Nachruf von Ludger Schulze:Max Merkel: Der Wiener Raunzer

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Keiner hatte so viele Fußball-Sprüche auf Lager wie Max Merkel. Die Bundesliga verliert nicht nur einen Trainer, sondern einen Typen mit Unterhaltungswert.

Ludger Schulze

Seine besten Trainerjahre hatte Max Merkel Mitte der Sechziger bei 1860 München, und die hätten noch viel besser sein können, wenn einige seiner begabtesten Spieler nicht den Hang zu einer subjektiv spaßfördernden, objektiv aber leistungsmindernden Lebensweise gehabt hätten.

Der Versuch, die Schluckspechte um den genialen Regisseur Hennes Küppers und den in Strafraumnähe mörderisch gefährlichen Mittelstürmer Rudi Brunnenmeier zu bekehren, scheiterte allerdings kläglich; im Training ließ er die Dauergäste der Bier-und-Schnaps-Kneipe ,,Zwickmühle'' gegen die braven Ab-stinenzler spielen: ,,Die Alkoholiker haben 8:1 gewonnen'', sagte Merkel, ,,do hob i g'sagt: Sauft's weiter!''

Später hat er es dann noch einmal probiert, Küppers und Brunnenmeier zu sich nach Hause eingeladen, mit Gumpoldskirchner vollgetankt und am nächsten Morgen bis zur Nullpromillegrenze um den Platz gehetzt, half alles nichts.

Meister wurden sie trotzdem 1966 mit rauschhaftem Angriffsfußball, den Resultate wie 9:0 gegen den Karlsruher SC, 9:2 gegen den Hamburger SV oder 6:1 gegen Borussia Dortmund krönten. Max Merkels hatte enormen Anteil am Erfolg der ,,Löwen'', die obendrein noch DFB-Pokalsieger (1964) und Finalist im Europapokal der Pokalsieger (0:2 gegen West Ham United) wurden. In einer Zeit, in der Fußballtrainer in aller Regel liebenswerte Papis mit Opel Kapitän und Pepitahut waren, ist Merkel der erste Profi auf der Bank gewesen. Als er 1961 nach einer durchaus nicht erfolglosen Periode als holländischer Bondscoach bei 1860 anheuerte, fand er eine überalterte, an guten Tagen durchaus ansehnlich spielende Freizeitkicker-Mannschaft vor.

Merkel krempelte nicht nur die Mannschaft um, sondern den ganzen Verein gleich mit. ,,Hier musste man erst mal mit der Machete einen Pfad durch den Fußball-Urwald schlagen'', sagte er. Das ist vielleicht eine Anspielung auf den altersmilden Vereinspatriarchen Adalbert Wetzel (,,Man darf die Flinte nicht in den Korn werfen'') gewesen, der sich einst als Abenteurer durch den südamerikanischen Dschungel geschlagen hatte, nun aber Merkel schalten und walten ließ, wie der wollte. Merkel schuf eine fulminante Elf, die aus schier aussichtsloser Lage die Qualifikationskriterien über den Haufen stürmte und triumphal in die neugegründete Bundesliga einzog (1963).

"Ein harter Hund"

Ihm gelang es, knorrige Altbayern wie den Stopper Alfons ,,Fonsä'' Stemmer und egozentrische Zugereiste wie den filigranen Techniker Küppers oder den artistischen Torwart Petar ,,Radi'' Radenkovic zu einer funktionierenden Zweckgemeinschaft zu verschweißen. Zeitweise hatte 1860 sechs Nationalspieler - Fredi Heiß, Küppers, Brunnenmeier, Peter Grosser, Friedhelm ,,Timo'' Konietzka und Hans Rebele - für, nach damaliger Aufstellung, fünf Stürmerpositionen im Kader: Merkel brachte das Kunststück fertig, dass sie mit- und nicht gegeneinander spielten.

