Motorsport:Der Chef muss draußen bleiben

Harte Strafen für den Funkbefehl "Schieb ihn raus" - die Deutsche Tourenwagen-Meisterschaft statuiert ein Exempel an Audi-Sportchef Wolfgang Ullrich, offenbart dabei aber ihre Mängel.

Von René Hofmann

Es ist eine Rekordstrafe. Und schon an der Höhe lässt sich erkennen, worum es geht: Es musste ein Exempel statuiert werden. 25 000 Euro, ausgesprochen vor sechs Jahren, für eine - damals noch verbotene - Teamorder: Bis Mittwoch war das die höchste Strafe, die in der Touren- wagenserie DTM verhängt wurde. Am Mittwoch verschob der Deutsche Motor Sport Bund (DMSB) die Marke auf 200 000 Euro. So viel muss die Firma Audi überweisen, weil ihr Sportchef Wolfgang Ullrich beim bislang letzten Auftritt Anfang August in Spielberg in der Schlussphase des Rennens einen sehr eindeutigen Funkspruch absetzte: "Timo, schieb ihn raus!" Gemeint war der zweimalige Meister Timo Scheider, der zwei Mercedes-Rivalen unmittelbar vor sich hatte: den Kanadier Robert Wickens und den vor dem Rennen Gesamtführenden Pascal Wehrlein. Scheider fuhr Wickens daraufhin vor der nächsten Kurve ins Heck. Während Scheider seine Fahrt fortsetzen konnte, rutschte Wickens von der Strecke und nahm Wehrlein gleich mit ins Kiesbett. Beim Bowling hätten die Kommentatoren "Strike!" gerufen.

Der DMSB goutierte das Manöver jedoch nicht als Kunststück. Er wertete es als "unsportliches Verhalten". Eine Sicht, die sich teilen lässt. Befehlsempfänger Scheider, 36, wurde für die beiden Rennen, die an diesem Samstag und an diesem Sonntag in Moskau stattfinden, gesperrt. Der Österreicher Dr. Wolfgang Ullrich wurde als Befehlsgeber länger aus dem Verkehr gezogen. Bis zum Ende der Saison darf er bei den DTM-Gastspielen die Boxengasse nicht mehr betreten und am Funk auch nicht die Stimme erheben. Der Chef muss also draußen bleiben. Größer könnte die Demütigung kaum sein.

Motorsport: Audi-Fahrer Scheider (links) räumt beim DTM-Rennen in Spielberg auf der letzten Runde die Mercedes-Rivalen Wickens und Wehrlein (rechts) ab.

Audi-Fahrer Scheider (links) räumt beim DTM-Rennen in Spielberg auf der letzten Runde die Mercedes-Rivalen Wickens und Wehrlein (rechts) ab.

(Foto: TV-Shot SZ)

Für Scheider darf sein Team einen Ersatzmann nominieren. Für Ullrich nicht. Der hatte sich in Spielberg zunächst mit der Ausflucht zu retten versucht, von ihm könne der Funkspruch gar nicht gekommen sein, weil er während der Fahrt nie direkt mit den Fahrern rede. Scheider hatte behauptet, er habe überhaupt keinen Funkspruch empfangen. Beide Aussagen aber wurden durch die Live-Bilder und -Töne der TV-Übertragung widerlegt. In denen war die Anweisung unmittelbar vor dem Unfall kristallklar zu hören, die keineswegs emotional vorgetragen worden war, sondern nüchtern und sachlich.

Der DMSB bestätigte, dass die Bilder und Töne nicht getrogen hatten. "Die Richter sahen es als erwiesen an, dass Wolfgang Ullrich in seiner Funktion als Audi-Motorsportchef in der letzten Runde des DTM-Rennens am 2. August in Spielberg per Funk eine Aufforderung an Audi-Pilot Timo Scheider gesendet hat, einen anderen Fahrer in eine Kollision zu verwickeln", heißt es in der Urteilsbegründung.

Warum es dennoch fünf Stunden dauerte, bis das Urteil stand, dürfte am Strafmaß gelegen haben. Nicht zu wenig, aber bloß auch nicht zu viel - für die DTM-Regel- hüter gilt es stets, den goldenen Schnitt zu finden. Anders als die Formel 1 wird das Tourenwagen-Masters nicht von unabhängigen Teams getragen. Es ist direkt abhängig von den Automobilfirmen, die gegeneinander antreten. Seit 2012 sind das Audi, BMW und Mercedes. Davor waren es sechs Jahre lang nur Audi und Mercedes. An diese Zeit erinnert sich kaum einer gerne. Drei Hersteller gelten bereits als kritische Größe. Wehe, einer stiege aus.

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Ruhig und sachlich, wie es oft seine Art ist, erteilte Audi-Sportchef Wolfgang Ullrich seinem Angestellten die Anweisung zum Unfall.

(Foto: Regis Duvignau/AFP)

Kein Wunder also, dass Mercedes-Sportchef Toto Wolff, der in der ersten Erregung noch einen lebenslangen Bann für den Urheber des Funkspruchs gefordert hatte, das Urteil umgehend als "hart" bezeichnete und versicherte, nun gebe es kein böses Blut mehr zwischen den Marken. BMW schwieg als Unbeteiligter ebenso vornehm wie vielsagend. Audi teilte lediglich mit, es respektiere das Urteil. "Für uns war es wichtig, dass das Verfahren vor den nächsten Rennen in Moskau abgeschlossen ist und der Sport wieder im Mittelpunkt steht." Zumindest Prozessverschleppung ist der Firma nicht vorzuwerfen. Hätte sie alle Fristen ausgereizt, hätte das Urteil erst nach dem Ausflug nach Russland ergehen können. Auch auf einen Einspruch gegen das Verdikt wurde verzichtet.

Interessant wäre gewesen, was Hans- Joachim Stuck von all dem hält. Der 64-Jährige war 1990 Tourenwagen-Meister, seit April 2012 steht er dem DMSB als Präsident vor. "Aus grundsätzlichen Erwägungen" möchte er die Causa aber nicht kommentieren. Gut möglich, dass dabei eine Rolle spielt, dass er dem Volkswagen-Konzern, zu dem Audi gehört, als Repräsentant verbunden ist. Unabhängige Kapazitäten sind an der Rennstrecke generell schwer zu finden. Auch scharfe Ankläger wie Klaus Ludwig ("Ich hätte irgendjemanden zu einer Millionen-Strafe verklagt") und leidenschaftliche Verteidiger wie Christian Abt ("Das ist Motorsport und keine Kaffeefahrt") stehen der einen Marke deutlich näher als der anderen.

Die DTM-Vermarkter wiederum erweckten den Eindruck, als käme ihnen der Händel sogar recht. In den sozialen Medien garnierten sie die Aufregung mit dem Hashtag #schiebihnraus.

Der Protagonist der Affäre muss bisher nicht befürchten, dass ihm das blüht. Auf die Reise nach Moskau verzichtet Audi-Sportchef Wolfgang Ullrich. Stattdessen will er sich am Nürburgring zeigen, wo die Prototypen des Le-Mans-Rennens kreisen. In dieser Woche wird er 65. Nach dpa-Informationen soll ihm das Angebot vorliegen, seinen Sportchef-Vertrag, der schon seit 1993 läuft, noch einmal zu verlängern.

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