1860 München:Ismaik entgeht einiges

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Ein Spiel zweier Teams, die sich zu Saisonbeginn noch sortieren, wird in den Schlussminuten zum Spektakel, die Sechziger gewinnen.

Von Philipp Schneider, München

Manchmal erhält einer ja tiefereren Einblick in die Materie, wenn die Perspektive ein wenig geändert wird. Oder wenn er irgendwo plötzlich ganz genau hinsieht, weil irgendwo auf einmal etwas ganz anders ist als bei tausend Besuchen zuvor. Am Samstag hingen mal wieder all die liebevoll gestalteten Plakate am nördlichen Zaun in der Fröttmanninger Arena. Beispielsweise ein Transparent des offenbar von weit her angereisten "Löwen-Fanklub Mallorca e.V", oder eines der etwas näher gelegenen, aber wohl anglophilen "Blue Lions Forstenried". Die schönen Banner waren dort schon immer angebracht, nur waren sie einem noch nie so aufgefallen wie in den vergangenen zwei Wochen. Seit sie nicht mehr verdeckt und in den Schatten gestellt werden von den nordkurvenfüllenden Transparenten der Ultragruppierungen Cosa Nostra und Giasinga Buam, die seit Saisonbeginn die Heimspiele boykottieren. Und es plötzlich so leise ist beim TSV 1860 München.

Der mit jedem Lebensjahr geheimnisvoller werdende Investor Hasan Ismaik, offenbar 39 Jahre alt, hatte kürzlich von seinem Pressebüro (einmal vorausgesetzt, dass das Pressebüro überhaupt Instruktionen erhält und nicht vollkommen autark operiert) seinen Schmerz über das Fernbleiben der stimmmächtigen Männerchöre ausrichten lassen. "Liebe Löwen, es hat mich traurig gemacht, dass die Nordkurve beim 1:0-Sieg gegen Bielefeld teilweise leer geblieben ist, weil sich die Ultraszene aus den verschiedensten Gründen verabschiedet hat", schrieb das Büro auf Facebook. Manch einer durfte diese Stellungnaheme als kurios empfinden, weil ja Ismaiks stetig wachsender Einfluss im Verein einer der Gründe ist für die Politik der leeren Sitzschalen. "Deswegen appelliere ich an Euch: Kommt zurück zu 1860! Ich kann unserer Ultrabewegung nur anbieten, dass ich bei meinem nächsten München-Besuch einen großen Fan-Gipfel einberufe, bei dem alle Dissonanzen auf den Tisch kommen."

Es ging um viel Geld für die Sechziger

Für das avisierte Treffen gibt es noch keinen Termin. Dafür aber stand am Samstagabend ein nicht unwichtiges Fußballspiel in München an: Ismaiks Klub empfing in dessen und der abermaligen Abwesenheit der Ultras den Zweitliga-Rivalen Karslruher SC in der ersten Runde des DFB-Pokals. Ismaik, den Giasinga Buam und der Costra Nostra entging am Ende doch einiges im dritten Pflichtspiel unter der Anleitung von Sechzigs neuem Trainer Kosta Runjaic. Der zweite Sieg, diesmal ein 2:1 - nach Toren von Stefan Aigner (60.), Dimitrios Diamantakos (67.) und Karim Matmour nach Vorlage von Aigner in der zweiten Minute der Nachspielzeit. Sie alle verpassten ein Spiel, in dem es für 1860 trotz Ismaiks großer Darlehensoffensive um viel Geld ging, woran Geschäftsführer Thomas Eichin erinnerte. Im Pokal, sagte Eichin, "kann man relativ schnell für Euphorie sorgen und viel Geld verdienen".

