Momente der Fußball-WM:Was für ein verdammtes Spektakel

Die deutsche Elf erlebt gegen Brasilien 400 Sekunden Rausch, Manuel Neuer erfindet das Torwartspiel neu und Mexikos Trainer erobert als Rumpelstilzchen die Herzen. Die prägendsten Augenblicke der WM.

Gesammelt von der SZ.de-Sportredaktion

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Germany's goalkeeper Neuer challenges Algeria's Slimani during their 2014 World Cup round of 16 game at the Beira Rio stadium in Porto Alegre

Quelle: Leonhard Foeger/Reuters

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Die deutsche Elf erlebt gegen Brasilien 400 Sekunden Rausch und stürzt den Gastgeber in tiefe Depression, Manuel Neuer erfindet mit großem Mut das Torwartspiel neu und Mexikos Trainer erobert als Rumpelstilzchen die Herzen der Fußballwelt. Die prägendsten Augenblicke der WM.

Manuel Neuers Ausflüge: Die Welt staunte gehörig, als im Achtelfinale plötzlich ein Torwart das halbe Fußballfeld in Beschlag nahm. Deutschland traf auf Algerien, beziehungsweise Manuel Neuer traf auf Algerien. Wo immer auf dem Rasen Brenzligkeiten entstanden, preschte dieser allgegenwärtige Mann aus der fernen Torwartzukunft heran und bügelte Fehler aus. Neuer grätschte Stürmer an der Seitenlinie ab, narrte mit einer Pirouette piesackende Algerier und wenn er Zeit hatte, pinselte er auch noch zentimetergenau getimte Abschläge zu den eigenen Leuten. Der Münchner dominierte die Partie, ohne wirklich als klassischer Keeper in Erscheinung zu treten. "Manu der Libero", so nannten ihn dann findige Experten mit einem Bezug auf eine alte TV-Serie namens "Manni der Libero". Neuer vollbrachte sein Werk unaufgeregt und hochkonzentriert wie immer - und hatte doch, ganz nebenbei, das Torwartspiel revolutioniert.

(jbe)

Greece v Cote D'Ivoire: Group C - 2014 FIFA World Cup Brazil

Quelle: Getty Images

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Momente der Fußball-WM:Giorgos Samaras

Giorgos Samaras' großes Herz: Der Kniefall von Giorgos Samaras samt Herzsymbolik nach seinem Elfmetertor gegen die Elfenbeinküste war kein Zufall, kein emotionaler Ausbruch. Es war vielmehr der ergreifende Gruß an Jay, der am Down-Syndrom leidet. Samaras, Stürmer von Celtic Glasgow, und jenen Elfjährigen verbindet mehr als die gemeinsame Liebe zum schottischen Meister. "Ich bin stolz, dass ich dich als Freund habe", verkündete der Grieche nach seinem Tor in der Nachspielzeit, das sein Land ins Achtelfinale führte. Mit Daumen und Zeigefingern formte er anschließend ein Herz, das Jay zu Hause am Bildschirm erreichen sollte. In der abgelaufenen Saison hatte Samaras den Jungen mal auf die Ehrenrunde im legendären Celtic Park mitgenommen. Zu einem Wiedersehen bei der Fußball-WM kam es allerdings nicht. Jays Eltern mussten die Einladung des griechischen Fußballverbands schweren Herzen absagen - sie weilen im Urlaub.

(schma)

World Cup 2014 - USA - Germany

Quelle: dpa

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Momente der Fußball-WM:Joachim Löw

Joachim Löws Regenspiel: Vielleicht ging Joachim Löw im strömenden Regen von Recife Steve McClaren durch den Kopf. Jener Fußballlehrer, den die britische Boulevardpresse einst wenig zimperlich zum "wally with the brolly" ausrief, weil er sich als englischer Nationaltrainer erlaubte, im Spiel gegen Kroatien zum Regenschirm zu greifen. Löw wollte nicht als "Trottel mit dem Schirmchen" in die Geschichtsbücher eingehen - und stellte sich deshalb beim Gruppenspiel gegen die USA tapfer in den Regen. Er ließ einfach alles geschehen, er trug nur sein körperbetontes Joachim-Löw-Hemdchen, sonst nichts. Keine Mütze, kein Cap, einen Regenschirm schon gar nicht. Ob es ihm sein Beauty-Sponsor verboten hatte, weil er die Gesichtscreme an Löw unter Extrembedingungen testen wollte? Der Bundestrainer schwieg - und rieb sich hinterher mit einem Handtuch trocken.

