1860 München:"Als junger Spieler bist du machtlos"

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Stürmer Benjamin Lauth über seinen rasanten Aufstieg, seine Lehrjahre in der ersten Liga, die Rückkehr zu 1860 München und seine Ziele.

Moritz Kielbassa und Gerald Kleffmann

Benjamin Lauth, 26, geboren in Hausham, kam als 11-Jähriger zum TSV 1860 München und durchlief alle Jugendmannschaften. 2001 schaffte der Stürmer den Durchbruch zu den Profis, in der folgenden Saison erzielte er 13 Tore. Im Dezember 2002 spielte Lauth zum ersten Mal in der Nationalmannschaft beim Benefizspiel für die Flutopfer; dort gelang ihm ein Fallrückziehertor, das zum Tor des Jahres gekürt wurde. In der Saison 2003/2004 brachte ein Mittelfußbruch den Karriereknick des 5-maligen Nationalspielers. Nach dem Erstligaabstieg der Löwen 2004 spielte Lauth für den Hamburger SV, den VfB Stuttgart und Hannover 96. Bei 1860 hat Lauth einen Vertrag bis 2011 unterschrieben.

Benjamin Lauth will helfen, dass die Löwen wieder in die erste Liga aufsteigen. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Lauth, können Sie das Wort phlegmatisch noch hören?

Lauth: Phlegmatisch, hm - ich hab da im Internet schon mal nachgelesen. Wenn man denkt, das ist nur etwas Negatives, dann irrt man sich. Phlegma hat auch viele positive Eigenschaften. Es trifft schon ein bisschen auf mich zu.

SZ: Im positiven Sinne bedeutet phlegmatisch: ordentlich, zuverlässig, diplomatisch. Bei Ihnen bezogen sich die Kritiker aber auf die negative Bedeutung: Sie seien auf dem Platz oft zu blutleer, mit zu wenig Biss und Durchsetzungswillen.

Lauth: Ach, ich habe das schon tausendmal gesagt: Wenn es gut läuft bei mir, heißt es: Der ist locker und geschmeidig. Wenn's nicht läuft, bin ich behäbig und lasch. So ist das Geschäft.

SZ: Vier Jahre haben Sie dieses Geschäft fern der Heimat erlebt, jetzt ist der "verlorene Sohn" zurück. Fühlen Sie sich wie ein Nach-Hause-Gekommener?

Lauth: Ja, schon. Ich war elf, als ich mein erstes Probetraining hier gemacht habe. Wenn du seit der D-Jugend bei einem Verein bist, dann ist das Heimat. Ich habe erlebt, wie sich alles entwickelt hat. Man kennt das Gelände. Und man kennt die Menschen.

SZ: Sie haben gesagt: Ich wechsle nicht in die Zweite Liga, ich wechsle zu Sechzig!

Lauth: Es hat bei meiner Entscheidung keine Rolle gespielt, in welcher Liga 1860 spielt. Ich wäre zu keinem anderen Zweitligisten gegangen, aber ich wollte hierher. Ich bin der Meinung, dass die Löwen zu Unrecht in der zweiten Liga spielen. Ich will mithelfen, dass sie wieder dorthin kommen, wo sie hingehören. Wenn man die Rahmenbedingungen hier sieht, dann sind so viele Jahre in der zweiten Liga einfach schade.

SZ:Als junger Profi bei 1860 startete Ihre Karriere kometenhaft: eine tolle Saison an der Seite von Markus Schroth, Aushängeschild, Nationalspieler, Tor des Jahres, Nutella-Werbung, Spitzname: Benny Bomber. Glauben Sie heute, dass manches damals zu schnell ging?

Lauth: Es war schon extrem. Aber als junger Spieler bist du machtlos. Im Nachhinein hätte man sicher das eine oder andere Interview weglassen, sich weniger zeigen können. Aber ich wusste als junger Spieler nicht, wie das alles funktioniert. Das kam ja von heute auf morgen. Und für den Verein war es damals auch eine gute Gelegenheit, sich mit einem Talent aus der eigenen Jugend nach außen zu präsentieren. Also haben die auch nicht gesagt: Wir nehmen den Spieler komplett raus.

