München und Olympia 2022:Abhängig von den Interessen eines Mannes

Nie war es so einfach, den Zuschlag für die Olympischen Winterspiele zu bekommen, wie für München 2022 - aber nur theoretisch. Störenfried ist ausgerechnet der Deutsche Olympische Sportbund, dessen Chef Thomas Bach den Posten des IOC-Präsidenten anstrebt. Von seinen Interessen hängt alles ab.

Von Thomas Kistner

Graubünden sagte Nein zu Olympia. Hurra! Kriegt jetzt München die Winterspiele 2022? Im Prinzip ja.

Wenn nur die Realität nicht wäre.

Stimmt schon, geopolitisch ist der Weg nahezu frei. Dass es trotzdem schlecht aussieht, liegt in jener Parallelwelt begründet, die sich Sportpolitik nennt. Dort spielt in der Frage um eine deutsche Olympiabewerbung ein höchst banales Einzelthema die Hauptrolle: Was will Thomas Bach? Diese Realität haben Münchens Befürworter schon einmal unterschätzt, bei der krachend gescheiterten Bewerbung um die Winterspiele 2018. Nun droht, im erneuten Olympia-Taumel, der nächste Blackout.

Ja, München wäre Favorit. Das Schwergewicht in der erfolgreichsten Wintersportnation der Welt müsste Lemberg oder Krakau nicht fürchten. Auch träte es ja das zweite Mal an. Zudem kann es sich das IOC nicht leisten, nach dem Tiefschlag im Wintersportland Schweiz, vor der eigenen Haustür, der viel über den Interessensschwund an diesen Spielen besagt, den letzten attraktiven Kandidaten zu verprellen. Schon die nächsten zwei Winterspiele kommen ja aus der Retorte: Sotschi 2014 und Pyeongchang 2018 zimmern ihre Technikmodule irgendwo in gesichtsloses Gelände.

Danach wird der Katzenjammer anheben um all die Weißen Elefanten, wie Sportstätten heißen, die nach Olympia oder Fußball-WM vor sich hin rotten. Solche Elefanten müssten auch die potenziellen Münchner Rivalen hinbauen, nachdem Kaliber wie Frankreich, Schweiz und USA abgesagt haben. Auch in Oslo zeichnet sich ein Nein der Bevölkerung ab. Barcelona (im Finanzloch Spanien) würde sich das IOC so ungern aufhalsen wie das politische Pulverfass Ukraine, das bei der Fußball-EM 2012 gefährlich vor sich hinkokelte. Auch in Polen müssten neue Sportstätten entstehen.

Da wäre München der große Halt. Der Wunschkandidat aus Sicht eines IOC, das um die Zukunft bangen muss. Und aus deutscher Perspektive ließe sich ob dieser starken Position das Anforderungskorsett der Olympier lockern. Man müsste sich nicht mehr jedes Detail abpressen lassen von hochfahrenden Sportpolitikern. War es je entspannter, Spiele zu ergattern?

All das aber darf München, das schon wieder frohlockt und erste Fachstäbe bildet, flott vergessen. Denn die Sportpolitik in diesem Land bestimmt, von der Ablehnung harter Anti-Doping-Gesetze bis zur Olympia-Bewerbung, allein der Deutsche Olympische Sportbund. Und im DOSB hat einer das Sagen: Präsident Thomas Bach.

Stramm eskortiert von seinem General Michael Vesper, der Bach beerben könnte, so wird in hohen Verbandskreisen besorgt geraunt. Fechter Bach, der mehr als zwei Dekaden den deutschen Sport beeinflusste und doch selbst nur ein Schattenriss blieb, ist ein meisterlicher Strippenzieher. Nun will der Wirtschaftsberater IOC-Präsident werden. Während er sich offiziell ziert und so tut, als würden einem solche Posten zufliegen im Weltsport, der sanfter Karrierewege ja unverdächtig ist, weiß im IOC jeder, dass Bach mit Verve auf den Thron zustrebt. Der wird im September neu besetzt.

Brave Sportfunktionäre ziehen mit

Ob er es schafft oder nicht, davon hängt alles ab. Schließlich trifft im Herbst nicht München, sondern der DOSB den Vorentscheid zur Bewerbungsfrage: Winter 2022, Sommer 2024 - oder erstmal gar nichts?