(schma)

Germany's Schweinsteiger celebrates his team's win over Brazil after their 2014 World Cup semi-finals at the Mineirao stadium in Belo Horizonte

Quelle: REUTERS

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400 Sekunden Rausch: Es waren Momente für die Ewigkeit, als in Belo Horizonte plötzlich ein ganzes Land den Glauben an sich verlor. Da rauschten diese genialen Deutschen heran, sie führten schnell mit 1:0 durch Müller - und dann bog das Halbfinale zwischen der DFB-Elf und Brasilien in jene 400 Sekunden Wahnsinn ein, die sich zwischen der 23. und der 29. Minute abspielten: Erst traf Klose zum 2:0, es folgte zweimal Kroos und schließlich lachte sich Khedira über sein Tor zum 5:0 schlapp. Fünf! Zu null! Binnen weniger Augenblicke! Brasilien, dieses stolze Fußballland, war gedemütigt und brach in Tränen aus. Niemand im Stadion, auch nicht die Deutschen, konnte in dieser schicksalhaften Phase glauben, was passierte. Dann war Halbzeit. So ein Beben hatte das Gastgeberland seit 64 Jahren nicht mehr erlebt. Die Fußballgötter entluden ihr ganzes Arsenal - welch ein Trauma. Was für ein verdammtes Spektakel!

(jbe)

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Quelle: AFP

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Ezequiel Lavezzi: Eigentlich sollte der Argentinier Ezequiel Lavezzi im Spiel gegen Nigeria den taktischen Anweisungen seines Coachs Alejandro Sabella lauschen. Vielleicht tat er es auch. Doch während der Trainer von der Seite losquatschte, spritzte der Stürmer ihm lässig einen Schluck aus der Wasserflasche ins Gesicht. Zum Brüllen sah das aus. Sofort interpretierten TV-Kommentatoren allerlei in die Szene hinein: Lavezzi, der tätowierte Rebell, soll seinen Coach absichtlich gefoppt haben. Der Spritzer stehe sinnbildlich für den fehlenden Respekt der Spieler. Dass hier einfach ein Spaßvogel am Werk war, kam nur den Argentiniern in den Sinn. Sie kennen diese Art von Humor - schon im vergangenen Jahr hatte sich Lavezzi während einer Papst-Audienz des Nationalteams grinsend auf dem "Heiligen Stuhl" ablichten lassen. "Sabella wirkte so nervös, da habe ich ihn ein wenig abgekühlt", sagte der Mann von Paris Saint-Germain. Das spitzbübische Lächeln nach dem gelungenen Scherz ist in der Wiederholung deutlich zu sehen - und macht eigentlich alle Interpretationen hinfällig.

(abb)

World Cup 2014 - Group B - Spain vs Netherlands

Quelle: Guillaume Horcajuelo/dpa

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Arjen Robben tanzt mit Spanien: Selbst ein verlorener Schuh konnte ihn in diesem ersten Spiel nicht stoppen. Als er Arjen Robben abhandenkam, setzte der sich kurzerhand vor die Eckfahne - er wollte sich das Ding wieder über den Fuß ziehen. Der Schiedsrichter ermahnte den Münchner, dies doch neben dem Feld zu bewerkstelligen. Es war der einzige Moment dieser Partie, in dem Robben den Spaniern eine Pause von seiner Omnipräsenz gönnte: Er spielte Steilpässe aus dem Mittelfeld, beackerte unermüdlich den rechten Flügel und sorgte mit schnellen Antritten für Panik bei der gegnerischen Abwehr. Nach 53 Minuten nahm der unglaubliche Robben einen hohen Ball zwischen zwei Innenverteidigern perfekt aus der Luft, ließ alle ins Leere laufen und drosch den Ball ins Tor zum 2:1. Die beiden Bloßgestellten waren immerhin Gerard Piqué und Sergio Ramos, beide Welt- und Europameister. In der 80. Minute fand die Demütigung ihre Vollendung: Wieder prescht Robben davon, erneut hetzten Ramos und Piqué hinterher - und dann krabbelte plötzlich Iker Casillas wie ein Käfer durch seinen Strafraum. Robbens 5:1 war die Krönung. Er hätte den Noch-Weltmeister auch mit nur einem Schuh den Hintern versohlt.

