Münchner Olympiastadion:Kommerzdenken schlägt Ästhetik

Beim Frauen-Finale der Champions League an diesem Abend kehrt der Fußball kurzzeitig ins ehrwürdige Münchner Olympiastadion zurück. Tatsächlich erzählt gerade die Geschichte dieser schönen Arena viel davon, wie schwierig es heutzutage ist, Stadien zu bespielen, die zwar ein wertvolles Denkmal sind, aber nicht mehr ins Anforderungsprofil eines Unterhaltungsgewerbes passen.

Thomas Hahn

Olympiastadion München

Bild aus anderen Tagen: Das Olympiastadion in München am 14. Mai 2005, als der FC Bayern dort zum letzten Mal spielte.

(Foto: Alexander Rüsche/dpa)

Der Olympiaberg ist ein guter Ort, um der Zukunft beim Älterwerden zuzusehen. Denn droben, auf seinem Gipfel, 50 Meter über Münchner Stadtniveau, hat man den besten Blick auf den Olympiapark. Auf dieses ganze raffinierte Ensemble mit Stadion, Hallen, See, Wegen und Hügeln, das einst für die Olympischen Spiele 1972 entstand. Es war mal der letzte Schrei des Sportstättenbaus, außerdem ein Symbol für das neue, weltoffene Deutschland mit seiner eleganten, durchsichtigen Dachkonstruktion. Und wenn man heute draufschaut?

Das Plexiglaszelt wirkt seltsam zeitlos, es schimmert in der Sonne, und den optimistischen Blick in die Zukunft, für das es einst stehen sollte, kann man immer noch darin sehen. Nur die Bauten darunter wirken ein bisschen verlassen, wenn man darüber nachdenkt, was heute noch in ihnen stattfindet. Verlassen vom olympischen Geist, und vor allem vom Fußball.

Es ist gar nicht so einfach, dem Münchner Olympiapark mit seinem Stadion gerecht zu werden, wenn man ihn in diesen Tagen als große deutsche Sportstätte beschreiben möchte, die für die Kultur dieses Landes ein bisschen mehr ist als einfach nur ein beliebiger Raum zur Event-Vermarktung. Lebt der Sport im Olympiapark noch? Oder ist er vor lauter Kommerzdenken irgendwie rausgeflossen aus der Landschaft am Oberwiesenfeld, welche die Architektengruppe um Günter Behnisch einst wachsen ließ?

Der Olympiapark ist nicht mehr das, was er mal war, soviel ist klar, davon lenkt auch die Tatsache nicht ab, dass das Olympiastadion an diesem Donnerstag zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder die Bühne für ein ernstzunehmendes Fußballspiel ist. Das Champions-League-Finale der Frauen zwischen Olympique Lyon und dem 1. FFC Frankfurt findet unterm Zeltdach statt, und Arno Hartung, stellvertretender Geschäftsführer und Kommunikationschef der Olympiapark München GmbH (OMG), freut sich darüber. "Wenn es auch nur für einen Tag ist", wie er mit leisem Bedauern hinzufügt.

Tatsächlich erzählt gerade die Geschichte des Olympiastadions viel davon, wie schwierig es heutzutage ist, Arenen zu bespielen, die zwar ein wertvolles Denkmal sind, aber nicht mehr so richtig ins Anforderungsprofil eines Unterhaltungsgewerbes passen. Das Olympiastadion war mal eine Art Zentrale des deutschen Fußballs. Der FC Bayern wuchs hier zum Weltverein, zwischendurch erlebte hier auch 1860 München eine Phase als Bundesligist.

Bis zu 1,8 Millionen Zuschauer jährlich brachte der Fußball zu den Hochzeiten ins Olympiastadion, aber als der FC Bayern sich als Fußballbetrieb weiterentwickeln wollte und das Olympiastadion sich wegen des Denkmalschutzes nicht zu einem voll überdachten, engen Fußballtempel ausbauen ließ, musste er weiterziehen. Am 14. Mai 2005 fertigte der FC Bayern nochmal den 1. FC Nürnberg 6:2 ab - dann zog er weiter zwischen die steilen Tribünen seiner neuen Fußball-Arena in Fröttmaning.

