Motorrad-Weltmeister Stefan Bradl:Am Ende der Flitterwochen

Stefan Bradls Debüt in der höchsten Motorradklasse wird von der Szene gespannt verfolgt. Am Anfang staunte der Deutsche noch über sein neues Arbeitsgerät - doch es mehren sich die Anzeichen, dass Bradl, der Weltmeister der kleineren Moto2-Serie, über Talent verfügt.

Philipp Schneider

Niemand konnte den Venezianer Lucio Cecchinello mehr halten in seinem Redefluss, dann war die Ode an den Bayern in der Welt. "Come una luna di miele", wie ein "Honigmond" sei die Beziehung bislang zu seinem neuen Angestellten Stefan Bradl, womit der Italiener in seiner grenzenlos romantischen Sprache nichts anderes meinte als "Flitterwochen". Der Mann aus der Stadt der liebestrunken säuselnden Gondolieri fuhr fort: "Und unsere Flitterwochen, sie sind phantastisch."

Stefan Bradl

"Ich bin im Fahrerlager der MotoGP, hier ist es kurios und schnelllebig": Stefan Bradl hat sich mit dem Aufstieg in die höchste Klasse einen Traum erfüllt.

(Foto: Ahmad Yusni/dpa)

Doch Signore Cecchinello, der Besitzer des LCR-Honda-Rennteams, weiß natürlich, dass noch niemand seriös vorhersagen kann, wie rasant Stefan Bradl auf seinem Motorrad unterwegs sein wird in seiner am Sonntag beginnenden Premierensaison in der MotoGP. Bradl ist der erste deutsche Fahrer dort seit Alex Hofmann, der sich in der Königsklasse des Motorradsports nie wirklich zurechtfand und seit 2008 keine Anstellung mehr fand.

Immerhin, es mehren sich die Anzeichen, dass Bradl, der Weltmeister der kleineren Moto2-Serie, über ausreichend Talent verfügt, um auch die Kraft der größeren, technisch viel komplexeren Maschine zu kontrollieren. Cecchinello hatte den Weltmeister am Ende der vorigen Saison zu einer Probefahrt geladen, und auf der Strecke in Valencia überzeugte Bradl ihn derart, dass Cecchinello bereit war, dem Rennstall Kiefer Racing, dem Bradl bereits für eine weitere Saison zugesagt hatte, eine sechsstellige Ablöse zu zahlen.

Fünf Monate sind seitdem vergangen, in denen sich Bradl an das Motorrad gewöhnte und Cecchinello an seinen neuen Fahrer. Beim letzten Test vor dem Saisonstart in Katar fuhr Bradl in Jerez die zehntbeste Zeit, zuvor in Kuala Lumpur war er sogar schneller gewesen als der neunmalige Weltmeister Valentino Rossi. Cecchinello befand, dass Bradl sich "sehr schlau" verhalte, lobte sein technisches Verständnis, seine präzisen Rückmeldungen an die Ingenieure, und stellte in Aussicht: "Es wird dauern, bis er sich an die MotoGP gewöhnt hat, aber das Potential ist definitiv da."

Bradl selbst stand am Anfang staunend vor seinem neuen Arbeitsgerät. "Ich dachte, ich halte das nie durch", sagt er, "diese Maschine ist fast nicht zu beherrschen." Er spricht von einem "Lehrjahr", das es für ihn zu bestehen gelte. Doch seine Testzeiten belegen, dass er sich bereits gewöhnt hat an seine Honda, die mit ihrer Leistung von mehr als 250 PS gerade einmal 157 Kilogramm bewegen muss.

Zum Vergleich: Porsche verbaute bis vor einigen Jahren in seinem mehr als zwei Tonnen schweren Geländewagen einen ebenso starken Motor, und das Auto fuhr nicht gerade langsam. "Ich habe jetzt Leistung im Überfluss, in jedem Drehzahlbereich", sagt Bradl, "es war eine riesige Umstellung, die 100 PS mehr zu bändigen. Die Leistung ist so enorm, dass man ohne Traktionskontrolle dauernd abfliegen würde."

Schnellstes Motorrad im Fahrerfeld

Die komplexere Elektronik ist überhaupt der größte Unterschied. Bradl musste erst "ein paar Runden drehen, um zu lernen, auf welche Knöpfe ich da überhaupt drücken kann". Es lässt sich ja einstellen, ob die Motorbremse aggressiver oder sanfter reagiert, auch die Traktionskontrolle kann er regeln, je nachdem, wie stark das Hinterrad durchdrehen soll und wie frisch oder abgefahren die Reifen sind.

In der Moto2 sind alle Teams mit Einheitsmotoren ausgestattet, in der MotoGP ist der Wettbewerb der Hersteller zu spüren. Für sie geht es schlicht um das große Geschäft, weshalb es der Vermarkter Dorna als Glücksfall betrachtet, dass in Bradl wieder ein Deutscher den Sprung in die MotoGP geschafft hat; Deutschland gilt als wichtiger und zahlungskräftiger Markt im Motorradsegment. "Die haben nach einem deutschen Fahrer gesucht, ganz klar", sagt Bradl: "Aber nicht nur einen, der irgendwie mitfährt, damit am Ende des Namens eine deutsche Flagge zu sehen ist."

Theoretisch sitzt Bradl auf dem schnellsten Motorrad im Fahrerfeld. Seine Honda ist baugleich mit der Maschine von Weltmeister Casey Stoner. Nur ist der Australier beim Werksteam von Honda angestellt, Bradl hingegen bei einem von zwei Satellitenteams des Herstellers. Der feine Unterschied wird sich erst im Saisonverlauf bemerkbar machen, wenn Honda das Motorrad weiterentwickelt. Dann wird Bradl die neuen Teile später erhalten als Stoner, "aber spätestens zwei Rennen nach Casey", sagt Bradl. Gleichwohl, allein der Materialnachteil dürfte einer der Gründe sein, weshalb sich Bradl nicht der Illusion hingibt, gleich um den Titel mitzufahren, als Ziel hat er Platz zehn ausgegeben.

Und wer in der Königsklasse der Motorradfahrer scheitert, das weiß auch Bradl, der muss kein wenig talentierter Fahrer sein. Der Spanier Toni Elías wurde Weltmeister in der Moto2, ein Jahr vor Bradl. Genau wie Bradl erhielt Elías ein Angebot von Lucio Cecchinello für eine Saison in der MotoGP. Er beendete das Jahr als 15., Cecchinello kündigte ihm. Nun sitzt Bradl auf Elías' Motorrad. Der Spanier war mit seinen 55 Kilo Körpergewicht schlicht zu leicht, um die Reifen der großen Maschine auf Temperatur zu bringen.

"Ich habe mir einen Traum erfüllt, ich bin jetzt da, wo ich immer sein wollte", sagt Bradl, "ich bin im Fahrerlager der MotoGP, hier ist es kurios und schnelllebig." Bradl wiegt 63 Kilo und spätestens am Sonntag, beim Flutlichtrennen in Doha/Katar, enden für ihn die Flitterwochen. Es wartet Arbeit. Arbeit am Motorrad. Und Beziehungsarbeit mit Signore Cecchinello.

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