Motorradprofi Stefan Bradl:Weltmeister in Simoncellis Schatten

Stefan Bradl ist der erste deutsche Motorradweltmeister seit 1993 - weil sein einziger Konkurrent Marc Marquez wegen der Folgen eines Sturzes beim letzten WM-Rennen in Valencia nicht starten kann. Bradls Feier aber wird leise ausfallen. Denn die Motorrad-Gemeinde gedenkt in Spanien des verstorbenen Marco Simoncelli.

In seinen Träumen mag sich Stefan Bradl diesen Tag millionenfach ausgemalt haben. Jenen Moment, ab dem sein eigener Name nicht mehr von dem seines Vaters Helmut überlagert würde, der vor 20 Jahren einmal Zweiter der Weltmeisterschaft wurde. Jene Sekunde, in der er sich endlich verewigen würde in den Geschichtsbüchern des Motorradsports, in denen es fortan eine eigene Spalte geben würde mit dem Eintrag: Stefan Bradl, Motorradweltmeister 2011.

Kalex Moto2 rider Bradl of Germany watches a timing screen during the first free practice session of the Valencia Motorcycle Grand Prix in Cheste

Erster deutscher Motorrad-Weltmeister seit 1993: Stefan Bradl.

(Foto: REUTERS)

Am Samstag ist diese Sekunde nun gekommen. Marc Marquez, der einzig verbliebende Konkurrent vor dem letzten Rennen in Valencia, durfte auf Anraten der Ärzte am Samstag nicht am Qualifying teilnehmen. Nach seinem schweren Sturz zuletzt im Training für den Malaysia-Grand-Prix klagte der Spanier über eingeschränkte Sehstärke und musste zurückziehen. Stefan Bradl ist nun der erste deutsche Motorrad-Weltmeister seit 18 Jahren. Letzter Titelträger war Dirk Raudies (Biberach) 1993 in der 125er Klasse.

Dennoch ist dies nicht Bradls Wochenende im Motorradsport. Sondern dasjenige des Italieners Marco Simoncelli. Ein letztes Mal. Die Erinnerungen an dessen furchtbaren Sturz beim Rennen in Malaysia vor zwei Wochen, an dessen Folgen Simoncelli verstarb, überlagern in Valencia alles, wie auch Stefan Bradl vorher vermutet hatte: "Das Rennen tritt völlig in den Hintergrund. Es wird dort nicht alles normal sein. Das wird keine Riesenparty."

Simoncellis Startnummer 58 ist in Valencia allgegenwärtig. Die Organisatoren haben eine 16 Meter hohe Wand mit der Ziffer 58 aufgebaut, auf der die Besucher einen letzten Gruß hinterlassen können. Bereits seit Donnerstag war in der Gresini-Box Simoncellis Honda aufgebaut und alle Piloten würdigen sie. Mit einem Seitenblick, immer dann, wenn sie auf ihren Rädern in die Boxengasse einbiegen. Die ursprünglich angedachte Gedenkminute vor dem Rennstart wird auf Wunsch von Simoncellis Vater Paolo keine Schweigeminute werden.

Nach dem Warm-Up am Sonntag vor dem Rennen wollen alle Piloten stattdessen ihre Motoren aufheulen lassen. Und der ehemalige Weltmeister Loris Capirossi aus Italien, der das letzte Rennen seiner Karriere bestreitet, startet nicht mit seiner 66 - sondern mit Simoncellis 58. Den Fahrern der MotoGP kommt im Gegensatz zur kleineren Serie Moto2, in der auch Bradl antritt, zugute, dass es sportlich in Valencia um nichts mehr geht, weil im Australier Casey Stoner der Weltmeister bereits seit Mitte Oktober feststeht.

Ende einer Achterbahnfahrt

Nun aber will es die Dramaturgie dieser Motorrad-WM, dass auch Bradl schon vor dem Rennen Weltmeister ist. Marquez war in Malaysia schwer gestürzt und hatte in der vergangenen Woche selbst erklärt, dass ihm nur noch ein Wunder helfen könnte, um starten zu können. Doch darauf wartete der Spanier, der insgesamt sieben Rennen in dieser Saison gewann, bis zum Schluss vergeblich. Auch ein gesunder Marquez hätte Bradl wohl kaum noch vom WM-Thron stoßen können. Der Spanier hätte bei einem Rückstand von 23 Punkten auf Bradl sein Heimspiel in Valencia in jedem Fall gewinnen müssen, um überhaupt eine Chance zu haben. Bradl dagegen hätte schon ein 13. Platz zum Titelgewinn gereicht.

Für Bradl endete damit eine Saison wie eine Achterbahnfahrt mit einem Happy End. Schon nach den ersten sechs Rennen hatte der 21-Jährige aus dem bayerischen Zahling wie der sichere Weltmeister ausgesehen. Bradl gewann vier Grand Prix und führte die WM-Wertung überlegen an. Marquez dagegen war zu diesem Zeitpunkt nach vier "Nullrunden" kein ernsthafter Titelanwärter. Doch von den folgenden zehn WM-Läufen konnte Bradl keinen einzigen gewinnen.

Marquez wiederum drehte mächtig auf und verdrängte den deutschen Rivalen nach seinen sieben Siegen von der Spitzenposition. Bis zu dem folgenschweren Sturz in Malaysia schien der 19-Jährige, der als eines der größten Talente der vergangenen Jahre gilt, auf dem Weg zum WM-Titel nicht mehr aufzuhalten. Bradl nutzte das Pech des Konkurrenten aus und überholte Marquez mit zwei zweiten Plätzen wieder in der Gesamtwertung.

Nun wird Bradl ausgerechnet am Tag des Marco Simoncelli seine Ehrenrunde als Weltmeister der Moto2-Klasse fahren. Um ihm zu gedenken, hat er sich eine kleine 58 auf sein Motorrad geklebt. Und dann wird er wohl anders feiern, als er es sich ursprünglich einmal ausgemalt hat. Nicht wild. In aller Stille.

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