Mahmoud Dahoud sitzt in einem Büro im Fußballstadion. Auf dem Tisch liegt ein Aufnahmegerät. Dahoud soll aus seinem Leben erzählen, über seinen Fußball reflektieren, über die Zukunft spekulieren. Immer wieder fährt er sich mit der Hand durchs dichte schwarze Haar. Er trägt das leuchtend grüne Trikot des Bundesliga-Fünften Borussia Mönchengladbach. Darin fühlt er sich normalerweise pudelwohl. Dahoud, 20, gebürtiger Syrer, ist Gladbachs größtes Talent. Ein Instinkt- und Straßenfußballer. Europas Topklubs haben ihn auf der Liste.
Berühmt geworden ist der begnadete Fußballer als schüchterner Held. Dahoud scheut Interviews. Er fürchtet sich ein bisschen davor. Bis jetzt geht er an jeder TV-Kamera vorbei, an jedem Radiomikrofon. "Ich kann auf dem Platz besser zeigen, was in mir steckt. Grundsätzlich wollen die Fans sehen, was man auf dem Platz zeigt, und nicht nur vor dem Mikrofon. Ich mag nicht alle drei Tage vor der Kamera stehen", sagt er.
Er ist der erste Bundesliga-Spieler syrischer Herkunft
Beim Fußball ist Dahoud ein Senkrechtstarter. Er spielt seine erste Bundesliga-Saison, hat in allen 22 Partien mitgespielt, fünf Tore vorbereitet und drei selbst erzielt. Er war in allen sechs Champions-League-Partien der Gladbacher dabei - und hat brilliert. Er ist der erste Bundesliga-Spieler syrischer Herkunft, aber über Syrien und Flüchtlinge reden mag er nicht. Er weiß nicht, was er dazu sagen soll. Sein Thema ist der Fußball. Über ihn taucht er ein in die Vergangenheit als Flüchtlingskind im rheinischen Städtchen Langenfeld.
"In der Nachbarschaft waren viele Kinder. Wir hatten nichts zu tun und haben die ganze Zeit nur Fußball gespielt, stundenlang. Manchmal sechs Stunden am Stück. Mit meinem Vater und meinem Bruder war ich oft beim Training von Bayer Leverkusen. Das war nur fünf Minuten entfernt. Ich habe ein Bild von meinem Bruder mit Michael Ballack. Früher ist man zum Training gegangen, um den Profis zuzuschauen, und jetzt steht man selbst auf dem Platz, und die Leute kommen, um einem zuzuschauen - das ist komisch."
Dahoud war ein Baby, als seine Eltern 1996 mit ihm nach Deutschland kamen. Er hat sein ganzes Leben hier verbracht, besitzt beide Staatsbürgerschaften. Er hat bereits 14 Mal in deutschen Jugend-Nationalteams gespielt. Dahoud wurde vom deutschen Fußball sozialisiert - und taktisch geprägt. "Als Bambini in meinem ersten Verein SC Reusrath - da sind wir einfach gelaufen, ohne Ordnung. Danach bin ich zu Fortuna Düsseldorf gegangen, habe dort mal weiter hinten, mal weiter vorn im Mittelfeld gespielt, auch links oder rechts außen. Aber seit ich vor sechs Jahren zu Gladbach kam, bin ich Sechser. Das macht mir am meisten Spaß. Ich komme lieber von hinten, als vorne auf den Ball zu warten."
"Wir sind das Herz der Mannschaft"
Mit dem Schweizer Granit Xhaka bildet Dahoud die Doppel-Sechs im Mittelfeldzentrum von Borussia Mönchengladbach. Xhaka ist 23. Die beiden sind das jüngste Sechser-Paar der Bundesliga. Und machen ihre Sache meist ziemlich gut. "Unsere Position ist so wichtig. Wenn wir nicht funktionieren, dann wackelt alles. Wir sind das Herz der Mannschaft, müssen defensiv die Lücken zumachen, eng an der Kette sein, die Bälle schnell verlagern oder in die Spitze spielen. Es ist nicht so einfach, sich jederzeit schnell zu orientieren und die richtige Entscheidung zu treffen", sagt Dahoud.