SZ: Haben Sie irgendwann gemerkt, dass Sie gar nicht dieser Benny sind, dieser "junge Wilde", diese Werbefigur, den die Öffentlichkeit oft gezeichnet hat?

Lauth: Die Leute von außen hatten diesen anderen Eindruck von mir. Es sah so aus, als würde ich mich gerne überall im Vordergrund zeigen. So bin ich nicht. Aber ich konnte das nicht stoppen.

SZ:Wie sind Sie denn wirklich?

Lauth: Offen, aber eher ruhig. Ich stehe nicht gerne vorne dran.

Lesen Sie weiter auf Seite 2: Lauth über sein Verhältnis zu den Trainern und die Stationen seiner Karriere.

SZ: Für Journalisten sind Sie trotzdem eine Reizfigur geblieben. Erst kürzlich wurden Sie mit einem teuren Sportwagen fotografiert, den schon James Bond fuhr. Dazu die bissige Schlagzeile: "Autos wie 007, spielt aber 08/15".

Hatten sich von ihrem Wechsel nach Hamburg mehr versprochen: Banjamin Lauth (links) und Ailton. (Foto: Foto: Reuters)

Lauth: Solche Schubladen kann man manchmal nicht verhindern. Aber man lernt, damit umzugehen. Wenn solche Dinge in der Welt sind, ist es schwer, sie zurechtzurücken. Ich will das auch gar nicht. Ich muss mich nicht rechtfertigen.

SZ: Sie sind 1860 abgestiegen. Damals hieß es: Trainer Falko Götz sei eifersüchtig gewesen, weil mit Ihnen ein Star in der Mannschaft war. Der Eindruck war: Götz hat sie schlecht behandelt. Und damit Ihre Entwicklung aufgehalten.

Lauth: Es hat manches nicht gepasst, aber mir liegt nichts daran, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Mit Peter Pacult als Trainer kam ich vorher besser zurecht, das ist kein Geheimnis. Als Junger habe ich oft nicht verstanden, dass sich der Trainer (Götz, d.Red.) bei Kritik von außen nicht vor mich gestellt hat.

SZ: Von Marco Kurz können Sie solche Rückendeckung nun erwarten. Sie sind mit dem Löwen-Trainer befreundet. Könnte das der Schlüssel sein, damit bald wieder der alte, torgefährliche Lauth zu sehen sein wird?

Lauth: Es ist immer gut, wenn du weißt, dass du bei ein, zwei schlechten Spielen nicht sofort aus der Mannschaft fliegst. Der Trainer war sehr wichtig für meine Entscheidung, hierher zu kommen. Wir hatten ja auch privat immer Kontakt. Aber dass ich Marco gut kenne, ist keine Garantie für mich. Ich muss Leistung bringen, wie jeder.

SZ: Lassen Sie nochmal Ihre vier Auswärtsjahre Revue passieren. Sie waren 2004 auch beim FC Bayern im Gespräch, gingen dann nach Hamburg . . .

Lauth: Ich habe mir meinen Verein selber ausgesucht, ich musste nirgendwo hingehen, weil mich ein anderer nicht wollte. Bei allen Entscheidungen hatte ich das richtige Näschen. Als ich nach Hamburg ging, war der HSV noch eine graue Maus im Mittelfeld, aber ich spürte: Da entsteht was - und so ist es gekommen. Dann ging ich nach Stuttgart - und wurde Deutscher Meister. Und jetzt bei Hannover das Gleiche: Wir haben die beste Bundesliga-Saison des Vereins seit ewigen Zeiten gespielt.

SZ: Klingt alles wunderbar. Leider war Ihre persönliche Bilanz das nicht.

Lauth: Für mich lief es nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte und wie es sich die Leute von mir erwartet haben. Die Messlatte lag durch meine Zeit bei 1860 eben sehr hoch.

SZ: Sie waren quasi auf dem Gipfel ins Geschäft eingestiegen.

