Motorsport:Ferraris Aufstand gegen die neue Formel 1

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Ferrari-Pilot Sebastian Vettel (rechts) neben Weltmeister Lewis Hamilton. (Foto: REUTERS)
  • Sergio Marchionne, der Vorstandsvorsitzende von Ferrari, droht schon seit Wochen mit dem Ausstieg seines Teams aus der Formel 1.
  • Anlass sind die Reformideen von Liberty Media, dem neuen Rechteinhaber der Rennserie. Ferrari geht es um Mitbestimmung und die Wahrung alter Privilegien.
  • Allerdings gibt es Anzeichen dafür, dass die Italiener nur bluffen.

Von Philipp Schneider, Maranello/München

Sergio Marchionne trug mal wieder seinen dunklen Pullover. Natürlich tat er das. Sergio Marchionne ist ein Mann mit klaren Vorstellungen von seinem Leben, und zu diesem Leben als Vorstandschef von Fiat-Chrysler und Vorstandsvorsitzender von Ferrari gehört aus seiner Sicht auch die Freiheit, dass er anziehen darf, was er möchte. Kein Kleidungsstück liebt Marchionne so sehr wie seinen dunklen Pullover. Also trägt er ihn während eines Besuchs bei Kanzlerin Angela Merkel, er trägt ihn auf Pressekonferenzen, er trägt ihn, wenn er mit seiner Entourage durchs Fahrerlager der Formel 1 läuft, und er zog ihn kürzlich über auf der vorweihnachtlichen Feier, die die Scuderia traditionell in Maranello veranstaltet.

Abgesehen von der stochastischen Überlegung, dass einer gerne wüsste, wie viele Exemplare der 65-Jährige von diesem Pullover besitzen muss, damit an jedem Morgen immer einer gewaschen im Schrank liegt, ließe sich die modische Vorliebe eines in den Abruzzen geborenen Italieners sicher vernachlässigen. Es sei denn, es ließen sich Rückschlüsse ziehen von der Pullovertreue Marchionnes auf die Wahrheitstreue seiner Drohungen. "Es gibt Leute, die glauben, dass unsere Drohungen zu dem Reglement ab 2020 ein Bluff sei", sagte Marchionne auf der Feier. "Sie spielen mit dem Feuer."

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Jene Drohung, mit der Marchionne auch beim öffentlichen Jahres-Ausklang mit wenig besinnlicher Rhetorik ins neue Jahr überleitete, ist selbst für jene Formel-1-Fans eine Horrorvorstellung, die mit den roten Rennwagen aus Norditalien wenig anfangen können. Marchionne droht schon seit Wochen mit dem Ausstieg von Ferrari aus der Rennserie. Seit jenem Moment, als Liberty Media, die neuen Rechteinhaber der Formel 1, ihre Vorstellungen von billigeren Motoren, simpleren Autos, einer Budgetdeckelung und einer gerechteren Geldverteilung bekanntgegeben hatten.

Marchionne hält von gerechter Geldverteilung in etwa so viel wie von täglich wechselnden neonfarbenden Pullovern. Er will an Ferraris über die Jahre erkämpften Privilegien festhalten. Und wenn es schon ein neues Reglement geben muss, weil das Concorde-Abkommen Ende 2020 endet, dann sollen die neuen Leute aus dem amerikanischen Unterhaltungskonzern bitte schön fragen, wie es Ferrari gerne hätte. Auf diese Frage würde erst eine Diskussion folgen, dann ein Deal. So lief es jedenfalls früher in der Formel 1. So lief es immer mit Bernie Ecclestone.

Bernie Ecclestone überredete Ferrari einst zum Verbleib

In der alten Formel 1 war Ecclestone der Alleinentscheider. Er verhandelte mit Teams, Streckenbetreibern und TV-Sendern und bestimmte die Preise. Als Ferrari der Formel 1 schon einmal davonlaufen wollte, machte Ecclestone den Italienern ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnten: Er bot dem Rennstall 100 Millionen Dollar. Und zwar jährlich. Dann übernahm im Vorjahr Liberty Media die Formel 1, und in einer seiner ersten Entscheidungen trennte sich der Konzern von dem damals 86-Jährigen aus Ipswich. Sie ersetzten ihn durch Chase Carey, einen Mann mit einem beeindruckenden Schnauzbart und engen Vertrauten des Medienmoguls Rupert Murdoch. Ende Januar wird Ecclestone seit einem Jahr entmachtet sein. Und auch wenn seine öffentlichen Auftritte etwas seltener werden, läuft er immer noch durch die Fahrerlager dieser Welt und spricht kluge Dinge in Mikrofone.

