FC Bayern München:Ein 35-Millionen-Euro-Problem

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Bald Teamkollegen? Eher nicht! Sebastian Rudy (li.) wechselt zwar von Hoffenheim nach München, aber dort steht Renato Sanches vor dem Aus. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

Nach nur einem Jahr könnte das Mittelfeld-Experiment Renato Sanches beendet sein.

Von Jonas Beckenkamp, München

Quizfrage: Wie viele zentrale Mittelfeldspieler tummeln sich - Stand jetzt - in der neuen Saison im Kader des FC Bayern? Da gibt es Thiago, Arturo Vidal, Joshua Kimmich, Javier Martinez, neu aus Hoffenheim kommt Sebastian Rudy, aus Lyon Corentin Tolisso. Zudem kehrt nach einer Ausleihe zum FC St. Gallen Gianluca Gaudino zurück - und es gibt auch noch den Rastamann: Renato Sanches. Insgesamt beschäftigen die Münchner also trotz des Karriere-Endes von Xabi Alonso und Philipp Lahm Fußballer in fast voller Mannschaftsstärke, die für die Positionen des Sechsers oder Achters im Zentrum in Frage kommen - auch Linksverteidiger David Alaba hätte ja alle Anlagen und die innere Bereitschaft dazu.

Acht, neun Bayern-Profis sind das, die sich in der Mitte des Spielfelds als Kommandogeber, Malocher, Künstler oder Stratege sehen. Zwar soll Kimmich als Lahm-Nachfolger künftig rechts hinten in der Abwehr spielen, und Gaudino dürfte erneut verliehen werden (Chievo Verona soll interessiert sein), aber eine hohe Konkurrenzsituation im Zentrum bleibt. Nur zwei bis drei der genannten Profis passen jeweils gemeinsam in die erste Elf - ein beträchtliches Überangebot. Hinzu kommt das offensichtliche FC-Bayern-Interesse an Schalkes Nationalspieler Leon Goretzka.

All dies lässt Raum für die Interpretation zu, dass das Experiment mit dem portugiesischen Talent Renato Sanches nach nur einem Jahr als gescheitert gilt. An die 35 Millionen Euro flossen für den damals 18-Jährigen vor der EM 2016 als Ablöse-Sockelbetrag auf die Konten von Benfica Lissabon. Verdammt viel Geld für einen zu diesem Zeitpunkt vielversprechenden Mann. Sanches galt als robuste Attraktion, als Mann für das Spiel von morgen - und als er mit dem Nationalteam Portugals in Frankreich einige Wuchtbrummen-Auftritte hinlegte und fast alleine das Achtelfinale gegen Kroatien entschied, herrschte die Gewissheit: Da haben die Bayern eine sogenannte Granate verpflichtet. Sanches kam am Ende sogar als Europameister nach München. Doch dann spielte er kaum im ersten Jahr: 25 Einsätze - meist kurze.

Heute wirkt es so, als wisse der FC Bayern nicht so recht, was er mit Sanches anfangen soll. Trainer Carlo Ancelotti setzte ihn in der Liga bisher nur sechs Mal von Beginn an ein; wenn der Portugiese spielte, dann oft nervös. Seine Ungeschliffenheit haben die Klubchefs natürlich bemerkt, und nach Lage der Dinge sieht es nicht so aus, als trauten sie Sanches zu, es in einer zweiten Saison noch zu packen. Um die Angelegenheit zu lösen, ist offenbar ein Leihgeschäft denkbar, wobei die Münchner eventuell auch einem Verkauf zustimmen würden, wenn sich der monetäre Verlust in Grenzen hielte. 35 Millionen werden sie für Sanches aber kaum bekommen, nicht einmal von wild einkaufenden Chinesen.

"Im Prinzip möchte ich bleiben. Wenn das nicht geht, werde ich mich nicht entmutigen lassen."

Das klingt nach Schadensbegrenzung in einer Personalie, die bislang im Stillen waberte, nun aber offensichtlich zum Problem wird. Auch der Portugiese selbst ist ins Grübeln gekommen: "Die Bayern sind ein großer Klub. Im Prinzip möchte ich bleiben und dort mein Bestes geben", sagte er der portugiesischen Sportzeitung Record. Er sagte aber auch: "Wenn ich nicht bleiben kann, dann werde ich mich nicht entmutigen lassen." Sanches hat wohl erkannt, dass seine Lage verzwickt ist.

Europas Kaderplaner haben derweil registriert, dass Sanches nach seiner komplizierten ersten Münchner Saison derzeit auch im A-Nationalteam Portugals keine Rolle spielt. Selbst bei der U21-EM gelang ihm wenig, abgesehen von einem hübschen Vorlagen-Chip in der ersten Partie gegen Serbien; Portugals Nachwuchsteam schied nach der Vorrunde aus. Sanches prüft nun über seinen Berater die Optionen. Dessen Name: Jorge Mendes, Ronaldo-Agent und einer der findigster Strippenzieher des Weltfußballs; einer, der statt kleinen Brötchen lieber große bäckt: FC Barcelona, Juventus Turin, Real Madrid: All diese Vereine sollen sich laut Mendes-nahen spanischen Medien mit Sanches beschäftigen. Wobei die Frage erlaubt ist, wie der etwa bei Real neben zentralen Größen wie Kroos, Modric, Isco oder Casemiro auf mehr Spielzeit kommen sollte.

Bei den Bayern ist das bisher letzte öffentliche Bekenntnis zu Sanches schon ein Weilchen her, und selbst das klang nicht enthusiastisch. Ancelotti erklärte im Mait: "Es ist für junge Spieler nicht einfach, es ist eine andere Kultur, ein anderer Spielstil. Wir müssen mit ihm Geduld haben."

Dass der Italiener selbst kein ausgewiesener Jugendförderer ist, lässt sich nicht nur an seinem Umgang mit Sanches ablesen; auch Kimmich soll sich dem Vernehmen nach schon vernachlässigt gefühlt haben. Aber ein 19-Jähriger aus schwierigen Verhältnissen in Lissabon braucht Zuwendung. Sanches stammt aus Amadora, einem Vorstadtviertel im Westen von Portugals Hauptstadt, sein Geburtsort liegt unweit der heikelsten Favela des Landes: Cova da Moura. Dass ein junger Kerl aus diesem Umfeld Anpassungsprobleme an München hat, wäre naheliegend.

Aus Kreisen des FC Bayern ist zu hören, dass man sich um die Eingewöhnung des Spielers durchaus bemüht habe. Ein offizieller Betreuer, der Spanisch und Portugiesisch spricht, kümmere sich seit der Ankunft um Sanches, man habe Freizeit-Unternehmungen für den jungen Spieler organisiert sowie weitere Hilfestellung bei der Wohnungssuche. Angekommen scheint der 19-Jährige trotzdem bisher nicht zu sein. Gut möglich, dass Sanches zur neuen Saison schon wieder in einem ganz anderen Umfeld ankommen muss.

© SZ vom 28.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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