Dass er ,,ein harter Hund'' gewesen sei, ist eher eine sanfte Untertreibung. Einmal hieß er seine Löwen-Spieler, zur Nackengymnastik minutenlang den Kopf von links nach rechts kreisen zu lassen, und auf die Frage eines genervten Kickers, wozu das gut sei, antwortete er: ,,Des macht's, falls euch amal jemand fragt, ob Ihr Fuaßboi spuin kennt's.'' Max Merkel konnte gnadenlos sein wie ein Sklavenaufseher, seine Spieler waren - mit zwei, drei Ausnahmen eben - topfit. Er verpflichtete den seinerzeitigen deutschen Meister im Kugelstoßen, Dieter Urbach, als Konditionstrainer, eine Maßnahme, die so ungewöhnlich wie ertragbringend war. Merkel führte als Erster die obligatorische Fußpflege für die Spieler ein und befahl zum Schutz gegen die Winterkälte das Tragen von Strumpfhosen. Und er sorgte dafür, dass seine Männer auch ordentlich entlohnt wurden, freilich nicht so üppig wie er selbst. Der Mann war eben Profi, und ,,ein Segen für 1860'', wie der brillante Techniker Peter Grosser später feststellte.

Max Merkel stammte aus Wien, und den Wiener in sich hat er niemals verleugnet. Bei Rapid durfte er neben dem großen Ernst Happel Verteidiger spielen. Später wurde oft behauptet, die beiden Trainer-Koryphäen seien Geistesverwandte gewesen. Falsch, sie konnten überhaupt nicht miteinander. Happel war fußballerisch ein künstlerischer Abwehrstratege, Merkel ein vierschrötiger Knochenschrubber. Einmal, bei einem Gastspiel in Paris, fetzten sie sich derart, dass sie gleichzeitig beleidigt das Spielfeld verließen, der eine links, der andere rechts. Zum endgültigen Zerwürfnis kam es, als Merkel den leicht verlebt aussehenden Kollegen so charakterisierte: ,,Happel wirkt wie Beethoven in der Endphase.'' Gemeinsam hatten sie lediglich das Wiener Gemüt, das seinem Lebensüberdruss in sarkastischem, oft die Grenzen des Zynismus' überschreitenden Geraunze Ausdruck gibt. Und den Erfolg als Meistertrainer.

Nachdem er sich mit dem Star-Löwen Petar Radenkovic, der gegen die Trainer-Diktatur aufbegehrte, ein Handgemenge geliefert hatte, musste Merkel 1860 verlassen. Er ging zum 1. FC Nürnberg - und wurde 1968 auf Anhieb Meister. Mit dem Hinweis, der Schatzmeister habe sich mit dem Rücken gegen die Stahltüre stemmen müssen, damit die Banknoten nicht herausgequollen wären, konterte Merkel Kritik an seinem Einkommen, das schon zum Münchner Bundesligastart bei astronomischen 11000Mark monatlich gelegen hatte. Lange ging es nicht gut in Nürnberg, schon im folgenden Jahr stieg der Club ab, und Merkel hatte seinen Ruf weg als Schleifer, der eine Mannschaft kurzfristig zum Erfolg treibt, sie dabei aber völlig auslaugt.

Das hat in Spanien, wohin Merkel 1969 wechselte, zunächst niemanden gestört. Beim FC Sevilla, sagte Merkel, habe er ,,die schönste Zeit'' verbracht, mit Atletico Madrid wurde er Pokalsieger und sogar Meister, allerdings am Tag nach dem Titelgewinn wieder entlassen - weil er angeblich die Verdienste aller anderen Beteiligten nicht entsprechend gewürdigt hatte. Das relativierte seine Liebe zum Land: ,,Spanien ist ja ganz schön, aber da sind so viele Spanier da.''

Danach tingelte Merkel wieder durch die Bundesliga, aber unverkennbar ging's bergab; von seinem Engagement (1978) beim österreichischen Verband, wo er gehen musste, weil er die Spieler immer verwechselte, blieb nur ein Spruch zurück: ,,Das einzige, was beim ÖFB funktioniert, ist die Mittagspause.'' Anschließend landeten die Verhöhnten bei der WM einen historischen Sieg (3:2) gegen Deutschland. Das ändert nichts daran, dass Max Merkel ein großer Trainer war und ein polterndes Original zu einer Zeit, als die Bundesliga noch Querköpfe vertrug. Max Merkel ist Dienstag daheim in Putzbrunn gestorben. In neun Tagen wäre er 88 geworden.

© SZ vom 30.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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