Es dauerte allerdings eine ganze Weile, ehe auf dem Rasen die ersten gepflegten Kombinationen dargeboten wurden. Und noch etwas länger, nämlich bis zur Nachspielzeit, dauerte es, ehe sich in der ultrabefreiten Kurve so etwas wie eine Vorstufe der Euphorie einstellte. Und wie es nun einmal so ist nach Last-Minute-Siegen, erkannte der unterlegene Trainer, in diesem Fall Tomas Oral vom KSC, die gute Gelegenheit, von einem "glücklichen Sieg" für die siegreiche Mannschaft zu reden und davon, soeben "eine der bittersten Niederlagen in den letzten Jahren erlebt" zu haben. Das war freilich etwas übertrieben. So sah es auch Sechzigs Torwart Jan Zimmermann, der einen Rückstand in der ersten Halbzeit mit zwei sehr guten Reflexen verhinderte und zunächst einen Schuss von Enrico Valentini (4.), dann einen von Gaetan Krebs (20.) klärte. Zimmermann wies darauf hin, dass der KSC gegen Ende seine Offensivbemühungen eingestellt hatte. "Wir aber sind weiter auf dem Gaspedal geblieben. Wenn du mit dem 1:1 nicht zufrieden bist, sagt das schon viel über eine Mannschaft aus", sagte Zimmermann.

Liendl sorgt für den ersten Höhepunkt

Nur eine personelle Änderung nahm Sechzigs Trainer Kosta Runjaic im Vergleich zum 1:0 gegen Bielefeld in der Liga vor, und diese wurde ihm auch noch von der mezinischen Abteilung aufgetragen: Fanol Perdedaj ersetzte den verletzten Filip Stojkovic und rückte auf die Position des rechten Verteidigers. Ansonsten schüttelte der Trainer sein Personal nur ein wenig durcheinander: Im 4-1-4-1 rückte Daylon Claasen vom linken Flügel auf die halbrechte Position, Karim Matmour kam zu einem Einsatz auf der Außenbahn.

Auf eine ereignisarme erste Hälfte, in der die Münchner - abgesehen von Zimmermanns schönen Paraden - vor allem wenig erfolgreiche Distanzschüsse und nicht zu Ende gespielte Passstafetten beisteuerten, folgte eine wesentlich unterhaltsamere zweite. Nachdem Runjaic Claasen zurück auf den linken Flügel beordert hatte - und Matmour auf Halbrechts.

Für einen ersten kleinen Höhepunkt sorgte Michael Liendl, der den Ball über die Latte drosch (49.). Im Gegenzug zirkelte Valentini den Ball aufs Tor und Zimmermann zeigte den nächsten guten Reflex. Ivica Olic, der als alleinige Sturmspitze wieder mal viel unterwegs war, köpfelte eine Hereingabe von Maxi Wittek knapp daneben. Und kurz darauf war der 36-jährige Kroate am bislang schönsten Spielzug beteiligt: Er nahm einen Pass von Daylon Claasen, verlängerte ihn zu Matmour, der zog einen Sprint an in den Strafraum und hatte den Blick für den besser positionierten Aigner. Ein kleiner Spurt, ein Schlenzer, das 1:0 (60.).

Beide Mannschaften haben sich zu Saisonbeginn noch nicht sortiert

Dass der KSC fast im direkten Gegenzug wieder ausglich, passte irgendwie zu diesem Spiel zweier Mannschaften, die sich zu Saisonbeginn noch nicht sortiert haben. Sechzigs Innenverteidiger Milos Degenek verschätzte sich bei einer Hereingabe von Manuel Torres, Diamantakos schoss freistehend vom hinteren Pfosten ein - das 1:1 (67.).

Runjaic war durchaus darauf aus, diese Partie noch in der regulären Spielzeit zu entscheiden und entschied sich für einen mutigen Wechsel: Er brachte den Brasilianer Victor Andrade für Wittek, weswegen der schmächtige Claasen als Linksverteidiger aushelfen musste. Sechzig erhöhte daraufhin den Druck, Aigner zog auf der rechten Seite noch einmal einen Sprint an und flankte auf Höhe des Strafraums, wo Matmour lauerte - das 2:1. "Ich hatte keinen Bock auf Verlängerung und dachte schon: Scheiße", gestand Aigner später, "es war sehr kräftezehrend. Von daher war es wichtig, dass wir es in den 90 Minuten schaffen."

© SZ vom 21.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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