"Ich habe das Gefühl, dass meine Nachfolger mich nicht mehr an der Strecke sehen wollen", erzählte Ecclestone zu Jahresbeginn Auto, Motor und Sport. Allerdings gab er seinen Nachfolgern den Ratschlag, die Drohungen des Mannes ernst zu nehmen, der sich sicher aus guten Gründen bei Fiat den Spitznamen "Bulldozer" verdient hat. "Sergio kann ohne die Formel 1 leben. Er interessiert sich nur für das Geschäft. Das Wichtigste für ihn ist, dass er den Aktionären ein gutes Geschäftsergebnis bieten kann. Wenn Marchionne der Weg nicht gefällt, den die Formel 1 einschlägt, dann wird er damit aufhören. Ich fürchte, Ferrari könnte ohne die Formel 1 leben - umgekehrt nicht."

Drei Jahre Zeit hätte Ferrari, um weitere Rebellen um sich zu versammeln, mit denen sich ab 2021 eine Konkurrenzveranstaltung zur Formel 1 etablieren ließe. Auch Renault und Mercedes haben sich über das neue Motoren-Reglement schon beklagt, das Batterie, Leistungselektronik und andere Motorenteile standardisiert, eine erhöhte Drehzahl und somit billigere aber lautere Motoren vorsieht. Aber sie waren in ihrer Empörung leiser als Ferrari. Für Marchionne hört spätestens in dem Moment der Spaß auf, wenn plötzlich Hinz und Kunz um die Rennsiege mitfahren dürfen, die in der Formel 1 Stroll oder Vandoorne heißen. Für Marchionne ist das fürchterlichste Szenario jenes, wenn sich "die Rennställe nicht mehr so sehr durch den Motor unterscheiden". Er sagt: "Wenn wir den Sandkasten so umbauen, dass er nicht länger als Sandkasten zu erkennen ist, dann spielen wir nicht mehr mit."

Nun gibt es zum Glück Anzeichen, dass Ferrari sehr wohl noch mitspielen möchte; Anzeichen dafür, dass der Mann mit dem konstant flotten Pullover in Wahrheit doch ein wenig blufft, um sich bessere Konditionen auszuhandeln. Der Fiat-Konzern zieht sich vorerst nicht zurück - er expandiert sogar: Das Formel-1-Team von Sauber heißt ab der kommenden Saison Alfa Romeo Sauber. Die Zusammenarbeit der Schweizer mit der zum Fiat-Konzern gehörenden italienische Automarke Alfa Romeo schließe "strategische, kommerzielle und technologische Bereiche" mit ein, sagte Marchionne. Da die Sauber-Rennwagen aber weiter von einem Ferrari-Motor angetrieben werden, wird sich die Zusammenarbeit wohl vor allem auf das Anbringen eines riesigen Alfa-Romeo-Aufklebers konzentrieren.

Einen ähnlichen Etikettenschwindel hatte Red Bull mal mit einem Uhrenhersteller betrieben anstelle von Renault. Hartnäckig halten sich zudem Gerüchte, dass Fiat eine weitere seiner Marken in der Formel 1 platzieren könnte - dann stünde Maserati auf den Rennwagen des Haas-Rennstalls. Alfa Romeo ist eine Traditionsmarke in der Formel 1, Giuseppe Farina und Juan Manuel Fangio wurden Anfang der 1950er auf Alfa Romeo die ersten Weltmeister. Möglicherweise geht es Marchionne also um eine Machtdemonstration: Seht her, ohne Ferrari und seine schillernden Schwestermarken ist die Formel 1 nicht überlebensfähig!

Vor einem Jahr noch wäre Marchionne in den Verhandlungen jemand gegenüber gesessen, der das genau so gesehen hätte. Mit Bernie Ecclestone hätte er einen Deal geschlossen.

© SZ vom 13.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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