Nachruf zum Tod Erhard Wunderlichs:Bester Handballer, umstrittener Mensch

Als Spieler unumstritten der Beste, als Persönlichkeit nicht von allen geliebt. Erhard Wunderlich, der deutsche "Handballer des Jahrhunderts", ist im Alter von 55 Jahren seinem Krebsleiden erlegen. Die Reizfigur gewann mit seinem Verein VfL Gummersbach und der deutschen Auswahl nahezu alles - nach seiner Zeit als Aktiver tat er sich schwerer.

Martin Mühlfenzl

Nicht immer lässt sich nachweisen, dass große Sportler auch große Persönlichkeiten sind. "Der Sepp war der größte Angriffsspieler den wir je hatten", urteilte einst Heiner Brand über die sportlichen Leistungen jenes Rückraumspielers, mit dem er im Jahr 1978 in Kopenhagen das Finale der Handballweltmeisterschaft gegen das Team der Sowjetunion gewann.

"Der Sepp ist kein sportliches Problem, sondern ein menschliches", befand indes der ehemalige Kapitän der Nationalmannschaft, Uli Roth, über seinen Mitspieler - ein Urteil, das nicht jeder teilt und dennoch exemplarisch für eine Persönlichkeit steht, an der sich viele reiben konnten: Erhard Wunderlich.

Der Weltmeister von 1978 erlag am Donnerstag in einem Kölner Krankenhaus im Alter von 55 Jahren einem Krebsleiden. Der Sepp, so haben ihn seine Teamkollegen und Freunde genannt, gehört noch heute zu den herausragenden und prägenden Figuren des deutschen Handballsports - wie Heiner Brand, Joachim Deckarm und der ehemalige Nationaltrainer Vlado Stenzel. Gemeinsam stehen diese vier für eine der größten sportlichen Erfolgsgeschichten im deutschen Handball: den Triumph von Kopenhagen.

Dass nun einer aus diesem Quartett nach langem Kampf gegen den Hautkrebs endgültig gegangen ist, hinterlässt bei Heiner Brand tiefe Spuren der Betroffenheit. "Ich war sehr geschockt, als ich das gehört habe", sagt Deutschlands Weltmeistertrainer von 2007 - und wiederholt noch einmal, welche Bedeutung Wunderlich für den deutschen Handball hat: "Sepp war im Angriff das größte Talent, das wir je in Deutschland hatten. Er besaß ein unglaubliches Potenzial."

Sportliche und physische Anlagen, die auch zu Erfolgen in anderen Sportarten hätten führen können. Das handballerische Talent hat der am 14. Dezember 1956 geborene Wunderlich vom Vater geerbt, der selbst am Ball Erfolge feiern konnte - als einer der besten bayerischen Feldhandballspieler. Der Sohn lässt seiner Neugier zunächst freien Lauf, spielt Handball, Fußball, Basketball und Eishockey - und entscheidet sich erst mit 14 endgültig für den Handballsport.

In einem Testspiel seines Heimatvereins FC Augsburg gegen den Erstligisten und Traditionsverein VfL Gummersbach wird dessen Obmann Eugen Haas auf das damals 19-jährige Talent aufmerksam und holt Wunderlich nach Nordrhein-Westfalen in die Bundesliga. Es folgt eine beispiellose und von dauerhaftem Erfolg gekrönte Karriere. Es ist nicht nur die Größe, die Wunderlich auf seiner Position im linken Rückraum Vorteile verschafft: 2,04 Meter ist der gebürtige Augsburger groß. Wunderlich ist zugleich einer der herausragenden Techniker des deutschen Handballs, ausgestattet mit einem hohen Maß an Kreativität, Übersicht und Ideenreichtum - ein Spielertypus, auf den auch ein Nationaltrainer nicht verzichten kann.

Im Jahr 1976 - kurz nach seinem Wechsel nach Gummersbach - debütiert er im Nationalteam gegen die Auswahl Rumäniens. Die sieben Jahre in Gummersbach - von 1976 bis 1983 - werden die erfolgreichsten seiner Karriere, eine Ära von Titelgewinnen und Auszeichnungen: Zwei deutsche Meistertitel, vier Mal DHB-Pokalsieger, der Gewinn des IHF-Pokals, zwei Siege im Europapokal der Pokalsieger und als Krönung der Triumph im Europapokal der Landesmeister mit dem VfL 1983. Danach entscheidet sich Wunderlich zu einem radikalen Schritt: Dem Wechsel zum FC Barcelona.

Deutschlands bester Handballer folgt dem Geld

Deutschlands bester Handballer folgt dabei nicht seinem Herzen, sondern dem Kopf. Er wolle nicht nach der aktiven Laufbahn vom Wohlwollen großzügiger Mäzene abhängig sein, sagt Wunderlich; Barcelona verspricht dank eines Vierjahresvertrags und eines Gehalts von 2,5 Millionen Mark die finanzielle Absicherung. Doch Wunderlich kehrt Spanien bereits nach einem Jahr wieder den Rücken - und folgt doch dem Ruf eines Mäzens. Ulrich Backeshoff, Münchner Unternehmer und Finanzier des damaligen Münchner Zweitligisten TSV Milbertshofen, unterbreitet Wunderlich ein ebenfalls lukratives Angebot. Sechs Jahre - von 1984 bis 1989 - spielt der Rückraumspieler für den TSV; allein die großen sportlichen Erfolge bleiben aus.

Nicht so im Trikot der Nationalmannschaft. So tief der Frust bei Wunderlich und seinen Nationalmannschaftskollegen über den Boykott der Olympischen Spiele 1980 in Moskau sitzt, so groß ist die Vorfreude auf die Spiele in Los Angeles vier Jahr später - sechs Jahre nach dem WM-Gewinn. Noch einmal prägt Wunderlich das Spiel der deutschen Auswahl, führt sie bis ins Finale des olympischen Wettbewerbs und, nach der Niederlage gegen Jugoslawien, zu Silber.

Doch werden große Sportler auch große Trainer oder Funktionäre? Erhard Wunderlich wagt nach seinem Karriereende als aktiver Spieler den Einstieg in das Management des TSV Milbertshofen. In diese Zeit fällt der Gewinn des Europapokals der Pokalsieger - der letzte große Triumph des Münchner Traditionsvereins.

Von deutlich weniger Erfolg geprägt ist Wunderlichs anschließende Zeit als Manager und Trainer beim VfL Bad Schwartau; nach nur einem Jahr wird er entmachtet - und zieht sich in der Folge immer mehr aus dem Handballsport zurück. Ganz loslassen aber kann auch Erhard Wunderlich nicht und nimmt - meist bei Spielen der deutschen Nationalmannschaft - die Position des Kritikers aus dem Hintergrund ein. Seine wenig zurückhaltende Art der Meinungsäußerung führt dazu, dass der Vorstand der deutschen Handball-Bundesliga 2005 eine erst kurz zuvor begonnene Zusammenarbeit mit Wunderlich kurzerhand wieder beendet.

Den Blick auf seine aktive Zeit aber können diese Differenzen bis heute nicht trüben. Erhard Wunderlich ist Deutschlands Handballer des Jahrhunderts - ein "Jahrhundertereignis", wie die Süddeutsche Zeitung 1999 titelt. Der Sepp hinterlässt seine Frau Pia und zwei Kinder, Pia hatte zwei weitere Kinder in die Ehe gebracht. Er wird unvergessen bleiben - als Sportler und Persönlichkeit.

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