Nach der Absage von Lindsey Vonn:Amerika fahndet nach Olympia-Helden

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Lindsey Vonn wird Olympia wegen einer Verletzung verpassen. (Foto: dpa)

Nach dem Olympia-Aus für Skifahrerin Lindsey Vonn braucht der Sender NBC für seine Vermarktung der Spiele ein neues Gesicht. Gesucht werden Athleten, die erfolgreich, attraktiv, skandalfrei sind - und rührende Dramen liefern.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Die junge Frau war verletzt, sie gehörte in ein Krankenhaus oder zumindest in eine Arztpraxis, keinesfalls jedoch in eine Sportarena. Kerri Strug indes blieb im Stegeman Coliseum, die Turnerin absolvierte an diesem 23. Juli 1996 trotz einer Verletzung am Fußgelenk einen Sprung am Pferd und sicherte dem amerikanischen Mehrkampf-Team mit einer sicheren Landung auf dem lädierten Fuß die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen von Atlanta. Zur Siegerehrung wurde sie von ihrem Trainer getragen.

Eine solche Dramaturgie lieben sie in den Vereinigten Staaten, wenn da jemand die Kapitulation verweigert, trotz Schmerzen einen Wettkampf zu Ende bringt und entgegen aller Wahrscheinlichkeit sogar siegt. Für die Olympischen Spiele in Sotschi wäre bis vor wenigen Tagen eine ähnlich dramatische Geschichte denkbar gewesen: Die alpine Ski-Rennfahrerin Lindsey Vonn tritt trotz eines gerissenen Kreuzbandes im rechten Knie an, bei der Abfahrt fährt sie unter Schmerzen noch hoffnungslos hinterher, entgegen allen Warnungen nimmt sie drei Tage später am Super-G teil und gewinnt. Ihr Freund, der Golfprofi Tiger Woods, trägt sie zum Podest und hängt ihr die Goldmedaille um.

Dieses Hollywood-taugliche Drehbuch ist jedoch geschreddert worden. Vonn wird nicht starten, das verkündete sie in der vergangenen Woche. Der medizinisch sinnvolle Verzicht ist sportlich bitter, er stellt zudem das Medienunternehmen NBC- Universal vor Probleme, das fest mit Vonn als Hauptdarstellerin dieser Spiele gerechnet hat.

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Lindsey Vonn wollte ohne Kreuzband im Knie Olympiasiegerin werden. Einen Monat vor den Winterspielen in Sotschi muss die US-Amerikanerin jedoch einsehen, dass ihr Plan zu kühn war. Vonns Verzicht ist ein Verlust - aber eine Entscheidung aus Vernunft.

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"So ist das im Sport nun mal, viele Stars verletzen sich. Natürlich hätten wir Lindsey gerne dabei, aber wir müssen akzeptieren, dass es nicht so sein wird", sagt NBC-Sportchef Mark Lazarus: "Wir werden aus Rücksicht auf ihre Gefühle nicht auf sie zugehen und ihr anbieten, für uns als Expertin zu arbeiten. Wenn sie die Initiative ergreift, würden wir das sehr begrüßen."

Ein Engagement als Kommentatorin wäre immerhin ein Trost für den Sender, der gerade Nancy Kerrigan verpflichtete - jene Athletin, die wenige Wochen vor den Olympischen Spielen 1994 in Lillehammer aus dem Umfeld ihrer Konkurrentin Tonya Harding verletzt worden war und dennoch die Silbermedaille gewann.

Aus dem Sender heißt es, dass die Verantwortlichen nicht glücklich seien über den Zeitpunkt von Vonns Verzichtserklärung. Sie hätte bis wenige Tage vor Olympia warten oder zumindest nach Sotschi reisen und trainieren können, um beim Publikum für Spannung und Hoffnung zu sorgen. Auch die Art der Mitteilung - per Facebook und nicht auf einer bei NBC gezeigten Pressekonferenz - wird kritisiert.

Das zeigt die immense Bedeutung dieser Sportlerin für die mediale Aufbereitung der Spiele. Der amerikanische Sport definiert sich über charismatische Athleten. Dürfte ein PR-Experte den ideal zu vermarktenden Athleten modellieren, würde er Lindsey Vonn erschaffen: erfolgreich, skandalfrei, attraktiv. Sie ist auf den Titelseiten von Ski-Magazinen abgebildet, aber auch auf der Bikini-Edition von Sports Illustrated und seit ihrer Liaison mit Woods auch auf den Covern diverser Promi-Zeitschriften.