Für seine 20 Jahre trifft er auf dem Rasen erstaunlich oft die richtige Entscheidung. Intelligenz, Intuition, Instinkt? "Man trainiert es - und probiert es. Aber es ist auch Instinkt. Die Gladbacher Jugendtrainer Marc Trostel und Thomas Flath haben mir viel beigebracht, Ballbesitz, Kontrolle, Spielaufbau. Auch den Schulterblick haben sie mir gezeigt - um zu überprüfen, ob jemand hinter mir ist."
Dahoud gilt als Kandidat für das Olympiateam in Rio
Fünf Jahre hat Dahoud im Gladbacher Jugendinternat gewohnt. Vergangenen Sommer ist er ausgezogen und hat sich in Düsseldorf seine erste eigene Wohnung genommen. Damals schaffte er den Sprung in die Bundesliga-Mannschaft. Der Trainer hieß Lucien Favre. Er hat Gladbach zwischen 2011 und 2015 aus der Abstiegszone in die Champions League geführt. Favre schwärmte von Dahoud. "Ich habe unter Lucien Favre schon drei Jahre lang mit der ersten Mannschaft trainiert. Er hat mich aufgebaut, behutsam herangeführt. Er hat mir nach dem Training erklärt, was gut war und was nicht, was ich verbessern muss. Es ging um viele Kleinigkeiten, an denen ich immer wieder arbeiten musste."
Im September ging Favre fort. Der Trainer André Schubert übernahm - und setzt seitdem voll auf Dahoud. Unter Schubert entwickelte sich Dahoud zum Stammspieler. Er hat eine Passgenauigkeit von 85 Prozent und rennt in jedem Spiel durchschnittlich 12,7 Kilometer. In der Bundesliga läuft nur der Tscheche Vladimir Darida von Hertha BSC Berlin noch mehr. "Ich muss immer in Bewegung sein. Wenn ich stehen bleibe, habe ich das Gefühl, ich bin aus dem Spiel und brauche zu lange, um wieder reinzukommen. Deshalb bleibe ich immer in Bewegung, weil sich das Spiel auch ständig bewegt und sich die Positionen in jeder Sekunde verändern."
"Mein Lieblingsspieler war Zidane, wegen seiner Präsenz. Er hat etwas ausgestrahlt"
Dahoud fordert den Ball, weiß fast immer, was er damit machen soll. Er spielt mitunter geniale Pässe in die Nahtstellen der gegnerischen Abwehr. Er ist ein auffälliger Spieler. Das hat er mit seinem Idol gemeinsam. "Mein Lieblingsspieler war Zidane, wegen seiner Präsenz. Er hat etwas ausgestrahlt. Er hat den modernen Fußball mitentwickelt. Und Ronaldo, der dicke. Der hat zu seiner besten Zeit alles auseinandergenommen. Vielleicht war er sogar der beste Spieler überhaupt. Auch Luka Modric von Real Madrid finde ich gut."
Dahoud gehört zurzeit zum Kader der deutschen U20-Mannschaft und gilt als Kandidat für Horst Hrubeschs Olympiateam für die Sommerspiele in Rio. In der U18 hat Dahoud schon mal unter dem Trainer Hrubesch gespielt. Würde er gerne bei Olympia für Deutschland spielen? "Schon!", antwortet Dahoud.
Dahouds Wunschverein ist nicht Gladbach
Allerdings beginnt im August auch die neue Saison. Dahouds Vertrag bindet ihn bis 2018 an Gladbach - ohne Ausstiegsklausel. Große europäische Klubs sind an ihm interessiert, aber Gladbachs Sportdirektor Max Eberl will Dahoud im kommenden Sommer keinesfalls hergeben. "Mo spielt gerade seine erste Saison Bundesliga und soll bleiben", sagt Eberl, "da bin ich egoistisch." Eberl rechnet mit einem lukrativen Angebot für Granit Xhaka, "und dann geht es um Kaderplanung, um logische Entscheidungen, ich würde nicht beide verlieren wollen."
Dahoud hat einen Wunschverein, und das ist nicht Borussia Mönchengladbach. Aber das heißt nicht, betont er, dass er weg will. "Ich habe einen Traumverein, wie jeder Junge, aber darüber will ich nicht sprechen. Ich will jetzt nicht über die Zukunft reden. Die Borussia hat mir viel gegeben, und das muss ich erst einmal zurückzahlen."