Nadine Hildebrand bei der Hallen-WM:Morgens Gerichtssaal, abends Hürden

Nadine Hildebrand

Aktuelle deutsche Meisterin in der Halle: Nadine Hildebrand

(Foto: dpa)

Deutschlands derzeit beste Hürdensprinterin Nadine Hildebrand arbeitet halbtags in einer Anwaltskanzlei. Seit der Doppelbelastung läuft es für die 26-Jährige besser denn je - das weckt Hoffnungen für die Hallen-WM in Sopot.

Von Johannes Knuth

Die Gerichtsverhandlungen sind ein Problem. "Die kann ich natürlich nicht verlegen", hat die Rechtsanwältin Nadine Hildebrand festgestellt. Ansonsten hält es die 26-Jährige mit ihren Arbeitszeiten eher flexibel. Es kann schon einmal passieren, dass sie erst in der Kanzlei erscheint, wenn die Kollegen ihre Mittagspause verbringen. Denn die Rechtsanwältin Nadine Hildebrand geht zurzeit einem recht anstrengenden Zweitjob nach: dem Hürdensprint, derzeit bei der Hallen-Weltmeisterschaft im polnischen Sopot.

Hochleistungssportler in Deutschland sichern ihre Existenz meist als Sportsoldaten oder Polizisten, umso ungewöhnlicher ist der Weg von Hildebrand. Halbtags arbeitet die 26-Jährige als Anwältin in einer Stuttgarter Kanzlei, ihre Schwerpunkte: Transport- und Speditionsrecht. Die restliche Zeit verbringt Hildebrand als Hürdenläuferin, ihr Fachgebiet: nationale und internationale Spitze über die 100-Meter-Hürden. Seit rund einem halben Jahr verbindet sie Recht und Hürdensprint, und Hildebrand kann nicht behaupten, dass eine Tätigkeit unter der anderen leidet.

Im Gegenteil.

Nadine Hildebrand vom VfL Sindelfingen ist mehrfache deutsche Meisterin, in der Halle und im Freien. Sie hat bei Welt- und Europameisterschaften mitgewirkt, ihre Bestzeit über die 100-Meter-Hürden liegt bei sehr ordentlichen 12,85 Sekunden. Hildebrand, 1,58 Meter, galt aber auch lange als zu klein und zu langsam für die ganz großen Taten, die nationale Aufmerksamkeit gehörte meist Carolyn Nytra, der ehemaligen Hallen-Europameisterin.

Mit der viertschnellsten Zeit nach Sopot

Dann begann die aktuelle Hallensaison, Nytra fiel mal wieder verletzt aus, und Hildebrand lief plötzlich Zeiten über die 60 Meter Hürden, die in der jüngeren Zeitrechnung in Deutschland nur Nytra gelaufen war: 7,98 Sekunden, Bestleistung, zwei Wochen später 7,96 im Vorlauf von Karlsruhe, 7,91 im Endlauf - Weltjahresbestzeit -, kurz darauf noch eine 7,92 bei den Deutschen Hallenmeisterschaften in Leipzig, Platz eins. Zwar haben Branchenführerin Sally Pearson aus Australien und einige US-Läuferinnen Hildebrands Weltbestzeit mittlerweile unterboten. Doch wenn an diesem Freitag in Sopot die Hallen-WM beginnt, reist Hildebrand mit der viertbesten Empfehlung an. "Dass es so schnell wird", sagt sie, "hätte ich auch nicht gedacht."

Natürlich hat Hildebrand ein bisschen etwas dafür getan. Sie hat im Winter länger und härter trainiert, ihre Position im Startblock optimiert, sie hat mehr Sprints eingebaut, höhere Kraftwerte gewählt, ihr Trainer Werner Späth ist bekannt dafür, seinen Athleten große Umfänge zuzumuten. Trainingsplanung, das ist oft wie beim Kochen, es gibt viele Rezepte, wie man Tempoläufe, Krafteinheiten und Techniktraining kombiniert, aber man braucht ein paar Versuche, bis es Trainer und Athlet schmeckt. Bei Hildebrand hat dieser Prozess drei Jahre in Anspruch genommen. "Mittlerweile", sagt sie, "haben wir die richtige Mischung gefunden."

Nur Hürden? "Dann würde ich verblöden"

Es gibt Athleten, die sind mit Hochleistungssport durchaus ausgelastet, doch für die Hürdensprinterin Hildebrand war das nie eine Option. Seit vergangenem September arbeitet Hildebrand als Anwältin, "irgendwie muss ich Geld verdienen", sagt sie, klar, aber das ist nicht alles. Sie brauche etwas für Körper und Kopf, beides zusammen könne ihr der Sport nicht geben, findet sie: "Wenn ich außer Hürden nichts machen würde, würde ich verblöden."

Als Hildebrand auf Jobsuche war, lernte sie nebenbei Italienisch, um sich abzulenken. Auch jetzt, im Beruf, spüre sie keine Doppelbelastung. "Ich nehme keine Akten mit nach Hause", sagt Hildebrand, "ich kann gut abschalten. Ihr Arbeitgeber gibt ihr so viele Freiräume wie möglich. Angst, dass die Belastung mittelfristig zu groß werden könnte, hat sie keine.

Sie sagt: "Ich probiere es einfach."

Natürlich hat Hildebrand mit ihren Vorleistungen Erwartungen für die Hallen-WM geweckt, aber ihr Trainer bremst: "Wir sind froh, wenn wir das Finale erreichen." Viele Konkurrentinnen haben sich in der laufenden Hallensaison geschont, andere sind noch nicht gelaufen. Überhaupt herrscht eine merkwürdige Stimmung in der Sprintszene, spätestens, seitdem der Internationale Sportgerichtshof (Cas) vor kurzem die Dopingsperre von Sprint-Olympiasiegerin Veronica Campbell-Brown aufhob, eine Begründung lässt noch auf sich warten.

Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) bemängelt seit längerem lasche Dopingtests in Jamaika, zuletzt wurden sechs Sprinter erwischt, vor ein paar Jahren stand auch die Hürdenläuferin Delloreen Ennis-London unter Verdacht. "Was soll ich mich darüber aufregen? Ich kann daran nichts ändern", sagt Hildebrand, sie beteuert: "Für mich käme das nie in Frage. Ich möchte wissen, was mein Körper auf natürlichem Weg leisten kann." Für die WM Sopot bedeutet das: "Bestleistung, Finale." Und dann? "Am besten nicht Letzte werden", sagt Hildebrand. "Achter Platz im Finale, das sieht immer ein bisschen blöd aus."

Am Freitagabend qualifizierte sich Hildebrand mit sehr ordentlichen 7,98 Sekunden schon einmal fürs Halbfinale, mit der insgesamt achtbesten Zeit.

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