Nach dem Ärzte-Streit:FC Bayern geht höchstes Risiko

Nach dem Ärzte-Streit: Kein Team mehr: Arzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt und Trainer Pep Guardiola.

Kein Team mehr: Arzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt und Trainer Pep Guardiola.

(Foto: imago sportfotodienst)
  • Der Abschied von Teamarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt hat das Potenzial dazu, die Grundstrukturen beim FC Bayern zu verändern.
  • Der Verein hält in der Sache dicht - und lässt damit viele offene Fragen zu.

Von Thomas Kistner

Nach 38 Jahren steht da der Klubsprecher, er dankt "für die geleistete Arbeit", als ginge ein Postsekretär in Pension, und grätscht jeden ab, der den Rücktritt des Doktors zu hinterfragen wagt. Erstaunlich. Dabei hat Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, seit 1977 Vereinsarzt des FC Bayern, seine Demission mit Vertrauensverlust begründet; die Medizinabteilung sei zum Verursacher des 1:3 in Porto erklärt worden. Ist das kein Thema? Ist dazu nicht mehr zu sagen, als am Freitag auf der Pressekonferenz nach dem Doc-Rücktritt?

Jedenfalls ist das der Stil, der das Erscheinungsbild des Superklubs seit einiger Zeit prägt. Denn auch am Wochenende ließ sich kein Spitzenvertreter zum jähen Abgang eines Sportarztes herbei, der Weltruf genießt und Teil der Bayern-DNA ist. Kein Wort von Karl-Heinz Rummenigge, obwohl der Vorstandschef den letzten Auslöser geliefert haben soll, per Attacke vor versammelter Truppe. War es so? Wurde dem Arzt der uninspirierte Champions-League-Kick angelastet?

Falls ja, wie ist so was möglich: Hat er dem Trainer lädierte Spieler angedreht? Oder ist alles ganz anders und nur ärztliche Eitelkeit: Aber warum dann einen decken, der so unprofessionell agiert?

Rummenigge schweigt. Der ganze Verein hält dicht. Dass Sportvorstand Matthias Sammer bittet, die gesammelte Sprachlosigkeit "zu akzeptieren", rundet das Bild konzertierter Hilflosigkeit ab. Der Vertrauensverlust, den der Vertrauensarzt Müller-Wohlfahrt beklagt: Er könnte breite Teile des Publikums erfassen, das sollten die Bayern verhindern.

Denn nichts ist geklärt in der Affäre, heikle Fragen sind offen. Steht ein Sportarzt im Dienst des Erfolgs oder der Gesundheit? Ist er dem Klub oder dem Berufsethos verpflichtet? Nimmt man den Fall Thiago als Maßstab, der gegen den Willen von Müller-Wohlfahrt, aber mit Pep Guardiolas Segen in Barcelona eine Kniebehandlung erfuhr, die offenkundig nur auf eine Blitz-Reparatur zielte, aber ein Jahr Zwangspause bewirkt hat - dann lässt sich erahnen, worum es geht.

Klar ist aber, in wen der Klub nun alles Vertrauen investiert: in Pep Guardiola. All in heißt das am Pokertisch, wenn alle Einsätze in der Mitte liegen. Es heißt nur auch: höchstes Risiko. Den Katalanen, der zuvor nur mit der Heldengeneration des FC Barcelona gearbeitet hat, umstrahlt eine Aura des Außerirdischen. Nüchterne Werks-Analysen liefen bisher Gefahr, als Sakrileg abgebügelt zu werden. Dabei offenbart Guardiola zuweilen obsessive Züge: Wenn er immerzu über supersupertoptop-Leute redet, die energetische Art, wie er auf Schiedsrichter eindringt. Oder wenn er hämisch zur eigenen Bank (zum Arzt?) applaudiert, weil wieder ein angeschlagen eingesetzter Profi verletzt aussteigen muss. Wie jüngst im Pokal-Viertelfinale in Leverkusen. Dem rastlosen Fußballdenker ist oft anzusehen, wie stark der Fluch auf ihm lastet, den der Vorgänger hinterließ: Jupp Heynckes gewann noch rasch das Triple. Die Titel-Dreifaltigkeit, die zu erobern man nur Pep zugetraut hatte.

Seither spielen die Bayern den Reichtum Pep'scher Strategien runter, wer heute rechts verteidigt, spielt morgen im Mittelfeld; die Liga erstarrt in Ehrfurcht. Europa nicht. Auch setzt der Mangel an Kontinuität manchem zu, der nicht stärker wurde; wie Mario Götze. Zugleich fließt spanisches Personal ins Team und die Struktur außen rum; auch einer wie Guardiola will sein Revier absichern.

Doch der Bruch mit dem Doc, den ja viele Profis von Bayern bis Barcelona weiterhin aufsuchen und manche in der Nationalelf wiedersehen werden, dieser Bruch wird die Grundstruktur im Klub verändern. Mit dem Arzt verschwindet auch der Wohlfühlkonzern hinter dem Meisterbetrieb. Zurück bleibt zunächst ein Gebilde, das sich schon am Dienstag erneut stark verändern kann - falls der FC Porto in München nicht so devot in die Knie geht wie die Liga-Untertanen zwischen Bremen und Hoffenheim.

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