Muguruza in Wimbledon:Bambi mit Killerinstinkt

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Garbiñe Muguruza: Hat Spaß in Wimbledon (Foto: Getty Images)
  • Die Spanierin Garbiñe Muguruza steht im Halbfinale von Wimbledon, obwohl sie keine Rasenspezialistin ist.
  • Ihr wird eine große Zukunft prophezeit, auch weil sie einen eigenen Stil hat.
  • Das Halbfinale im Liveticker finden Sie ab 14 Uhr hier.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Da stand er, keine Attrappe, kein Doppelgänger, sondern der leibhaftige Antonio Banderas, im ersten Augenblick war Garbiñe Muguruza geschockt. "Was machst du hier", fragte sie den Schauspieler, der ihr im Spielerrestaurant in die Arme lief, und dann unterhielten sie sich. Banderas erzählte, dass er sich das Match von Rafael Nadal gegen Dustin Brown ansehen wolle, das der Spanier gegen den Deutschen ja verlor.

Er erzählte von seinem neuen Film, den er gedreht hatte. Muguruza strahlte - "ungefähr so", sagt Muguruza, als sie nochmals diese Begegnung schildert, und dabei schaut sie herzzerreißend und lieblich wie Bambi. Das kann sie wahrlich gut. Selbst wenn sie in herrlicher Untertreibung sagt: "Ich erwarte nichts", neigt man dazu, ihr bedingungslos zu glauben.

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Garbiñe Muguruza ist jene Spielerin, über die David Ferrer, der ewige Top-Ten-Profi von der Costa Blanca, schon im vergangenen Jahr prophezeite: "Sie wird eine leuchtende Zukunft haben, sie hat so viele Fähigkeiten." Weiter lobte der 24-malige Turniersieger ihre Schlaghärte, dass sie die Bälle früh nehme und auf jedem Belag klar komme. Wahre Worte sprach Ferrer, doch in einer Sache irrte er sich. Er hätte nicht von der fernen Zukunft sprechen sollen.

Schon im Mai 2014 war Muguruza ja auf der ganz großen Bühne angekommen, als sie in der zweiten Runde der French Open Serena Williams 6:2, 6:2 aus dem Court Suzanne Lenglen peitschte und bis ins Viertelfinale kam; Ende des Jahres war sie die Einzige in der Saison, die auch die Nummer zwei der Welt (Simona Halep) besiegt hatte. Im Juli 2015 wird ihre Geschichte noch besser, sie spielt ihr erstes Grand-Slam-Halbfinale in Wimbledon, dem schillerndsten Ort im Tennis; an diesem Donnerstag trifft sie auf dem Centre Court auf Agnieszka Radwanska. Sie sagt dazu: "Ich bin überrascht." Da war wieder Bambi.

Aber auf dem Weg in die Runde der letzten Vier hat sie Killerinstinkt bewiesen. Sie bezwang die gefährliche Mirjana Lucic-Baroni, die Weltranglisten-Zehnte Angelique Kerber, die Fünfte Caroline Wozniacki, zuletzt die Aufsteigerin Timea Bacsinszky, die schon mit Tennis aufgehört hatte, im Hotel arbeitete und mit ihrer Comeback-Story für Furore sorgte. Brüche wie diese im Leben kann Muguruza nicht vorweisen, und nicht alles, was sie sagt, ist wahnsinnig interessant. Dafür ist es ihr Spiel, und weil sie noch apart aussieht, bei 1,82 Meter Größe, ist das Gezerre im Hintergrund um sie schon oft intensiv gewesen. Berater, Sponsoren, Medien haben sie auf dem Radar.

Die 21-Jährige wurde in Caracas, Venezuela geboren, ihre Mutter stammt von dort, der Vater ist Baske - als sie Anfang 2014 kundtat, sie werde sich entscheiden, welche Nation sie als Profi vertritt, brach ein Kampf um sie aus. "Es wurden so viele Dinge geschrieben", erinnert sie sich, irgendwann hat sie nicht mehr in diese Internetforen geguckt. Nun tritt sie für Spanien an, im Fed Cup gab sie jüngst ihr Debüt, und in Wimbledon schrieb sie gleich Geschichte.

Sie ist die erste Halbfinalistin der Halbinsel seit Arantxa Sanchez-Vicário 1997. An solche Statistiken denke sie aber nicht. Sie denke eher daran, was sie sich von Vorbildern wie Serena Williams und Maria Scharapowa, die sich im zweiten Semifinale messen, oder von Martina Hingis abschauen kann. "Ich picke mir kleine Aspekte heraus und versuche, sie zum perfekten Spieler zusammenzufügen."

Natürlich ist ihr konsequent attackierendes Grundlinienspiel in der Summe keine Imitation; Muguruza, die in der Akademie des zweimaligen Paris-Siegers Sergi Bruguera in Barcelona ausgebildet wurde, fällt mit eigenem Stil auf. Oft steht sie noch tiefer im Feld als Scharapowa, sie strahlt eine Angriffslust aus, die so groß ist, dass bei ihren Attacken nur noch die Fanfaren fehlen für den richtigen Rahmen. Ihre Stärke ist die Furchtlosigkeit, in dieser Saison erzielte sie schon fünf Siege gegen Top-Ten-Spielerinnen, 10:15 ist in dieser Wertung ihre Karrierebilanz, ziemlich gut, dabei wird sie ja noch nur an Nummer 20 geführt.

Ihre Schwäche ist, dass sie mitunter gegen Gegnerinnen aus hinteren Regionen verliert, sie drischt dann zu sehr auf die Bälle und streut sie. In Eastbourne scheiterte sie neulich an der Nummer 146, Johanna Konta. Rasen ist allerdings nicht ihr favorisierter Belag. In Spanien, wo sie auf Asche sozialisiert wurde, "habe ich nicht so oft an Rasen gedacht", sagte sie süffisant.

Für die Frauentour ist sie ein Segen. Während bei den Männern charismatische Jungs wie Nick Kyrgios, Alexander Zverev und Borna Coric aufrücken und vermarktet werden, fehlen der WTA in der Breite Typen. Umso größer die Bürde für Profis wie Eugenie Bouchard oder Muguruza. "Garbiñes einzigartige Kombination aus superbem Talent, Charisma und Ehrgeiz spricht Sponsoren sehr an", so bescheiden sieht ein Manager des Vermarktungsriesen IMG, der die Spanierin früh vom Markt gezeichnet hat, seine Klientin.

Sie hat bereits Verträge mit einer Bank, mit einer Autofirma, alles oberste Liga. Der Erfolgsdruck ist groß, verglichen damit sind ihre entspannten Ausführungen samt den Bambiaugen bemerkenswert. "Oft wache ich auf und denke: Ich muss spielen", verriet sie vor dem Viertelfinale, "heute wachte ich auf und dachte: Ich will spielen. Ich fühle mich gut", sie stockte und ergänzte: "Ich hatte Spaß." Ihre leuchtende Zukunft findet ja schon etwas früher statt. In der Gegenwart.

© SZ vom 09.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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