1860 München:Vorwärts in die Vergangenheit

Lesezeit: 3 min

Der ehemalige Löwen-Trainer Wettberg soll nach den Wünschen einer Fangruppe Präsident werden, doch der Aufsichtsrat fürchtet um die Sanierung des Vereins.

Klaus Ott

Am kommenden Sonntag spielt der TSV 1860 in der ersten Runde des DFB-Pokals beim VfB Lübeck, eine Woche später kommt der SC Freiburg nach München. Mit zwei Siegen könnte die nahezu runderneuerte Mannschaft die Gesundung des Traditionsklubs etwas beschleunigen. Geld verdienen lässt sich im Pokal erfahrungsgemäß erst ab der zweiten Runde, und ein Spitzenplatz in der zweiten Liga würde ebenfalls helfen, die Misswirtschaft der vergangenen Jahre schneller zu überwinden.

Zwischen den beiden Partien in Lübeck und gegen Freiburg ist allerdings ein Termin angesetzt, bei dem es für die Löwen um noch mehr geht. Die erst im Winter entstandene Fangruppierung Pro 1860, die über erheblichen Einfluss im Verein verfügt, will am nächsten Dienstag ihre Kandidaten für einen neuen Aufsichtsrat vorstellen; und womöglich werden die Pläne für ein neues Präsidium auch gleich präsentiert. Bereits in sieben Wochen wird gewählt. Dann tagt das höchste Vereinsgremium, die Delegiertenversammlung. Pro 1860 stellt besonders viele Delegierte. Als künftiger Klubchef ist bei der Fangruppierung nach Angaben von Insidern der frühere Trainer Karsten Wettberg vorgesehen, der die Löwen 1991 in die zweite Liga und im Jahr darauf zurück in die Bayernliga geführt hatte. "Wettberg soll die Schlüsselrolle spielen", sagt einer, der diese Pläne mitdiskutiert hat.

"Das alte Stadion ist Vergangenheit"

Im Aufsichtsrat löst diese Idee Kopfschütteln aus. "Das wären mehrere Rollen rückwärts", sagen Mitglieder des Kontrollgremiums. Wettberg steht beispielsweise für eine Rückkehr aus der Allianz Arena, die dem FC Bayern gehört, ins Stadion an der Grünwalder Straße. "Giesing ist die Heimat und Seele von 1860", predigt der Ex-Trainer seit Monaten. "Das alte Stadion ist Vergangenheit", entgegnen Aufsichtsräte, die sich aber noch nicht namentlich äußern wollen, solange die Vorschläge von Pro 1860 nicht offiziell vorliegen.

"Wir sagen zu gar keinen Namen irgendetwas", äußert Steffen Kläne, der Vorsitzende der neuen Fangruppe, und verweist auf eine Pressekonferenz in einer Woche im Stadtviertel Au nahe bei Giesing. Der Ort ist gewissermaßen Programm. Dass Wettberg Präsident werden soll, dementiert Kläne nicht: "Das lasse ich jetzt unkommentiert." Wettberg selbst war am Dienstag nicht erreichbar; er hat aber schon Ende Juli angekündigt, er stehe beim TSV immer "für eine Tätigkeit bereit, um zu helfen".

In den vergangenen Wochen haben die Aktivisten von Pro 1860 viele Gespräche geführt, um ihnen genehme Kandidaten für den neunköpfigen Aufsichtsrat und das dreiköpfige Präsidium zu finden. Und sie wurden fündig, unter anderem offenbar auch bei Wettberg. Bei einer dieser Gesprächsrunden, berichten Teilnehmer, habe er seine Bereitschaft und sein Interesse bekundet, den Vorsitz zu übernehmen. Unter Umständen könnte das schon bei der Delegiertenversammlung am 23. Oktober geschehen, falls das höchste Klubgremium nicht nur einen neuen Aufsichtsrat wählt, sondern sich auch gleich noch ein neues Präsidium wünscht.

Geschähe letzteres nicht, dann müsste spätestens im März 2007, wenn die Amtszeit des derzeitigen Präsidenten Alfred Lehner ausläuft, eine neue Vereinsspitze bestimmt werden. Gewählt wird das Präsidium vom Aufsichtsrat, und den will die neue Fangruppierung weitgehend mit Leuten ihrer Vertrauens besetzen. Aus dem aktuellen Kontrollgremium sollen allenfalls drei Leute übrig bleiben, so sie denn überhaupt dazu bereit wären, unter diesen Umständen weiter zu machen: Oberbürgermeister Christian Ude, Ex-Profi Fredi Heiß (1966 mit 1860 Deutscher Meister) und TV-Produzent Otto Steiner, der sich im Frühjahr selbst um das Präsidentenamt beworben hatte. Alle anderen Aufsichtsräte sollen gehen, darunter die ehemalige Kultusministerin Monika Hohlmeier.

Eine Fangruppe, viele Strömungen

Ob das so kommt, bleibt abzuwarten. Pro 1860 stellt zwar 120 Delegierte bei der Versammlung am 23. Oktober, die neue Fangruppe ist aber kein homogenes Gebilde. Es gebe viele Strömungen, sagen Vereins-Funktionäre, die sich ein Bild von Pro 1860 machen könnten: Realos, die den Sanierungskurs mit den Geschäftsführern Stefan Ziffzer und Stefan Reuter fortsetzen wollten; Fundis, die alles wieder umkrempeln wollten; Freunde von Giesing, denen die neue Arena ein Greuel sei; und so fort. Das macht die neue Fangruppe in gewisser Weise unkalkulierbar, und letztlich auch den Verein. Nichts ist gewiss, alles ist möglich.

Beispielsweise ein Präsident Wettberg, der das Heil von 1860 vor allem in der Abgrenzung zum großen Nachbarn sähe. In den internen Gesprächen habe Wettberg eine "Loslösung vom FC Bayern" und dessen Arena als Parole ausgegeben, berichtet einer, der mit am Tisch saß. Auch habe Wettberg das derzeitige Management kritisiert. Ein Aufsichtsrat befürchtet, Wettberg könnte als Vereinschef die Geschäftsführer Ziffzer und Reuter vergraulen. Und das, nachdem die beiden es geschafft haben, 1860 vor der Pleite zu bewahren und eine neue Mannschaft aufzubauen, mit der sich die Fans wieder intentifizieren.

Allerdings, aus Sicht von Pro 1860, in der falschen Arena.

© SZ vom 5.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: