1860 München: Fanproteste:Die pöbelnde Mehrheit

Weil im Spiel gegen Cottbus zahlreiche Ultras im Stadion wegen ihres Protests gegen den neuen Investor beschimpft wurden, entzweit sich das Fanlager der "Löwen". Sozialarbeiter Lothar Langer vom Münchner Fanprojekt versucht zu vermitteln.

Markus Schäflein

Auch einige Tage später kann Lothar Langer noch nicht fassen, was am Samstag passiert ist. Der Sozialarbeiter ist beim Fanprojekt München für den Fußball-Zweitligisten TSV 1860 zuständig und mithin Kummer gewohnt, aber die Ereignisse vom Wochenende überraschten selbst ihn. "Es war unglaublich, wie viel Antipathie und Hass gegen die Fans aus dem Ultrabereich da zu spüren war", sagt Langer.

1860 Muenchen v Energie Cottbus - 2. Bundesliga

Gespaltene Kurve: Während einige Fans des TSV 1860 den neuen Investor aus Jordanien begrüßen, stößt die Übernahme bei den Ultras auf Widerspruch.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Die vornehmlich jugendlichen Fans der Cosa Nostra, weitere Ultras und ihre Sympathisanten hatten sich zu einem Stimmungsboykott entschlossen - ob der am Samstag beim 4:0 gegen Cottbus in der Arena gastierende interessierte Investor Hasan Ismaik zu begrüßen sei, war aus ihrer Sicht nämlich zweifelhaft. Die Lage sei zu unübersichtlich, meinten sie, eine "Denkpause" angebracht.

Sie entschlossen sich, nicht lautstark gegen die Investorenlösung zu protestieren - aber eben zu schweigen. Auf diesen Mittelweg hatten sie sich mit 1860-Präsident Dieter Schneider geeinigt, der sich damit einmal mehr als glänzender Kommunikator ohne Berührungsängste bewiesen hatte.

Hypnotisiert vom Retter

"In den Diskussionen vor dem Spiel habe ich dann schon gemerkt, dass sich sehr viele Leute freuen auf diesen Investor oder irgendeinen, der Geld bringt", sagt Langer, "die Sechziger-Fangemeinde lechzt nach einem starken Mann." Viele Anhänger seien "sehr euphorisiert" gewesen. "Sie waren wie hypnotisiert, dass der Retter da war." Als klar wurde, dass die Ultras nicht anfeuern würden, sei die Freude über die Anwesenheit des Investors einer "hasserfüllten Gesamtstimmung" gegen "die Ultradeppen" gewichen: "Viele Leute hatten null komma null Verständnis für diesen Protest."

Zuerst habe es "nur Pöbeleien und Sprechgesänge" gegen die Cosa Nostra und ihre Sympathisanten gegeben. Als die Ultra-Gruppierung "Giasinga Buam" nach der Halbzeitpause ein Transparent entrollte ("Die, die Freiheit wollen, stehen hier. Arena-Freunde, wo seid ihr?"), eskalierte die Lage.

Probleme mit Neonazis

Bierbecher und Feuerzeuge flogen aus dem Mittelrang und von den oberen Plätzen des Unterrangs auf die Ultras, es wurde geschimpft und gespuckt. Während die benachbarten Bayern angesichts ihrer Fanprobleme gerne von einer schweigenden Mehrheit reden, hatte 1860 am Samstag eine pöbelnde Mehrheit. Die Anhänger, die das Investorengeschäft ablehnen, hielten sich hingegen vornehm zurück.

Es kam zudem zu Handgreiflichkeiten zwischen Ultras und Fans aus dem rechtsextremen Lager, die bei den Heimspielen stets im Block 132 zu finden sind. Aus Langers Sicht fand am Samstag zwar in erster Linie ein Konflikt zwischen jener pöbelnden Mehrheit und den schweigenden Ultras statt; weil sich aber auch die rechtsradikalen Anhänger für einen Investoreneinstieg aussprechen, fiel der Blick auch auf dieses Problem der 1860-Fanszene.

Der rechtsextreme Block habe sich "in den vergangenen Monaten verstärkt", sagt Langer. "Da sind viele Kaderleute dabei, die in Netzwerken aktiv sind, Demos organisieren und strategisch denken und handeln", sagt er, "teilweise ganz wichtige Leute aus der bayerischen Neonaziszene."

Präsident Schneider erkennt die Notwendigkeit, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. "Für mich sah es so aus, dass die Neonazis in der Kurve provoziert haben", sagte er der AZ. "Ich hoffe, dass es gute Videoaufzeichnungen gibt und wir Beweise in die Hand bekommen, um gegen diese Gestalten vorzugehen. Wir wollen nichts mit Neonazis und anderen Rassisten zu tun haben."

Langer wünscht sich noch viel mehr Fanarbeit seitens des Klubs. "Die Vereinsführung muss die Lager endlich auffordern, sich an einen Tisch zu setzen und miteinander zu reden. Jetzt wäre dazu mal die Chance. So kann es nicht mehr weitergehen", sagt er. 1860 habe "in weiten Teilen eine der uninformiertesten und trägsten Fankurven", die Anhänger seien "satt vom vereinspolitischen Wirrwarr" und "sehr ungeübt in Kommunikation", meint er: "So wenig Miteinander gibt es fast nirgends." Dies sei "durch die Vereinspolitik der vergangenen Jahre gestärkt" worden.

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