Nach dem Achtelfinal-K.-o.:Alphatier gesucht

England return to UK following EURO 2016 elimination

Heimkehr im Regen: Jamie Vardy auf dem Flughafen Luton.

(Foto: Peter Cziborra/Reuters)

Äußerst schwierige Suche: Der englische Verband will nach dem Rücktritt von Roy Hodgson einen Trainer, der den jungen Millionären Respekt einflößt.

Von Ulrich Hartmann, Nizza/Marseille

Eine TFK ist immer zunächst mal ein Eingeständnis. Wer eine TFK bildet, weiß kurzfristig nicht, was zu tun ist. Beim Deutschen Fußball-Bund war es auch so im Sommer 2004. Die deutsche Mannschaft hatte bei der Europameisterschaft unter Rudi Völler die Vorrunde nicht überstanden. Keiner wusste, wie es weitergehen soll. Also richtete man erst mal eine TFK ein - die Trainer-Findungs-Kommission. Sie musste Spott über sich ergehen lassen, aber sie fand Jürgen Klinsmann. Unter Klinsmann wurde Deutschland bei der Heim-WM 2006 Dritter, unter seinem Assistenten Joachim Löw acht Jahre später Weltmeister. Die TFK war auf einem Tiefpunkt des deutschen Fußballs der Anfang des heutigen Erfolgs.

Vielleicht haben die Verantwortlichen beim englischen Fußball-Verband FA auch daran gedacht, als sie soeben ihren Manager Martin Glenn, den Technischen Direktor Dan Ashworth und den Vizepräsidenten David Gill zusammengeschlossen haben, um einen Nachfolger für Roy Hodgson zu finden. Der englische Fußball hat in Frankreich einen Tiefpunkt erreicht, ein Neuanfang ist notwendig. Aber man wolle sich Zeit lassen, heißt es. Genauso klang es damals aus der deutschen TFK. Und, Zufall oder nicht: Jürgen Klinsmann gilt auch jetzt in England als heißer Kandidat.

Der Countdown steht bei 66. So viele Tage sind es noch, bevor für die englische Mannschaft am 4. September mit einem Spiel in der Slowakei die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2018 in Russland beginnt. 66 Tage, um die Enttäuschung von der Europameisterschaft zu verarbeiten und den neuen Trainer zu finden. Nach der 1:2-Niederlage gegen Island hatte Hodgson noch Montagnacht sein Amt zur Verfügung gestellt. Bei der WM 2014 war die Mannschaft unter ihm mit nur einem Punkt aus drei Gruppenspielen in der Vorrunde ausgeschieden. In Frankreich hat sie es zwar ins Achtelfinale geschafft, dort wog die Niederlage gegen das kleine Island emotional aber umso schwerer. Hodgson ist zweimal mit und an einer Mannschaft gescheitert, deren künftiger Trainer als Schlüsselqualifikationen mindestens Einfühlungsvermögen, taktische Finesse, Rückgrat und ein dickes Fell benötigt - und Erfolg, den darf man nicht vergessen.

Es gilt, eine junge, materiell verwöhnte, leidenschaftlich fragwürdige und technisch doch umso beschlagenere Mannschaft zur WM und dort mal wieder in eine der finalen K.o.-Runden zu führen. England ist die herausforderndste Nationalmannschaft, die zurzeit für einen Trainer zu haben ist - und trotzdem drängt sich als Kandidat offenbar niemand auf. Bei der FA haben sie bis jetzt keine Ahnung, wer die Mannschaft übernehmen soll. Klinsmann (USA) wird ebenso gehandelt wie Arsène Wenger (FC Arsenal), auch die Namen Claudio Ranieri (Leicester City) und Slaven Bilic (West Ham United) wurden schon in den Ring geworfen. Der Wunsch nach einem prominenten Coach, der den jungen Millionären Respekt einflößt, ist erkennbar. "Arsène Wenger hat ein fantastisches Verständnis der Premier League, der Spieler, der Medien und der Erwartungen in England", sagt TFK-Mitglied Ashworth, "ich würde ihn also nicht ausschließen - aber es könnte sein, dass er gar nicht will."

Der künftige Trainer muss Alphatier sein und charakterlich zu einer komplexen Mannschaft passen. Es gilt, um Talente wie Marcus Rashford, 18, Dele Alli, 20, Raheem Sterling, 21, Harry Kane, 22, und Eric Dier, 22, eine Mannschaft zu formen, die bis zur paneuropäischen Europameisterschaft 2020 mit Halbfinals und Endspiel in London zu großer Form auflaufen könnte. Bei einem passenden und interessierten Kandidaten mit gegenwärtiger vertraglicher Bindung könne man auch warten und "mit einer Interimslösung" ein Jahr überbrücken, sagt Glenn und macht damit deutlich, dass man eher mittel- als kurzfristig denkt. "Wie sollten nichts überstürzen." Der U 21-Junioren-Trainer Gareth Southgate gilt als mögliche Übergangslösung: "Er würde sicher passen."

Glenn, seit März 2015 Manager beim Verband, hat zuvor in der Nahrungsmittelbranche gearbeitet und sagt von sich selbst, er habe wenig Ahnung vom Fußball. Der einstige Fußballprofi Ashworth war früher Technischer Direktor beim Erstligisten West Bromwich Albion und dort für die Verpflichtungen der Trainer Roberto di Matteo, Roy Hodgson und Steve Clark verantwortlich. David Gill, auch Mitglied im Exekutivkomitee des Weltverbands Fifa, war zehn Jahre lang Vorstandsboss von Manchester United.

Glenn wollte nach der Abreise der Mannschaft aus Frankreich deutlich machen, dass man nun jeden Stein umzudrehen bereit sei und sich ganz gründlich und grundsätzlich auf die Suche nach dem Nationaltrainer der Zukunft machen wolle. "Es muss einfach der beste Mann oder die beste Frau für diesen Job sein", sagte er also und hat mit dieser Aussage kurz für Verwirrung gesorgt: An eine Frau hatte man nun nicht unbedingt gedacht. Aber Glenn korrigierte sich dann recht schnell und schloss diese Lösung doch weitgehend wieder aus: "Wahrscheinlich doch eher ein Mann", schob er also hinterher, aber dieses erste offizielle Auswahlkriterium bei der Trainersuche macht die Sache für die TFK auch nicht einfacher.

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