Nachruf:Ein Bild fürs Fotoalbum

Ein Hundebiss und ein Sieg im Europapokal - zum Tod des Fußballtrainers Friedel Rausch, der Eintracht Frankfurt 1980 zum Triumph im Uefa-Cup führte.

Von Christof Kneer

Auf die Narbe ist Friedel Rausch nicht stolz gewesen, auch wenn sie ihn berühmt gemacht hat. Stolz war Rausch viel lieber darauf, dass Ernst Kuzorra einmal bei seinen Eltern im Wohnzimmer saß, um den Vater zu überreden, den jungen Friedel vom Meidericher SV nach Schalke wechseln zu lassen. "Mein Vater war natürlich auch Schalker", hat Friedel Rausch mal erzählt, "und dann der große Kuzorra im Wohnzimmer: Das hat mein Vater nie vergessen!"

In der Nacht auf Samstag ist Friedel Rausch im Alter von 77 Jahren gestorben. Nicht nur auf Schalke trauern sie jetzt um ihren ehemaligen Spieler und Trainer, das ganze Bundesliga-Land hat am Wochenende eine seiner historischen Figuren verloren. Man tut Friedel Rausch nicht Unrecht, wenn man seine Geschichte immer mit dem 6. September 1969 beginnen lässt, jenem Tag, der Friedel Rauschs Bild für alle Zeiten im großen Bundesliga-Album verewigt. Bei dem Bild handelt es sich um ein Schlachtengemälde in Schwarzweiß, in der Mitte Friedel Rausch. Wer die Geschichte hinter dem Bild nicht kennt, könnte meinen, Rausch rufe etwas, er sei vielleicht zornig oder empört, über eine Schiedsrichter-Entscheidung womöglich, aber man muss nur etwas genauer hinschauen. Friedel Rausch hatte wahnsinnige Schmerzen. Rechts hinter ihm im Schlachtengemälde sieht man Rex, den Schäferhund, der Rausch an jenem 6. September 1969 mit großer Leidenschaft in den Hintern biss.

Friedel Rausch war ein erfolgreicher Trainer, sein größter Erfolg war der Uefa-Cup-Sieg mit Eintracht Frankfurt 1980. In einem innerdeutschen Finale setzte sich die Eintracht in zwei Spielen gegen die Gladbacher Borussia durch, die von einem jungen Trainer namens Jupp Heynckes trainiert wurde. Rausch hat gern die Geschichte erzählt, wie er im Rückspiel in der 77. Minute den Stürmer Fred Schaub für Norbert Nachtweih einwechselte, "die Leute haben gepfiffen, die haben das nicht verstanden". Erzählt hat Rausch die Geschichte mit dem verschmitzten Lächeln des Zeitzeugen, der die Pointe kennt.

Friedel Rausch ist verstorben. U.B. zeigt : Bor. Dortmund - FC Schalke 04 06.09.1969. Ausschreitungen im Dortmunder Stadion 'Rote Erde' in deren Verlauf der Schalker Friedel Rausch vom Hund eines Ordners gebissen wurde.

Sein berühmtester Moment als Spieler: Friedel Rausch wird 1969 als Schalker im Derby gegen Dortmund von einem Schäferhund in den Po gebissen.

(Foto: Horstmueller)

Drei Minuten nach seiner Einwechslung erzielte Fred Schaub das Siegtor.

Friedel Rausch hat früh akzeptiert, dass er solche Geschichten immer selber erzählen muss, damit sie jemand hört. Wenn die Leute ihn an seinem Alterssitz am wunderschönen Vierwaldstätter See in der Schweiz getroffen haben, haben sie ihn selten nach Fred Schaub gefragt oder nach dem zweiten Platz, den Rausch 1994 mit dem 1. FC Kaiserslautern belegte. Manchmal haben sie ihn noch nach dem FC Luzern gefragt, mit dem Rausch 1989 Schweizer Meister wurde, es hat Rausch schon gut getan, wenn die Leute sagten: Grüezi, Herr Rausch, mit Ihnen war's damals besser! Aber als Nächstes kam dann schon die Frage: Und wie war das damals eigentlich mit dem Hund?

"Timo Konietzka hat mal zu mir gesagt: ,Ich werde für immer der mit dem ersten Bundesliga-Tor sein, und du bist für immer der mit dem Hund'": Solche Sätze konnte Friedel Rausch mit schöner Selbstironie sagen. Er wusste: Ich war ein guter Trainer, der vor allem für Typen wie Effenberg oder Polster ein Händchen hatte - aber den Leuten geht's halt doch nur um den Hund.

Er bekam eine Tetanusspritze und kehrte aufs Feld zurück

Was Rausch und Rex historisch macht, ist, dass sie in der Geschichte der Bundesliga für mehr stehen als nur für die Einzigartigkeit eines Bisses in einen Spielerhintern. Was sich da 6. September 1969 in der Dortmunder Rote-Erde-Kampfbahn beim Spiel Borussia Dortmund gegen Schalke 04 zutrug, ist eine Fabel im fast schon literarischen Sinne. Im Mittelpunkt einer Fabel stehen Tiere, denen menschliche Eigenarten zugeordnet werden, Tiere, die charakteristische Stereotype darstellen sollen. Und wofür Rex steht, ist ja klar: für einen leidenschaftlichen BVB-Fan in einem leidenschaftlichen Revierderby.

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Als Trainer triumphierte Rausch (links) 1980 mit Eintracht Frankfurt im Uefa-Cup.

(Foto: imago/Ferdi Hartung)

Friedel Rausch hat diese Szene sehr anschaulich beschreiben können: "Es war der vierte Spieltag, das Stadion war überfüllt, es gab noch keine Zäune, die Leute sind bis fast an den Spielfeldrand gesessen. Und kurz vor der Pause schießt Hansi Pirkner das 1:0 für uns." Es ist der Moment, als es einige euphorisierte Schalker Fans nicht mehr auf den Sitzen hält. Sie rennen auf den Rasen, Dortmunder Ordner und Hundeführer hasten mit ihren Hunden aufs Feld.

Friedel Rauschs Frau Marlies, die ihn seit damals und bis jetzt begleitet hat, war an diesem Tag nicht im Stadion, sie verfolgte das Spiel im Radio, und plötzlich hörte sie den Reporter Heribert Faßbender rufen: "Frau Rausch, fallen Sie bitte nicht in Ohnmacht, Ihr Mann ist verletzt, aber nicht vom Fußball."

Er sei nach Pirkners Tor "zum Jubeln zu den Jungs gelaufen", so hat sich Rausch später an die Szene erinnert, aber dann habe er "einen Riesenschmerz gespürt, ich habe geschrien, auf meiner Hose war Blut". Er wurde vom Platz getragen, bekam eine Tetanusspritze und kehrte aufs Feld zurück.

Zu Gerüchten, wonach die Hundeführer die Leine vielleicht bewusst etwas lang gelassen hätten, hat sich Rausch nie geäußert. Keine Vorwürfe, er wollte das nicht. Meistens hat er dann die Geschichte vom nächsten Derby auf Schalke erzählt, als Schalkes Präsident Günter Siebert aus dem Tierpark Westerholt ein paar Löwen holen ließ, um sie vor dem Spiel als ironisches Zitat übers Feld laufen zu lassen. Die Löwen, übrigens, waren zahm.

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