(abb)

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Quelle: AP

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Momente der Fußball-WM:Brasilien und Chile treiben es auf die Spitze

Brasilien und Chile treiben es auf die Spitze: Man kann es nicht mehr nachprüfen, aber womöglich bekreuzigten sich in der 119. Minute des Achtelfinals zwischen Brasilien und Chile die 200 Millionen Einwohner des WM-Gastgeberlandes gleichzeitig. Weil der Chilene Mauricio Pinilla in der vorletzten Minute der Nachspielzeit mit seinem Gewaltschuss nur die Latte und nicht das Tor traf, entschieden am Ende fünf Zentimeter über Brasiliens Verbleib im Turnier. Es blieb beim 1:1, ein Elfmeterschießen musste die Entscheidung bringen. Und natürlich hatten es die 120 Minuten vorher sowie der anschließende Showdown in sich: Ein Eigentor von Gonzalo Jara hatte Brasilien die Führung gebracht, es folgten Zweikämpfe, Fouls, ein Fehlpass von Hulk, Chiles Ausgleich durch Alexis Sánchez, bevor Pinilla in der 119. Minute die Latte traf. Am Ende verwandelte Neymar den letzten Elfmeter für Brasilien, während im Gegenzug Jaras Elfer vom Innenpfosten zurück aufs Spielfeld sprang. Der Außenseiter war draußen, der Favorit zog ins Viertelfinale. Ein Land jubelte, und elf Chilenen sanken auf den Rasen, um zu trauern.

(fued)

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Quelle: AP

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Miguel Herrera flippt aus: "El Piojo", die Laus, nannten sie den 1,69 Meter großen Miguel Herrera einst, als er noch als Außenverteidiger die Seitenlinie hoch und runter peste. Einige Jahre später heißt er immer noch so, gewachsen ist nur der Körperumfang. Auch heute verdingt er sich als Rumpelstilzchen - er hat nur die Seite gewechselt und ist jetzt Nationaltrainer Mexikos. Seine Jubelstürme erreichten bei der WM eine solche Intensität, dass er schon mal einen eigenen Spieler vor lauter Freude zu Boden riss. Die Fußballwelt liebte den kleinen runden Mann mit dem Grimassengesicht. Dieser Typ eroberte die Herzen der Fans, weil er einfach so verdammt knuddelig daherkam. In allen möglichen Formen und Bearbeitungen sausten Bilder von ihm durch die sozialen Netzwerke. Doch bei aller Belustigung wurde fast vergessen, dass Herrera ein durchaus fähiger Coach ist. Mit einem Kader voller junger Spieler aus der heimischen Liga scheiterte er erst knapp im Achtelfinale an den Niederlanden. Caramba!

(abb)

France v Germany: Quarter Final - 2014 FIFA World Cup Brazil

Quelle: Getty Images

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Müller sinniert über Kakteen: Die wahre Schönheit eines Kaktus erkennen vielleicht nur diejenigen, die absolut keinen grünen Daumen haben. Der geschenkte Ficus von Mutter ist längst vertrocknet und auch die Yucca-Palme aus dem Baumarkt sieht schon traurig aus - da steht der Kaktus immer noch völlig ungerührt auf einem Regalbrett in der Junggesellenwohnung. Wasser hatte er ja erst vor neun Monaten. Wie Thomas Müller sein Grünzeug behandelt, ist nicht überliefert, doch auch er outete sich bei der WM als Bewunderer dieser Gattung. "Es war schon wie in einer Grillbude", sagte er nach dem Viertelfinale gegen Frankreich: "Da merkt man erst einmal, was für ein faszinierendes Gebilde ein Kaktus ist, da nicht einzugehen." Man muss kein Abonnent der Zeitschrift Kakteen und andere Sukkulenten (herausgegeben von der Deutschen Kakteen-Gesellschaft) sein, um zu verstehen, was Müller meinte: Der Kaktus ist ausdauernd und widerstandsfähig - ganz gleich, wie lebensfeindlich die Bedingungen auch sein mögen. Womöglich würde er die 30 Grad im Schatten im Estádio do Maracanã der Junggesellenwohnung sogar vorziehen.