Perfekt für eine Sendergruppe, die für die Wettbewerbe in Sotschi ein multimediales Dauerfeuerwerk aus Live-Übertragungen, Hintergrundberichten, privaten Geschichten, persönlichen Dramen und Auftritten der Protagonisten in Talkshows plant. NBC-Universal-Chef Steve Burke nannte Olympia kürzlich "die Seele" von NBC. Und Vonn war Amerikas Seele von Olympia.

1600 Stunden Live-Übertragungen werden auf verschiedenen Sendern zu sehen sein, davon 185 Stunden auf dem Hauptkanal NBC. Der Sender CNBC konzentriert sich auf Curling (36 Stunden), MSNBC und USA Network auf Eiskunstlauf und Eishockey (insgesamt 88 Stunden). Auch auf der Internetseite wird permanent gesendet, der Sender verspricht: "Jedes Eishockeyspiel, jeder Lauf beim Skifahren, jeder einzelne Auftritt beim Eiskunstlauf." Für mobile Geräte stellt das Unternehmen die Applikation NBC Sports Live Extra bereit.

Zudem ist der Mutterkonzern Comcast eine Kooperation mit dem Kurznachrichtendienst Twitter eingegangen. Die Entwicklung "See It" ermöglicht es den Kunden, per Mausklick direkt von Twitter- Einträgen zu Inhalten auf der Webseite von NBC zu gelangen. Also: Wenn jemand twittert, dass es da gerade spannend ist beim Eishockeyspiel zwischen Kanada und Russland, dann kommt der Nutzer mit einem Klick direkt zur Live-Übertragung des Spiels. "Das ist ein großer Schritt im Bereich des sozialen Fernsehens", sagt Comcast-Chef Brian Roberts.

NBC hat vor drei Jahren 4,38 Milliarden Dollar für die Übertragungsrechte der Olympischen Spiele bis zum Jahr 2020 bezahlt, davon 775 Millionen Dollar für die Wettbewerbe in Sotschi. Dieses Investment soll sich lohnen, amerikanische Olympia-Helden sollen direkt nach den Wettkämpfen in den Morgenshows auftreten und NBC dadurch einen Vorteil auf diesem traditionell hart umkämpften Markt verschaffen. Late-Night-Sendungen wie "The Today Show" und "The Tonight Show" sollen davon profitieren, dass danach Live-Bilder aus Sotschi folgen.

NBC würde gerne die Zuschauerzahlen der Olympischen Spiele von Vancouver erreichen, als insgesamt 190 Millionen Menschen den Fernseher einschalteten (in London 2012 waren es 219 Millionen). Nur: 2010 fanden die meisten Wettbewerbe zur besten amerikanischen Sendezeit statt, alleine das Eishockeyfinale zwischen Kanada und den USA sahen 27,6 Millionen Amerikaner.

Die Spiele in Sotschi sind problematischer, viele Wettbewerbe beginnen aufgrund der Zeitverschiebung nicht vor Mitternacht. Eine Ausnahme sind die alpinen Ski-Wettbewerbe, an denen Lindsey Vonn hätte teilnehmen sollen: 11 Uhr morgens in Sotschi, 23 Uhr abends in Los Angeles - das gilt noch als prima Sendezeit.

Live-Übertragungen von Sportereignissen sind für Fernsehsender deshalb besonders relevant, weil Werbetreibende dafür immer noch bereitwillig viel Geld ausgeben. Die können sicher sein, dass - anders als etwa bei Serien - nur wenige Zuschauer die Sendungen aufnehmen und später beim Ansehen die Werbefilme überspulen. NBC braucht also Athleten, deretwegen die Zuschauer einschalten. "Wir werden unsere Vermarktung umstellen und uns nach einer neuen Geschichte und einem neuen Gesicht umsehen. Es gibt genügend andere Stars", sagt Lazarus.

Kandidaten dafür gibt es einige, den Snowboarder Shaun White etwa, die alpinen Skifahrer Ted Ligety und Bode Miller oder auch das Eishockeyteam. Die Eiskunstläuferin Ashley Wagner gilt als Medaillenkandidatin und überaus charismatische Athletin. Und es gibt Mikaela Shiffrin. Die ist 18 Jahre alt, aktuelle Weltmeisterin im Slalom und sieht Lindsey Vonn gar nicht mal unähnlich. "Wir werden uns anpassen, viele Geschichten werden erst während der Wettbewerbe geschrieben", sagt Lazarus. Kerri Strug kannte schließlich vor den Spielen 1996 auch kaum jemand.

© SZ vom 15.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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