Nachruf:Der Held, der kein Held sein wollte

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Auch eine Form von Vorlage: Hans Schäfer verpasst die Flanke zwar ebenso wie der ungarische Torhüter Gyula Grosics – doch erst das ermöglicht Helmut Rahn (nicht im Bild) im WM-Finale 1954, ein Tor zu erzielen. (Foto: dpa)

Hans Schäfer war Weltmeister von 1954, einer der besten Linksaußen seiner Zeit und der größte Fußballer in der Geschichte des 1. FC Köln. Ein Nachruf.

Von Sebastian Fischer

Ein Held wollte er nie sein, doch Helden können sich das manchmal nicht aussuchen. Als Hans Schäfer 1954 als Weltmeister aus der Schweiz nach Köln zurückkehrte, da konnte er kaum aus dem Zug aussteigen vor lauter Menschen, die ihn erwarteten. Die rund sieben Kilometer vom Hauptbahnhof bis zum Klubhaus des 1. FC Köln wurde er in einem Cabrio gefahren, begeisterte Anhänger säumten den Wegesrand. Als Schäfer 1964 den FC zum ersten Meister in der Geschichte der Bundesliga gemacht hatte, da trugen sie ihn, den Kapitän, auf Händen durchs Stadion in Müngersdorf, er reckte die Schale in den Himmel. Und wer Schäfer in den vergangenen Jahren begegnete, als seine öffentlichen Auftritte immer seltener wurden, dem fehlten vor Ehrfurcht noch immer die Worte. So lange, bis Schäfer irgendetwas Lapidares auf Kölsch sagte.

Es war eine Vorlage, die den Fußballer am 4. Juli 1954, spätestens, auch weit über die Kölner Grenzen hinaus berühmt machte. "Schäfer, nach innen geflankt", rief der Radioreporter Herbert Zimmermann, dann schwoll seine Stimme an: "Kopfball! Abgewehrt! Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen!" Rahn schoss, traf zum 3:2 gegen Ungarn, Deutschland war kurz darauf Weltmeister. Das Wunder von Bern, so heißt dieser Erfolg seitdem. Nur Schäfer selbst wollte nie von einem Wunder sprechen. "Es war einfach eine großartige Leistung einer großartigen Mannschaft, die dabei auch viel Glück gehabt hat", sagte er 2004 in einem Interview mit der Zeit. "Warum fangt Ihr plötzlich nach 50 Jahren an und macht so ein Theater?", fragte er.

Erster Bundesliga-Meister: Hans Schäfer präsentiert im Mai 1964 stolz die Schale. (Foto: Ferdi Hartung/imago)

Schäfer, geboren am 19. Oktober 1927 im Arbeiterstadtteil Zollstock als Sohn eines Frisörs aus der Pfalz, war immer ein Dickkopf, weshalb ihn in Köln jeder "de Knoll" nannte. Doch niemand meinte das abfällig. Vielmehr bedachten sie den jungen Mann, der den Zweiten Weltkrieg als Flakhelfer überlebt hatte, so mit Bewunderung. Schäfer lief schnell, schoss hart, beherrschte den Ball. Doch den Unterschied, so beschrieben es Weggefährten, machten sein Einsatzwillen und seine Weigerung, Spiele zu verlieren. "Hans Schäfer", so sagte es mal sein Mitspieler Karl-Heinz Thielen, "der hatte das Gewinnenwollen im Blut." Für den FC bestritt Schäfer 711 Spiele, schoss 501 Tore. Bei seiner zweiten deutschen Meisterschaft 1964 war er 36 Jahre alt, 1963 war er zu Deutschlands Fußballer des Jahres gewählt worden. Für Deutschland schoss er in 39 Spielen 15 Tore, nahm an drei Weltmeisterschaften teil, war von 1957 bis 1962 Kapitän. Er galt als einer der beste Linksaußen der Welt, wandelte sich später zum Passgeber im Mittelfeld.

Doch wer verstehen will, was den Fußballer Schäfer ausgezeichnet hat, der erfährt es weniger aus Statistiken als in den kleinen Erinnerungen an seinen Charakter als Spieler, seinen Ehrgeiz. Bei der WM 1954, vor dem Entscheidungsspiel gegen die Türkei, zuvor hatte Deutschland 3:8 gegen Ungarn verloren, soll er seinen Mitspielern beim Frühstück gesagt haben: "Männer, die putzen wir weg." Schäfer schoss zwei Tore gegen die Türken und bereitete eines vor, Deutschland gewann 7:2. Es war Schäfer, der beim schweren Spiel gegen Jugoslawien im Viertelfinale ein Eigentor erzwang. Beim 6:1 im Halbfinale gegen Österreich schoss er sein viertes Turniertor. Im kleinen Kreis soll er mal erzählt haben, was neulich im Kölner Stadt-Anzeiger stand: Vor dem Finale im Regen von Bern sah er sich Ferenc Puskas gegenüber, dem damals alles überragenden ungarischen Stürmer, einem dem größten Torjäger der Fußballgeschichte. Ungarn hatte bis dahin kein Spiel verloren. "Na, bist du gut drauf?", soll der Ungarndeutsche Puskas gefragt haben. "Dat wirste gleich sehen", habe Schäfer geantwortet.

Ohne Schäfer wäre Deutschland 1954 nicht Weltmeister geworden. Er hätte also von seinem Ruhm profitieren, ein Leben in der Öffentlichkeit führen können. Doch er entschied sich dagegen. Als Jugendlicher hatte er im Kaufhof Parfüm verkauft, und nach seiner Spielerkarriere, nach ein paar Jahren als Assistenztrainer des FC, begann er sein Leben nach dem Fußball. Er verdiente sein Geld als Generalvertreter für Geschenkartikel in der Firma des legendären FC-Präsidenten Franz Kremer, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft im Stadtteil Lindenthal er wohnte. Lange ging Schäfer zu jedem Heimspiel seines 1. FC Köln, saß im Ehrenrat, doch kritisierte den Klub so gut wie nie. Das sollten andere machen, und überhaupt gab es ja Wichtigeres. 2015, als der FC für eine lebenslange Vereinsmitgliedschaft warb, trat er noch mal öffentlich für den Verein auf. Mitarbeiter der Geschäftsstelle erzählen noch heute gerührt, wie er in jedem Büro die Menschen persönlich begrüßte. Dort, am Geißbockheim, hingen am Dienstag die Fahnen auf Halbmast.

"Er war ein ganz besonderer Mensch und guter Freund"

"Ich han noch vill vür", hat Schäfer noch kurz vor seinem 90. Geburtstag gesagt. Wenn er über den Tod sprach, sagte er stets, er würde gerne bei einem Glas Kölsch an der Theke umfallen. Am Dienstag starb er im Kreis der Familie, er schlief friedlich ein.

Eine Kondolenz von zahlreichen war die von Horst Eckel, einem anderen Weltmeister von 1954: "Er war ein herausragender Spieler und ein wichtiger Teil unserer Mannschaft, aber auch ein ganz besonderer Mensch und guter Freund." Eckel ist nun der letzte lebende Held von Bern.

Und Hans Schäfer soll sein letztes Kölsch am Montagabend getrunken haben.

© SZ vom 08.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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