout Urs Siegenthaler und die Ärzte und Betreuer; selbst die zu Jürgen Klinsmanns Zeiten engagierten amerikanischen Fitnesstrainer sind Teil des Inventars geblieben.

Der Titelgewinn ist nach Löws Auffassung ohnehin Glückssache

Aber die Vertrautheit dieser Besetzung hat nun auch etwas Statisches und arg Gewohnheitsmäßiges. Flick wird nach dem WM-Sommer den Posten wechseln, er wird Sportdirektor beim Verband, man kann das als eine Emanzipation und eine Form des Absetzens ansehen. Es sieht nicht so aus, als ob Flick oder Bierhoff noch so nah an Löw herankommen wie früher. Es sieht auch nicht so aus, als wären sie sich in der Handhabung des Unternehmens noch so einig, wie sie es früher meistens waren.

Stattdessen sieht es so aus, als hätte dieser Betrieb eine Energiespritze nötig. Und das ist ja auch die zentrale Kritik, die aus der Fußballszene und selbst aus dem Kreis der Spieler kommt: dass der Cheftrainer Löw den Zug und die Führung und den ideologischen Antrieb vermissen lässt.

Ist ein Abdanken der Regierung Löw also unvermeidlich? Das weiß Löw selbst nicht, und es ist ihm in diesen Tagen auch völlig egal, weil er nach zwei Jahren des Wartens nun endlich auf den Höhepunkt seiner Amtszeit zugeht - auf die WM im gelobten Land des Fußballs. Vor ein paar Wochen, so sagen Kenner, waren die Indizien für den bevorstehenden Abschied noch erdrückend.

Jetzt sind sie sich nicht mehr so sicher, es gibt neue Indizien, seit Löw in den Turniermodus umgeschaltet hat. "Irgendwann wird er wieder merken, dass es für ihn im Prinzip keinen besseren Job gibt", sagt ein Kenner. "Mir ist wichtig, dass wir gut spielen, dass wir bei allem Ehrgeiz nicht den Spaß am Spiel verlieren, und dass wir den Leuten zu Hause gute Gründe liefern mitzufeiern", hat der Bundestrainer am Tag vor der Abreise zur WM gesagt.

Es klang, als lege er das Bekenntnis seiner Ansprüche ab. Der Titelgewinn ist nach seiner Auffassung ohnehin Glücksache. Löw bräuchte nichts zu tun, wenn er im Amt bleiben wollte, sein Vertrag mit dem Deutschen Fußball-Bund gilt bis 2016, und der Präsident Wolfgang Niersbach hat oft genug gesagt, dass er diese Bindung nicht aufkündigen werde. Am Ende aber wird diesmal wohl das Volk entscheiden.

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