Einen Selbstläufer wie den Fußball, der sowohl Zuschauer bringt, als auch den Ansprüchen der Sportkultur-Kritiker standhält, hat die OMG seither vergebens gesucht. Das Snowboard-Festival Air&Style brachte vier Mal Leben unters Zeltdach. Sonst? Auch einmalige Großereignisse in olympischen Sportarten wie der Leichtathletik, die 2002 stimmungsvolle Europameisterschaften im Olympiastadion hatte, sind nicht beliebig zurückzuholen für ein Wirtschaftsunternehmen wie die OMG. Rechnen muss sich die Aufführung schließlich auch.

Vom Fußballfeld zur Autorennpiste

Und so ist es gekommen, dass Freunde des Geländes in den vergangenen Jahren manchmal etwas leiden mussten, wenn zwischen den ehrwürdigen Tribünen ein Weinfest oder ein Stockcar-Rennen stattfand. Gerade an den aufwendigen Vorbereitungen für das Champions-League-Finale der Frauen kann man sehen, dass die OMG das Olympiastadion längst einer neuen Bestimmung zugeführt hat. Die Deutsche Tourenwagen-Meisterschaft (DTM) nutzt den Innenraum Mitte Juli wieder zu einer Showveranstaltung.

Laufbahn und Feld liegen deshalb seit März unter einer Asphaltdecke, die seit drei Wochen wiederum für das Frauen-Finale unter einer Schicht aus Erde und Rollrasen verschwunden ist. 400.000 Euro kostet es, ein Fußballfeld auf einer Autorennpiste aufzubringen; Europa-Fußballverband Uefa und Stadt München zahlen zu gleichen Teilen. Und nach dem Public Viewing im Stadion zum Männerfinale kommt der Rasen montags auch gleich wieder raus.

Wir sind kein 08/15-Stadion, das ist uns bekannt", sagt Hartung, "aber wir wissen eben auch, dass wir ein Optimum erreichen müssen bei der Frage, was man mit den Anlagen anfängt." Der Konflikt ist fast nicht zu lösen, ein Motocross-Spektakel wie die X-Fighters-Serie eines Getränkeherstellers, die im August im Olympiastadion gastiert, steht eben für einen Zeitgeist, der nur wenig mit jenen Ereignissen zu tun hat, für welche Behnischs Bauten mal gedacht waren. Außerdem ist der Umgang mit dem olympischen Erbe bisweilen gewöhnungsbedürftig.

100.000 Touristen wollen jährlich das Olympiastadion sehen, für die wird nach einem Sommer mit Motorsport und Open-Air-Konzerten der Asphalt mit einem Kunstrasen belegt, auf den die Laufbahn aufgemalt wird. "Kostenfragen" nennt Hartung als Grund für die Attrappe. Die DTM soll schließlich nächstes Jahr wiederkommen.

Rund 400 Millionen Euro hat die OMG in den vergangenen 40 Jahren in den Park gesteckt, um ihn zu renovieren und umzubauen. Dabei hat nicht immer alles geklappt, aber dass der Park sein sportkulturelles Erbe vollkommen verleugnet hätte, bloß weil er sich neuen Formen der Sportunterhaltung zugewendet hat, kann man trotzdem nicht sagen. Man kann das sehen, wenn man den Olympiaberg hinaufstapft und auf die Wege und Wiesen und Hügel rund um die olympischen Bauten schaut.

Läufer bewegen sich durch den Park, Radler, Leute, die vom Schwimmen im Olympiabad kommen. Und auf den Wiesen spielen Eltern mit ihren Kindern Fußball. Es ist ein normaler Vormittag, kein Ereignis, nirgends, im Olympiastadion ruht der Rollrasen vor dem kleinen Comeback des etwas größeren Fußball. Und trotzdem ist der Olympiapark auch in diesem Augenblick voller Sport.

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