Nachwuchsarbeit bei 1860 München:Heimliches Bankinstitut in Gefahr

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Neben der ehemals vereinseigenen Fanartikel-Firma ist die Nachwuchförderung die einzige wirklich lukrative Sparte beim TSV 1860 München - jetzt soll der Etat deutlich gekürzt werden. Der Chef des Jugendleitungszentrums findet die Situation "belastend", sein Budget könnte sich bald mehr als halbieren.

Philipp Schneider und Wolfgang Wittl

Die Idee war nicht schlecht. Die Idee wird bald neun Jahre alt. "Es kann nicht das Ziel sein, Spieler mit 22 zu holen", sagte Reiner Maurer im Juli 2003. Die Mannschaft solle jünger werden. Moderner. Profitabler. Reiner Maurer sagte dies als Trainer der neugeschaffenen U23-Mannschaft des TSV 1860 München, dessen erste Mannschaft damals in der Bundesliga spielte.

Lars Bender (links im Bild) wurde 2009 nach Leverkusen verkauft. (Foto: Johannes Simon/Getty Images)

Auch Ernst Tanner wollte kein Geld mehr für fertige Spieler ohne Aussichten ausgeben: "In Perspektivspieler kann man durchaus investieren", sagte Tanner, damals Chef des Jugendleistungszentrums bei 1860, nur "nicht in Leute, die gerade mal Bayernliga- oder Regionalliganiveau haben". Tanner ist längst weg. Inzwischen ist er Sportlicher Leiter des Bundesligisten TSG Hoffenheim. Tanners Idee, sie funktionierte. Und zwar vortrefflich. Doch sie ist in Gefahr.

Im großen Wirrwarr der gegenwärtigen Kabalen, Intrigen und Machtkämpfe beim TSV 1860 München war jene Äußerung fast untergegangen, die Geschäftsführer Robert Schäfer im Trainingslager von Belek/Türkei lanciert hatte: Demnach solle das Saison-Budget des Nachwuchses von derzeit um die 1,5 Millionen Euro "deutlich heruntergefahren" werden, sagte Schäfer. Die Rede ist von bis zu einer Million Euro. Am Montag ließ Schäfer wissen, noch würden Gespräche geführt, endgültig festgemacht werde das neue Budget erst Ende März.

Marktwert: 56 Millionen Euro

In den vergangenen neun Jahren war der aufgerückte Nachwuchs das heimliche Bankinstitut des Klubs: Talente wurden zu großen Spielern. Große Spieler wurden verkauft. Erlöse stopften Haushaltsdefizite. Es war das immergleiche Spiel: Den Auftakt bildete Andreas Görlitz, 2004 wurde er für 2,5 Millionen Euro an den FC Bayern verkauft, inzwischen spielt er zwar beim Zweitligisten Ingolstadt, doch einst füllte er die Kassen.

Für 650.000 Euro wechselte Martin Stranzl zum VfB Stuttgart, nun spielt er beim Meisterschaftskandidaten Mönchengladbach. Stranzls Marktwert, wenn auch virtuell: drei Millionen Euro. Im Rekordjahr 2009 zogen in den Bender-Zwillingen und Timo Gebhart Spieler mit einem Gesamtwert von rund 7,5 Millionen Euro in die erste Liga. Inzwischen sind sie 27 Millionen Euro wert. Mit Sven Bender erzielte Sechzig jedoch keinen Erlös, er wurde unter dem damaligen Sportchef Miki Stevic getauscht - gegen Antonio Rukavina.

Bender ist deutscher Meister, Rukavina ein passabler Zweitliga-Rechtsverteidiger. Als bislang letzten Spieler verkaufte 1860 vergangenes Jahr Kevin Volland für 600.000 Euro an Hoffenheim - und lieh ihn sich kostenfrei zurück. Volland spielte großartig auf. Im Sommer wird er gehen. Sein Wert laut transfermarkt.de: 2,5 Millionen Euro.

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Außer der ehemals vereinseigenen Fanartikel-Firma, die gerade an 1860-Investor Hasan Ismaik verkauft wurde, war die Nachwuchsabteilung des Klubs die einzige lukrative Sparte. Nun soll ihr Budget eingekürzt werden, um künftig den Finanzhaushalt ausgeglichener zu gestalten. Nach Schätzungen von Robert Reisinger, Fußball-Abteilungsleiter des e.V., hat der Verkauf selbst ausgebildeter Spieler dem Verein seit dem Abstieg im Jahr 2004 etwa 20 Millionen Euro eingebracht.

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Und Sportlich könnte sich eine Elf, zusammengestellt aus den Benders, Christian Träsch, Peniel Mlapa, Moritz Leitner, Timo Gebhart, Marcel Schäfer, Kevin Volland und anderen, in einem guten Jahr um einen internationalen Startplatz bewerben. Der aktuelle Marktwert dieses Teams liegt bei 56 Millionen Euro. Im Zuge der Einigung zwischen e.V. und Investor Hasan Ismaik vereinbarte man ein Finanzierungsmodell, das nun so etwas wie die Idee für die Zukunft sein soll: Ismaik, der vor seinem Einstieg bei 1860 explizit die "sehr gute Jugendarbeit" der Löwen lobte, vergibt nun Darlehen an die KGaA, zu fünf Prozent Zinsen.

Das Geld kann in neue Spieler investiert werden, und sollten diese verkauft werden, fließen 50 Prozent der Transfererlöse zurück an Ismaik. Am Montag erst ging eine Absage von Hoffenheims Andreas Ibertsberger bei 1860 ein, die Sportliche Leitung des Zweitligisten hätte den variablen Abwehrspieler gerne verpflichtet, als Alternative für den Formschwankungen unterworfenen Linksverteidiger Arne Feick.

Ibertsberger ist ein fertiger Spieler, ohne realistische Aussicht auf Steigerung seines Marktwerts, den 29-Jährigen plagen anhaltende Rückenbeschwerden. Ibertsberger ist der Gegenentwurf zu Ernst Tanners ursprünglichem Nachwuchskonzept. Selbst wenn er ablösefrei gewechselt wäre.

Auf Erlöse angewiesen

Jürgen Jung, Tanners Nachfolger, empfindet die derzeitige Situation als "belastend". Schon 2011, als der Etat der Nachwuchsabteilung erstmals gekürzt wurde, warnte Jung: Weitere Einsparungen gingen an die Substanz - dabei ist 1860 immer noch auf Transfererlöse angewiesen.

Der Etat lag einmal bei mehr als zwei Millionen Euro, dann wurde er gekürzt auf deutlich unter zwei Millionen Euro. Nun soll es um Einsparungen offenbar im hohen sechsstelligen Bereich gehen. Weitere Kürzungen beim Nachwuchs könnten dazu führen, dass irgendwann kein Talent mehr verkauft werden muss - das dann ohnehin nicht mehr da ist.

© SZ vom 24.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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