Die Sportfunktionäre ziehen wie stets brav mit. Alfons Hörmann, immerhin Chef des Skiverbandes, meinte jüngst bei der WM im Val di Fiemme, die Bewerbungsfrage werde geklärt "im Verbund mit dem, was auf der IOC-Ebene passiert". Richtig. Weshalb naiv ist, wer Münchens Chancen am Grünlicht aus Graubünden festmacht. Wer das tut, tut es sogar wider besseren Wissens. Dass die Winterbewerbung 2018 eine Farce war, hatten am Abend nach dem Desaster ja selbst die Münchner begriffen. Da bezweifelte niemand mehr, dass es nur ums Taktieren ging, darum, mit der Winterkampagne eine Sommerbewerbung zu vermeiden: Denn diese Kür findet im September statt, zeitgleich mit der IOC-Thronwahl. Und zwei Voten für Deutschland sind ausgeschlossen.

Also legte sich damals Bachs DOSB blitzschnell fest, schon 2007. Um mit Münchens Kandidatur Klarheit zu schaffen, bevor erwartungsgemäß der glasklare Favorit Pyeongchang in den Ring zurückkehrte, der gerade das zweite Mal abgewiesen worden war. Dass im IOC der Ausgang dieser Kür stets Konsens war, zeigte das Erdrutsch-Resultat: München ging baden mit 25 Voten, die Südkoreaner erhielten 63. Das sei immer klar gewesen, beteuerten nach der Kür in Durban so viele IOC-Leute, dass nur die Frage bleibt, ob Münchens Anführer Bach je selbst geglaubt hatte, was er Mitstreitern und einem erwartungsfrohen Publikum all die Zeit erzählte.

Auch jetzt geht es nicht um München. Es geht um den Thron. Das ergibt zwei Szenarien: Scheitert Bach, ist eine Bewerbung sehr wahrscheinlich. Dann stünde die Abrechnung an im deutschen Sport, wo sich auch unter ihm vieles fragwürdig fortentwickelte: ein eng mit dem Staat vernetzter Sport mit laxer Betrugsbekämpfung und Dopingproblemen, die nicht aus externen Blutpfuscherkreisen, sondern aus dem Verbandssystem selbst erwuchsen, sogar aus Universitätsbetrieben. Ein Sport mit Athleten, die jüngst bei einer Studie alarmierende Zustände in den Bereichen Doping und Spielmanipulation vortrugen. Zu alledem noch eine gescheiterte Thronschlacht: Wäre da nicht eine neue, fast sichere Bewerbung hilfreich? Sie würde Kritiker zurück ins Glied zwingen - und könnte einem drohenden Relevanzverlust entgegenwirken.

Wenn Bach aber Präsident wird? Dann fragt sich, wie stark sein Bedürfnis wäre, sich für neun der auf zwölf Jahre begrenzten Amtszeit sogleich eine deutsche Kandidatur plus Organisation als nationale Nebenbaustelle aufzuladen. Erst 2015 wird gewählt, diese Spiele finden 2022 statt. Auch macht man sich mit Winterspielen, die nicht mal in Deutschland das ganze Volk fesseln, nicht unsterblich, und vor allem wäre der Traum von Sommerspielen ausgeträumt. Die aber dürften sich, in zwölf Jahren an der IOC-Spitze, doch irgendwie einrichten lassen: Etwa zum Abschied an den Präsidenten 2025, wenn wieder Sommerspiele vergeben werden. Könnte es dann Berlin 2032 sein? Und der Person ein Denkmal setzen, die es maßgeblich bewirkt hat?

Das sind so Gedanken. Keine Frage ist, dass sich etwas tun müsste im Sportland, falls es nicht einfach nur still um ein günstiges IOC-Wahlergebnis beten will. Geradezu Revolutionäres müsste sich Bahn brechen: nämlich die Erkenntnis, wie absurd es ist, die sportive Zukunftsplanung eines 80-Millionen-Landes den Karrierezielen einzelner Funktionäre unterzuordnen.

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