MotoGP:Tritt in Kurve 14

Malaysian Moto GP 2015

"Sein Lenker hat meinen Fuß berührt und mein Fuß ist abgerutscht": Valentino Rossi hatte für sein vermeintliches Vergehen eine seltsame Erklärung parat.

(Foto: dpa)
  • Valentino Rossi befördert seinen Rivalen Marc Márquez mitten im Grand Prix vom Motorrad.
  • Die Rennkommission bestraft ihn, die Konkurrenz spottet.

Von Philipp Schneider

Die Bilder sind recht eindeutig, die Beweislage ist erdrückend. Allein alle Konsequenzen seiner Tat sind noch unklar, doch womöglich hat Valentino Rossi am Sonntag im vorletzten Rennen der Motorrad-Saison mehr verloren als seinen ersten Weltmeister-Titel seit 2009. Der Ruf eines Mannes steht nun auf dem Spiel, den seine Konkurrenten stets respektvoll "Il Dottore" nannten, den Doktor. Weil Rossi präziser fuhr als alle anderen. Weil er dazu in der Lage war, sich die Gegner auf der Rennstrecke vor dem Überholen zurechtzulegen. Überlegt, mit klinisch sterilem Kalkül. Wie ein Chirurg.

Fast bei Höchstgeschwindigkeit stürzt Márquez, rutscht ins Kiesbett - und bleibt unverletzt

Am Sonntag, beim Rennen in Sepang in Malaysia, hat der Doktor nun augenscheinlich die Beherrschung verloren. Er hat den Spanier Marc Márquez mit einem gezielten Tritt vom Motorrad befördert. Auch dies: überlegt. Mit Kalkül. So legen es zumindest die Kamera-Aufzeichnungen nahe. Rossi trat Márquez mitten im Rennen, in Runde sieben, in einer Kurve, fast bei Höchstgeschwindigkeit. Márquez stürzte, er rutschte ins Kiesbett, blieb aber immerhin unverletzt. Als Kunstfehler wird dem Dottore diese Operation wohl niemand auslegen.

"Wir haben den Respekt vor ihm als Sportler verloren. Er mag der größte Fahrer in der Geschichte sein, aber er ist kein großer Sportler. Valentino sollte so viele Punkte wie Marc bekommen. Es ist unfair. Er hat nur aufgrund seines großen Namens keine härtere Strafe bekommen", klagte Jorge Lorenzo nach dem Grand Prix. Lorenzo ist Rossis einziger verbliebener Konkurrent um den WM-Titel. Und er ist sein Teamkollege bei Yamaha.

Die Rennkommission hatte zu dem Zeitpunkt jene Strafe festgelegt, die Lorenzo als zu gering erachtete: drei Strafpunkte bezog Rossi; im Saisonfinale am 8. November in Valencia muss er nun vom letzten Platz aus starten. Lorenzos Rückstand auf Rossi schrumpfte auf sieben Punkte, sollte der Spanier beim Heimrennen in Valencia siegen, müsste Rossi schon Zweiter werden, um doch noch den Titel zu gewinnen.

Die anschließende Pressekonferenz schwänzte Rossi. Doch noch ehe sein Team Berufung gegen das Urteil einlegte, äußerte er sich auf der Rennstrecke. Márquez hatte sich mit dem neunmaligen Weltmeister über viele Runden ein Duell geliefert. Mehrere Male überholten sich die zwei, Rossi war sichtlich genervt, nach einigen Manövern riss er seine Hand wütend in die Höhe. "Er fuhr nur, um mir im Weg zu stehen, dabei habe ich sehr viel Zeit verloren", klagte Rossi. Er warf dem Honda-Piloten Márquez also vor, dieser sei absichtlich mit gedrosseltem Tempo gefahren, damit der Yamaha-Lenker Lorenzo, der später als Zweiter die Ziellinie überquerte, an der Spitze des Feldes weiter enteilen konnte.

"Sein Lenker hat meinen Fuß berührt, und mein Fuß ist abgerutscht."

In Runde sieben hatte Rossi offenbar genug, er ließ Márquez von hinten aufschließen und blockierte die Ideallinie auf der Innenbahn. Seite an Seite fuhren Rossi und Márquez in Kurve 14, so dicht, dass die Videobilder nahelegen, Márquez habe in Schräglage mit seinem Kopf das Knie von Rossi berührt. Und dann gab ihm der Dottore einen Schubser, schüttelte ihn ab, als sei Márquez ein Hund, der sich festgebissen hatte in seinem weltmeisterlichen Bein. "Er hat mich gestoßen, das war ein Angriff", urteilte Márquez. "Sein Lenker hat meinen Fuß berührt, und mein Fuß ist abgerutscht. Ein Bike fällt nicht durch eine einfache Berührung um", behauptete Rossi. Die Rennkommission sah das anders. Unstrittig ist jedenfalls, dass dieser folgenschwere Schubser eine Vorgeschichte hat.

Den Vorwurf, Márquez arbeite klandestin als persönlicher Ausbremser seines Landsmanns Lorenzo, hat Rossi schon nach dem vorvergangenen Rennen in Australien erhoben: Márquez hatte den Grand Prix gewonnen und zuvor Lorenzo in der letzten Runde überholt. Also viel später, als es möglich gewesen sei, klagte Rossi: "Sein Ziel war es bestimmt, nicht nur das Rennen zu gewinnen, sondern auch Jorge dabei zu helfen, mir Punkte abzunehmen." Diese Verschwörungstheorie untermauerte Rossi mit Episoden (und vermeintlichen Belegen) aus der jüngeren Geschichte der Motorrad-WM: Márquez sei noch immer erbost wegen einer Kollision mit Rossi beim Großen Preis von Argentinien im Vorjahr. Und vor allem wegen jenes unvergesslichen Duells im Juni beim Rennen in Assen: Damals berührten sich Márquez und Rossi in der letzten Runde, weswegen der Doktor eine Abkürzung durch das Kiesbett nehmen musste - aber trotzdem gewann.

Márquez habe es nie offen zugegeben, sagte Valentino Rossi in dieser Woche, "aber er denkt, dass ich damals nur verhindern wollte, dass er gewinnt. Seitdem steckt das in seinem Kopf, und er denkt wie ein Kind: Ich werde zwar nicht Weltmeister, aber du sollst es auch nicht werden!" Genau so könnte es kommen. Aber sollte Jorge Lorenzo noch Weltmeister werden, dann hätte sich das ein erstaunlich kindischer 36-Jähriger doch eher selbst zuzuschreiben.

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