(bero)

World Cup 2014 - Group G - Germany vs Ghana

Quelle: dpa

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Müllers Kniefall: Wie unterschiedlich die Bewertung eines Ereignisses ausfallen kann, bemerkt jeder, der im Netz nach Bewegtbildern von Thomas Müllers Kniefall gegen Algerien sucht. Mal werden die Videos mit "amazing" beworben, mal ist das Schlagwort einfach nur: "fail". Was war geschehen? Es läuft die 88. Minute der Achtelfinalpartie in Porto Alegre, als die Fußballwelt Zeuge der bizarrsten Freistoßvariante der WM-Geschichte wird. Toni Kroos, Bastian Schweinsteiger, Mesut Özil und besagter Müller stehen bereit, etwa 25 Meter Torentfernung, zentrale Position. Schweinsteiger läuft als Erster über den Ball, dann folgt Müller. Doch bevor der die Kugel erreicht, stürzt er zu Boden. Müller rappelt sich wieder auf, saust gen Strafraum, Kroos chipt den Ball hinterher - in die algerische Mauer. Na klar, dachten sie die meisten Zuschauer, das passt ja wunderbar zum Auftritt der DFB-Elf. Dass Müller das vermeintliche Malheur nach dem Spiel zur einstudierten Variante erhob, gereichte den Beteiligten kaum noch zur Ehrenrettung. Im Gegenteil: Nun wurde den deutschen Kickern auch noch Respektlosigkeit gegenüber den Algeriern unterstellt. Nur wenige honorierten Müllers Mut zur Lächerlichkeit. Kroos fasste die Szene recht prägnant zusammen: "Wenn es nicht funktioniert, sieht das scheiße aus."

(bero)

World Cup 2014 - Quarter final - Brazil vs Colombia

Quelle: dpa

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David Luiz tröstet James: Kaum einer hätte es den Brasilianern verdenken können, hätten sie James Rodriguez einfach flennen lassen. War es doch in der Viertelfinalpartie zwischen Kolumbien und dem WM-Gastgeber nicht gerade herzlich zugegangen. Der Lendenwirbelbruch von Neymar, verursacht durch Kolumbiens Juan Zúñiga, war nur der brutale Höhepunkt der Gladiatorenkämpfe auf dem Rasen. Doch nach Schlusspfiff wurde Brasiliens Verteidiger David Luiz, sonst auch eher hart als herzlich, zum sanften Tröster. Er redete James gut zu, der schluchzend auch dem Grün stand. Tauschte mit ihm das Trikot (James nutzte es nicht als Taschentuch), tätschelte den 22-Jährigen. Dann hob er den Arm und zeigte mit dem Finger auf den jungen Kolumbianer, als wollte er sagen: Seht her, das ist der Mann des Turniers. Und das war James für viele auch. Mit sechs Treffern gelangen ihm zwei mehr als Brasiliens Neymar. Der war schon auf dem Weg ins Krankenhaus, als James und Luiz noch Arm in Arm in der Interviewzone standen und über das Leben philosophierten.

(bero)

Netherlands v Costa Rica: Quarter Final - 2014 FIFA World Cup Brazil

Quelle: Getty Images

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Van Gaals Torwart-Tausch: Der holländische Stammtorwart Jasper Cillessen hatte sich im Viertelfinale gegen Costa Rica nichts zu Schulden kommen lassen. Im Gegenteil: Als er in der 117. Minute gefordert war, parierte er stark gegen Marcos Urena und rettete seiner Mannschaft das 0:0. Bondscoach Luis van Gaal wechselte ihn trotzdem wenig später aus und brachte Tim Krul, nur für das Elfmeterschießen. Cillessen war sauer, trat eine Wasserflasche um und musste zusehen, wie Krul zum Helden avancierte. Der Torwart von Newcastle United provozierte die Schützen Costa Ricas mit Trashtalk - "Ich wollte in ihre Köpfe kommen", erklärte er nach dem Spiel sein Verhalten - und Rumgefuchtel. Er hielt allerdings auch zwei Mal und trug so maßgeblich dazu bei, dass die Niederländer ins Halbfinale einzogen. Dass er sich dabei unsportlich verhalten hatte, störte am Ende niemanden mehr. Sogar Cillessen fiel ihm nach dem Sieg um den Hals. Was hätte er auch tun sollen?

(mane)

© SZ.de/jbe/lala
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