Lauth: Ja, das war schon eine Bürde. Beim HSV hatte ich zweieinhalb schöne Jahre, im zweiten wurden wir Dritter, wir haben den UI-Cup gewonnen und ich habe im Team die meisten Spiele gemacht. In Stuttgart wurden wir Meister, in den letzten Spielen war ich immer von Beginn an dabei. Und in Hannover hatte ich auch über 20 Einsätze. Wäre ich vorher ein Durchschnittsspieler gewesen, dann würde sich das alles gar nicht so schlecht anhören. Aber alle, auch ich, hatten mehr erhofft. Deshalb heißt es jetzt: Der ist gescheitert.

SZ: Sie sehen das natürlich anders?

Lauth: Ich bin nicht zufrieden, wie es gelaufen ist. Aber "gescheitert" ist eindeutig übertrieben.

SZ: Es gab 2007 sogar mal die Kicker-Schlagzeile: "Der schlechteste Bundesliga-Spieler der Hinrunde".

Lauth: Das wurde anhand irgendwelcher Noten errechnet. So etwas ist nicht schön, aber ich nehme es nicht so ernst.

Lesen Sie weiter auf Seite 3: Die Besonderheiten der Stürmerposition und die Liebe zu München.

SZ: Warum gibt es bei Stürmern immer wieder diese besonderen Leistungs-Extreme: Mal wochenlang Weltklasse, dann rätselhaft schwach?

Lauth: Das ist das Reizvolle an dieser Position. Mario Gomez hat gesagt, bei Stuttgart konnte er schießen, wie er wollte - der Ball ging rein. Jetzt bei der EM legt ihm im ersten Spiel gegen Polen Klose den Ball rüber, der hätte nur ein bisschen sauberer gespielt sein müssen, dann hätte Mario nach drei Minuten sein erstes EM-Tor erzielt - und das Turnier wäre vielleicht anders gelaufen. So geht der erste Ball vorbei, der zweite auch, gegen Österreich springt ihm der Ball vor dem leeren Tor nochmal auf, schon kommst du in einen Negativlauf. Du schaltest deinen Kopf ein - und vorher hast du ohne Nachdenken jeden Ball getroffen.

SZ: Das könnte bedeuten: Ein positives Schlüsselerlebnis - und Benjamin Lauth ist bei den Löwen wieder der alte Torjäger.

Lauth: Zu treffen, ist halt das wichtigste, auch wenn man vorne nur angeschossen wird. So ist es.

SZ: Bei 1860 hat ihre Rückkehr Euphorie ausgelöst. Der Geschäftsführer sprach von einem "Signal", viele Fans träumen. Wie können Sie die hohen Erwartungen erfüllen?

Lauth: Ich werde den jungen Spielern auf alle Fälle sagen, dass man durch guten Teamgeist sehr viel erreichen kann. Das ist nach meinen Jahren im Profifußball die wichtigste Erkenntnis. Das beste Beispiel war Stuttgart: Das war eine verschworene Einheit, auch die ganze Ersatzbank ist bei Toren aufgesprungen. Wenn du eine Supertruppe hast, läuft es. In Hamburg lief es sofort schlechter, als das Team durcheinandergewürfelt wurde. Es ist immer wichtig, einen Kader zu verstärken, aber man darf nie vergessen, wie alles zusammenpasst.

SZ: Passt das Energiefeld hier bei 1860. Oder fehlen noch ein paar Buddhas?

Lauth: Die ersten Eindrücke waren sehr gut. Die älteren und die jungen Spielern harmonieren gut.

SZ: Treibt Sie der Gedanke an, zusammen mit einigen Kollegen von damals (Schwarz, Hofmann, Hoffmann, Bierofka, Schroth) den Betriebsunfall des 2004-Abstiegs endlich zu korrigieren?

Lauth: Ich sehe es eher positiv: Das war damals ein Ausrutscher, und jetzt ist mein Ansporn, dass ich mich nicht lange in der zweiten Liga aufhalten will.

SZ: Stimmt eigentlich das Image vom "bayerischen Bub". Brauchen Sie - wie Daniel Bierofka - die Münchner Wohlfühlatmosphäre?

Lauth: Ich bin froh, wenn meine Freunde und die Familie nah bei mir sind. Und München bietet eine sehr hohe Lebensqualität. Deshalb bin ich natürlich am liebsten hier, aber ich habe mich auch in Hamburg sehr wohl gefühlt. Ich kann auch woanders leben.

© SZ vom 05.07.2008/pes - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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