Nach den Krawallen in Düsseldorf:Schaden am Kern des Fußballs

Chaos in Köln, Platzsturm in Karlsruhe, Pyro-Aktionen in Düsseldorf: Die Gewalt in deutschen Stadien nimmt zu. Einige Fans wollen gezielt in den Spielablauf eingreifen und Abbrüche provozieren. Die Polizeigewerkschaft fordert nun Punktabzüge für die betreffenden Klubs, Fanprojekte mahnen zu Weitsicht. Hertha BSC legt indes Protest gegen die Wertung des Relegationsspiels ein.

Carsten Eberts

Hat der deutsche Fußball ein Sicherheitsproblem? Dies dürfte die Frage sein, die am häufigsten gestellt wird, am Tag nach dem unschönen Düsseldorfer Fußballabend, der - aus rein sportlicher Sicht - mit dem Aufstieg der Fortuna in die Bundesliga endete. Denn da waren die Düsseldorfer Fans, die kurz vor Spielschluss zu Hunderten den Platz stürmten. Und vor allem die bengalischen Feuer und Rauchbomben der Fans von Hertha BSC, direkt nach dem Berliner Rückstand zum 1:2, die das Spiel zwischenzeitlich zu einem beängstigenden Szenario machten.

Fortuna Düsseldorf - Hertha BSC

Bilder, die nicht auf einen Fußballplatz gehören. Spieler von Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC blicken auf die Ränge.

(Foto: dpa)

Oder gehören solche Bilder mittlerweile zum Fußball einfach dazu? Wer nur die vergangenen eineinhalb Wochen betrachtet, könnte diesen Eindruck haben. Drei Fälle in nur zwölf Tagen - erst beim Bundesliga-Finale in Köln, dann bei den Relegationsspielen in Karlsruhe und Düsseldorf. Immer wieder haben Fangruppen in den entscheidenden Saisonspielen gezielt in den Verlauf der Partien eingegriffen, Schiedsrichter dazu verleitet, früher abzupfeifen. Oder die Spieler gezwungen, nach dem Schlusspfiff in die Kabinen zu flüchten.

Am Tag nach den Krawallen in Düsseldorf melden sich die Interessensgruppen zu Wort. Zum einen die Gewerkschaft der Polizei (GdP), die um ihre Beamten fürchtet und stets härtere Sanktionen fordert, als dies die Fußballverbände bislang zulassen wollen. "Offensichtlich bringen Appelle an Vernunft und Verstand nichts", sagt Bernhard Witthaut, der Bundesvorsitzender der GdP: "Der DFB ist jetzt vor dem angekündigten Anti-Gewalt-Gipfel von Fußball und Justiz in der Pflicht, zu prüfen, ob über Punktestrafen die Fans diszipliniert werden können." Punktabzüge gegen Gewalt in Stadien. Funktioniert das?

Eher nicht, findet Michael Gabriel von der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) bei der deutschen Sportjugend. "Ich finde es richtig, dass der Fußball sich Zeit nimmt", sagt Gabriel der SZ, "um die richtigen Antworten auf die Probleme zu finden und dabei das Ziel formuliert, die friedliebenden Fans an seine Seite zu holen." Einen ernstgemeinten Dialog, findet Gabriel, gab es zwischen den Verbänden und den Fangruppen in der Vergangenheit kaum - eine Tatsache, die auch einige Ultras immer wieder bemängeln.

Die Häufung der Gewaltszenen auf deutschen Fußballplätzen hat auch Gabriel verfolgt. Am finalen Bundesligaspieltag Anfang Mai stürmten Fans des 1. FC Köln den Rasen, als die Niederlage gegen den FC Bayern und damit auch der Kölner Abstieg feststanden. Im Fanblock wurde sehr viel Pyrotechnik abgebrannt, dicke Rauchschwaden hingen über dem Stadion. Schiedsrichter Florian Mayer beendete die Partie einige Sekunden vor Ablauf der regulären Spielzeit, damit die Spieler sicher in die Kabinen flüchten konnten.

Ähnliche Bilder lieferte auch der vergangene Montagabend, wo beim entscheidenden Zweitliga-Relegationsspiel zwischen dem Karlsruher SC und Jahn Regensburg (Endstand 2:2) KSC-Fans die Nerven verloren. Als der Karlsruher Abstieg nach dem Schlusspfiff feststand, stürmten hunderte Anhänger der Badener den Platz, griffen Polizisten und Gästefans an. Insgesamt 75 Menschen wurden verletzt, darunter 18 Polizisten.

