Nachwuchsarbeit im Fußball:Nestwärme schlägt Internat

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Bei der Junioren-WM 2005 wurde Messi als bester Jugendspieler ausgezeichnet. (Foto: AFP)

Lionel Messi ist die Ausnahme. Viele vermeintliche Wunderkinder kicken heute in unterklassigen Ligen. Die Erfahrungen der Nachwuchs-Förderer zeigen: Je älter ein Jugendlicher beim Wechsel zum Großverein ist, desto besser sind seine Chancen.

Von Philipp Selldorf

Als sich Marco Quotschalla vor einem Jahr beim Regionalligisten Eintracht Trier vorstellte, sagte er, es genüge ein Blick ins Internet, wenn man sich über ihn informieren wolle. "Eigentlich ist von A bis Z alles über mich geschrieben worden", stellte der 24-Jährige fest.

Tatsächlich war er bereits im Alter von zwölf Jahren eine Berühmtheit, obwohl er bloß den Fußballverein gewechselt hatte, und obwohl er dafür lediglich einen Fluss hatte überqueren müssen. Er ging von Leverkusen nach Köln, in seine Heimatstadt. Ein nationaler Vorfall von Skandal-Format wurde daraus, weil ihm der 1. FC Köln einen Acht-Jahres-Vertrag ausstellte.

"So wie die Lage einzuschätzen ist, verkauft hier ein Vater sein Kind. Eine andere Bezeichnung als Kinderhandel fällt mir nicht ein", empörte sich sein ehemaliger Trainer. Vater Norbert Quotschalla hatte den Vertrag für seinen Sohn unterschrieben. Für den FC erklärte der damalige Manager Hannes Linßen, der Klub habe die lange Laufzeit gewünscht, "damit ihn andere Vereine nicht bekommen". Denn natürlich lautete Quotschallas Zweitname in den Medien, nicht nur in der Boulevardpresse: "Wunderkind".

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Heutzutage sind beide essentiellen Fragen beantwortet: Es handelte sich nicht um einen Fall von Kinderhandel, aber es handelte sich auch nicht um ein Wunderkind. Quotschalla wurde kein Star, aber immerhin Profi-Fußballer. Bei Eintracht Trier ist er inzwischen Stammspieler in der Regionalliga Südwest, bei Alemannia Aachen kam er zu zwei Bundesliga-Einsätzen. Das ist nach den Erfahrungen von Bodo Menze mehr, als man damals überhaupt hat ahnen können. "Es ist unmöglich, zu erkennen, ob einer mit zwölf oder 13 Jahren jemals Bundesligaspieler werden kann", sagt Menze, 60, der mehr als zwei Jahrzehnte die Nachwuchsabteilung von Schalke 04 aufgebaut und geleitet hat.

Nach seiner Einschätzung ist der Import- und Exporthandel von jungen Talenten ein äußerst spekulatives und nur in Einzelfällen erfolgreiches Geschäft - ganz abgesehen von den moralischen und rechtlichen Aspekten. "Die Nestwärme der Familie ist durch nichts zu ersetzen, das gilt für die Zwölfjährigen und oft auch noch für die 18-Jährigen", betont Menze.

Bundesliga-Profis wie Neuer, Draxler, Höwedes, Matip, Ayhan, Pander, Hanke und Pinto waren Heimschläfer, als sie von der Kindheit bis zur Volljährigkeit in Schalke das Fußballspielen erlernt haben, und sie taten sich nach den Erkenntnissen des Vereins damit leichter als diejenigen, die in jungen Jahren ihr Zuhause verließen und ins Internat einrückten. "Häufiger haben es diejenigen geschafft, die in ihrem familiären Umfeld blieben, bei den Anderen ist die Quote nicht so hoch", sagt Menze.

Je älter sie beim Umzug sind, umso besser sind die Aussichten: David Alaba zum Beispiel kam mit 16 aus Wien nach München; Carlos Zambrano im gleichen Alter aus Peru nach Schalke. Pier Laraurri hingegen, der 2007 als 13-Jähriger aus Peru zum FC Bayern kam - als "Wiedergänger von Diego Maradona", wie es hieß - hatte Heimweh und verließ den Klub ein halbes Jahr später. Und auch für Dennis Krol, der mit 13 aus Leverkusen zum FC Barcelona ging, weil er den Katalanen bei einem Jugendturnier gefallen hatte, blieb der Karrieretraum unerfüllt. Nach fünf Jahren in der berühmten Barça-Akademie La Masía kehrte er heim. Heute spielt er beim Wuppertaler SV, Oberliga Niederrhein.

Wunderkinder sind meistens eine Erfindung der Regenbogenpresse. Lionel Messi war eines, als ihn der FC Barcelona 13-jährig aus Buenos Aires holte, den ersten Vertrag hat man angeblich auf einer Serviette niedergeschrieben. Aus Messi wurde bekanntlich ein großer Fußballer. Oft genug aber führt der Weg der angeblich Hochbegabten in die Vergessenheit. Oder ins Vagabundendasein.

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Freddy Adu machte Schlagzeilen, als er mit 14 Jahren Angebote von Manchester United und anderen Größen des europäischen Fußballs hatte und mit 15 Jahren in der nordamerikanischen Profiliga debütierte. Mit 16 bekam er einen Profivertrag bei Benfica Lissabon. Der portugiesische Klub hat ihn dann fünfmal an andere Vereine verliehen, nach Frankreich, Griechenland und in die Türkei, und nach einer weiteren Station in den USA ist er inzwischen in Brasilien gelandet.

Ein spezielles Wunderkind stellte sich 2008 in Gelsenkirchen unter dem Namen Nikon el Maestro vor. Der 13-Jährige kam mit seinem Bruder Nestor el Maestro vom FC Valencia. Der eigentliche Familienname der beiden lautete Jevtic, "el Maestro" war ein Künstlername, und der schien zwar kühn gewählt, aber angemessen zu sein für ein Kind, das mit fünf Jahren bei West Ham United in London, mit neun bei Austria Wien und mit elf beim Spitzenklub Valencia gespielt hatte.

Während der große Bruder Techniktrainer beim Proficoach Mirko Slomka wurde, kam Nikon in Schalkes U 13, und überall hieß es, der Trainerjob für Nestor sei nur Mittel zum Zweck, weil es der Klub auf den neuen Messi in seinem Gefolge abgesehen habe. Was aber nicht stimmte. "In den Anfängen war vom Wunderkind die Rede", erinnert sich Menze, "uns war aber klar, dass er das nicht war. Spätestens nach zwei Tagen hat es jeder sehen können." Das änderte sich auch nicht durch das ständige Sondertraining mit dem großen Bruder.

Nestor el Maestro hat Slomka nach Hannover und nun auch zum Hamburger SV begleitet, die spätere Profi-Karriere von Nikon gleicht einer Irrfahrt: Nach fruchtlosen Engagements in Österreich, Ungarn und Polen ist er in der zweiten serbischen Liga gelandet.

© SZ vom 04.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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