Nacht-Slalom in Schladming:Mit dem Rücken zur Fröhlichkeit

Felix Neureuther scheidet zum dritten Mal in diesem Winter aus und wirkt plötzlich ratlos. Zwei Wochen vor der WM in St. Moritz zeigt sich erneut, wie sehr die deutschen Alpinfahrer von der Form ihrer wenigen Spitzenkräfte abhängen.

Von Johannes Knuth, Schladming

Felix Neureuther war jetzt doch ein wenig besorgt. Er kam nicht mehr voran. Er war umspült von einem Meer an Autogrammjägern, nach dem Slalom am Sonntag in Kitzbühel. "Hoffentlich", scherzte er, "schaffe ich es rechtzeitig nach Schladming", zum nächsten Slalom-Termin am Dienstagabend. Seine Umfragewerte sind in Österreich ja längst in schwindelerregende Höhen geklettert, spätestens, seit Neureuther sich im österreichischen Fernsehen vor zwei Jahren nach einem Slalom selbst interviewte. Der Moderator hatte den Termin verschwitzt.

Neureuther traf am Dienstag dann aber doch noch rechtzeitig in Schladming ein. Als er zum ersten Lauf ins Starthaus kroch, hielt ein Anhänger ein Schild in die Kamera, "Felix, auch wir Österreicher lieben dich", als sei es ansonsten ein abwegiger Gedanke, den Nachbarn Zuneigung zu schenken. Neureuther ist jedenfalls immer so, wie er ist, egal in welcher Lage, das spüren die Menschen. Auch bei einem Nachtslalom in Schladming mit 44 000 Zuschauern und der karnevalesken Stimmung drumherum, wo die Österreicher ungeniert Österreicher sind. "Man muss sich nur umschauen", sagte Neureuther, nachdem er am Dienstag den Applaus des Publikums entgegengenommen hatte, "deswegen macht man das Ganze. Ein Traum."

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Ziemlich neben der Spur: Felix Neureuther nach seinem Aus in Schladming.

(Foto: Dominic Ebenbichler/Reuters)

Für Neureuther blieb es in Schladming bei diesem flüchtigen Moment der Freude; ansonsten glich seine Stimmung der frostigen Nacht. Während der Norweger Henrik Kristoffersen und Österreichs Marcel Hirscher ihr Privatduell fortsetzten, unter Ausschluss der Konkurrenz - Kristoffersen, 22, gewann, es war sein 15 Sieg im Weltcup -, stand Neureuther in Ziel, mit dem Rücken zur Fröhlichkeit. Sein erster Lauf, den er als Achter abgeschlossen hatte, sei eine "Katastrophe" gewesen, sagte er. Das Material war falsch justiert, "ich konnte keinen runden Schwung fahren." Und als er im zweiten Lauf einen Schwung zu früh eröffnete, "hat's schon peng gemacht". Neureuther kullerte in den Tiefschnee, es war sein dritter Ausfall der Saison. Er zog sich zudem eine Kapselzerrung im linken Knie zu, über seinem Start am kommenden Sonntag beim Riesenslalom in Garmisch schwebt ein kleines Fragezeichen.

Neureuther war im Slalom zuletzt Zweiter, Vierter, Dritter und Sechster geworden, der Kontakt zum Podium ist etwas abgerissen. Und so schoben sich in Schladming, nach dem letzten Slalom vor der WM in zwei Wochen, einige Wolken ins Bild. "Ich muss beim Material jetzt irgendwie die Nadel im Heuhaufen finden", sagte Neureuther. Er klang plötzlich ziemlich ratlos.

Der alpine Skisport ist oft schön und frustrierend zugleich, die perfekte Abstimmung an einem Tag kann am nächsten schon wieder die falsche sein. Weil Hang, Wetter und Form sich wandeln, weil der Fahrer plötzlich zweifelt, ob er seinen Instinkten noch die Kontrolle überlassen kann. Neureuther tüftelte mit seinem Ausrüster zuletzt eifrig im Training am Material, in den vergangenen Jahren war das nicht immer so gewesen, der malade Rücken. Wenn das Zusammenspiel von Ski, Platte, Bindung und Schuh passt, ist er noch immer siegfähig, aber wenn ein Rädchen nicht greift, knirscht das ganze System. Und derzeit knirscht es wieder lauter. "Es liegt noch viel Arbeit vor uns", sagte Neureuther in Schladming, Details behielt er für sich. Man verwalte ein Defizit, bestätigte Alpindirektor Wolfgang Maier, "aber warum sollen wir die Nadel im Heuhaufen nicht finden?" Neureuther beteuerte, trotz aller Hausaufgaben, "entspannt" zur WM anzureisen. "Die Favoriten sind die anderen", sagte er in Schladming, er beschloss: "Das ist eigentlich genau mein Ding."

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Plötzlich der beste deutsche Slalom-Fahrer: Stefan Luitz, gemeinhin eher bekannt für seine Auftritte im Riesenslalom.

(Foto: imago)

Das stimmt - und dennoch werden sie im Deutschen Skiverband mit etwas Bauchgrummeln nach St. Moritz weiterziehen, nach Abfahrt und Riesenslalom am kommenden Wochenende in Garmisch-Partenkirchen. Ihre Spitze ist ja weiter dünn bestückt, noch ein wenig dünner als in den vergangenen Wintern. Neureuther (und Viktoria Rebensburg bei den Frauen) sind jederzeit befähigt, eine der zwei Einzelmedaillen zu beschaffen, die sich der DSV bei der WM wünscht. Aber falls sie ausfallen oder sich in Unsicherheiten verheddern (wie Rebensburg zuletzt im Riesenslalom), rückt niemand auf. Weil die Führungskräfte für den Rest der Saison im Krankenstand sind (Fritz Dopfer) oder erst noch für höhere Aufgaben geschult werden.

Einer dieser Ressortleiter in Ausbildung ist Linus Straßer. Der 24-Jährige findet sich nach einem "schludrigen" Vorwinter (Straßer über Straßer) wieder beständig unter den besten 30 ein; in Schladming wurde er 16. Ein anderer ist Stefan Luitz, als 14. bester Deutscher in Schladming. Er ist in den vergangenen Wochen unerwartet als Zugang zur Slalom-Abteilung gestoßen. Luitz ist eigentlich ein Spezialist für den Riesenslalom, in den vergangenen drei Jahren probierte er erfolglos, sich ein zweites Geschäftsfeld im Slalom zu erschließen. Und jetzt? Wurde er im Januar im Weltcup bislang: Zehnter, Achtzehnter, Vierzehnter, er wird den DSV bei der WM wohl in beiden Techniksparten vertreten. Der vierte Slalom-Platz dürfte Dominik Stehle zufallen. "Ich bin überzeugt, dass wir mittelfristig mit den jungen Leuten eine gute Mannschaft aufbauen", sagte Maier. Die werde irgendwann auch auf dem Podium stehen.

Nur im Jetzt gibt weiter Neureuther vor, ob es ein guter oder nicht so guter Arbeitstag für den DSV war.

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