Hertha BSC legt Protest ein

Nun also Düsseldorf. Am Mittwochabend legte Hertha BSC offiziell Protest gegen die Wertung des Relegationsspiels ein - und das obwohl es die Berliner Fans selbst waren, die wegen des Einsatzes von Pyrotechnik auf den Tribünen und auf dem Platz für eine minutenlange Spielunterbrechung gesorgt hatten. "Für uns war das Spiel irregulär. Da ging es nicht mehr um sportlichen Wettkampf. Einziger Zweck der Wiedereröffnung dieses Spiels war, eine weitere Eskalation zu verhindern", begründete Herthas Anwalt Christoph Schickhardt den Protest.

Für Gabriel indes sind die Pyro-Aktionen der Berliner weit schwerwiegender als der Platzsturm der Düsseldorfer Fans in den Schlussminuten, der wohl auch eher aus Versehen denn aus Kalkül geschah. "Die Pyro-Aktionen der Berliner Ultras fügen sich in eine Entwicklung ein", erklärt Gabriel. In die Entwicklung, dass sich Fans auf den Misserfolgsfall ihrer Mannschaft gezielt vorbereiten. Und mögliche Spielabbrüche, wie in Düsseldorf, gezielt in Kauf nehmen. "In der Überhöhung der eigenen Gruppe nehmen viele Ultras in Kauf, dem Fußball Schaden zuzufügen", erklärt Gabriel.

Die Gründe dafür sind vielschichtig, für Gabriel ist es ein soziologisches Problem. Der Fußball ist zum Milliardengeschäft mutiert, der Erfolg der Mannschaften wichtiger als die ursprüngliche Idee des Spiels, dass zwei Teams gegeneinander antreten und sich anschließend die Hand reichen. "Viele Fans ertragen es nicht, wenn ihr Verein absteigt", sagt Gabriel. Und bereiten sich gezielt darauf vor, den Spielbetrieb mit ins Stadion geschmuggelter Pyrotechnik zu stören. "Sie senken dann in einer Art Cäsarenhaltung den Daumen", sagt Gabriel. Am extremsten treiben diese Haltung bestimmte Teile der Ultra-Szene voran. Ihre Antwort lautet dieser Tage vor allem: Pyrotechnik.

Für den Fall, dass DFB und Ligaverbände bei ihrem angekündigten Gewalt-Krisengipfel nun härtere Sanktionen beschließen, wie von der Polizeigewerkschaft gefordert, befürchten die Fanprojekte noch eine Verschlimmerung der Situation. Auch der Abbruch der Gespräche zwischen den Verbänden und den Fans bezüglich einer Legalisierung der Pyrotechnik im Stadion hat die Situation kaum verbessert. "Die Kommunikation ist belastet", sagt Gabriel, "und die Kluft ist eher größer geworden." Viel wichtiger als über mögliche Punktabzüge nachzudenken, wäre es aus Sicht den Fanprojekts, nach Wegen zu suchen, wie die Vereine den Dialog mit ihrer Fanszene intensivieren können.

Die Polizeigewerkschaft sieht das anders. Sie meint, dass Punktabzüge kurzfristig helfen könnten, die Fans an die ursprüngliche Idee des Spiels zu erinnern. Der Bundesvorsitzende Witthaut sagt: "Erst wenn die Fans begreifen, dass ihre unbeherrschten Gewaltausbrüche zu Punktabzügen bei ihrem Lieblingsverein und somit im schlimmsten Fall zum Abstieg führen können, dürfte die Gewalt eher eingrenzbar sein." Die bisherigen Maßnahmen wie Stadionverbote und Geldstrafen würden die Fans nicht genug abschrecken.

In einer gemeinsamen Erklärung kündigten DFB-Präsident Wolfgang Niersbach und Ligaboss Reinhard Rauball am Mittwoch neue Gespräche an. "Die jüngsten Ausschreitungen zum Saisonende machen einmal mehr auf traurige Weise deutlich, dass die bisherigen Konzepte und Maßnahmen nicht mehr ausreichen", heißt darin. Noch vor der kommenden Saison in der ersten, zweiten und dritten Liga (welche von der DFL geregelt werden) soll bei einem Treffen aller Vereinspräsidenten ein Verhaltenskodex entwickelt werden, der den Umgang zwischen Vereinen und Fans festlegen soll. Niersbach und Rauball schreiben weiter: "Grundsätzlich ist nach den Übergriffen dieser Saison ein Punkt erreicht, an dem neue Wege gegen Gewalt im Umfeld von Fußballspielen gegangen werden müssen."

Es ist Interpretationssache, ob dies nun mehr Dialog mit den Fangruppierungen bedeutet - oder doch härtere Sanktionen.

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