Missbrauchsvorwürfe in Österreich:"Es war grausam, aber so war das damals eben"

Nicola Spieß AUT; Spieß

Nicola Werdenigg, damals noch unter ihrem Mädchennamen Spieß, 1976 bei einem Skirennen.

(Foto: imago/Pressefoto Baumann)
  • Die ehemalige Skirennläuferin Nicola Werdenigg schildert in einem Bericht für die Zeitung Der Standard ihre Erlebnisse in einem österreichischen Skiinternat in den siebziger Jahren.
  • Sie schreibt von Übergriffen und wie sie von einem Mannschaftskollegen vergewaltigt worden sei.
  • Sie wirft dem Österreichischen Skiverband auch in jüngerer Vergangenheit Tatenlosigkeit vor.

Nicola Werdenigg hat sich entschlossen zu reden. Über ihre Jugend im Skiinternat - über Übergriffe, über sexuelle Ernierdrigungen und über eine Vergewaltigung. Die 59-Jährige ist damit eine von zwei Ex-Rennläuferinnen, die über Missbrauch im Österreichischen Skiverband (ÖSV) in den siebziger-Jahren berichten. Die ehemalige Abfahrerin und Olympia-Vierte von Innsbruck 1976, Nicola Werdenigg, die mit ihrem Mädchennamen Spieß an den Start ging, erzählt, die Fahrerinnen seien "Freiwild" gewesen.

"Wer nicht mitspielen wollte, brachte seinen Startplatz in Gefahr", sagte sie in einem detaillierten und eindringlichen Bericht der Tageszeitung Der Standard. Eine ehemalige Skifahrerin, die anonym bleiben wollte, bestätigte die Vorwürfe am Mittwoch der Zeitung und schilderte ähnliche Erfahrungen. "Es hat Übergriffe gegeben. Von Trainern, von Betreuern, von Kollegen", sagte Werdenigg. Übergriffe sind laut Aussagen der beiden Betroffenen zu dieser Zeit verbreitet gewesen. "Ich musste mich mit Händen und Füßen wehren. Ich habe mir immer gesagt, ich lasse mich nicht brechen", ergänzte die anonyme Ex-Rennläuferin.

"Die Frau war ruiniert"

Werdenigg berichtet davon, dass Männer den Sex von jüngeren Rennläuferinnen gefilmt hätten und das Video dann der Mannschaft vorgespielt hätten. Sie berichtet davon, dass dem Verantwortlichen nichts passiert sei. "Die Frau war ruiniert. Es war grausam, aber so war das damals eben", schreibt Werdenigg. Alle hätten davon gewusst, aber es sei nicht darüber geredet worden.

Der Heimleiter hätte Buben Cognac verabreicht, ihnen Pornohefte gegeben und sie zur Selbstbefriedigung animiert. Als sie 16 war, schreibt Werdenigg, hätten zwei Männer sie unter Alkohol gesetzt, einer davon hätte sie vergewaltigt. "Das hat mich jahrelang gedrückt. Ich habe mit niemandem darüber gesprochen, weil ich mich so geschämt habe. Weil das auch ein Mannschaftskollege war. Ich habe mir die Schuld gegeben, wie es junge Frauen oft machen, weil ich mich habe ansaufen lassen", schreibt sie.

Die Zeiten seien damals anders gewesen, reagierte der ÖSV auf die Schilderungen. "Wenn jetzt so etwas vorfallen würde, würden wir dazwischenfahren und kurzen Prozess machen", sagte Peter Schröcksnadel, seit 1990 ÖSV-Präsident. Schröcksnadel sagte im Standard, ihm sei in seiner Zeit als Präsident "nie etwas über sexuelle Übergriffe zu Ohren gekommen". Er könne "das eine oder andere Pantscherl (sexuelles Verhältnis; Anm. d. Red.) nicht ausschließen. Aber ein Pantscherl ist ja auch kein Übergriff." Der ÖSV teilte überdies mit, gegen künftige Fälle kompromisslos vorgehen zu wollen.

Werdenigg wirft Schröcksnadel jedoch Tatenlosigkeit vor. "Ich kenne einen Fall aus dem Jahr 2005, der an die Mannschaftsführung herangetragen wurde. Das hätte Schröcksnadel wissen müssen", sagte Werdenigg im ORF. Schröcksnadel wiederum bemängelte, dass die frühere Sportlerin Vorwürfe in den Raum gestellt habe, ohne konkret geworden zu sein: "Das Problem ist, dass alle Mannschaftskollegen beschuldigt werden", erklärte der Tiroler und fügte an, die heute 59-Jährige solle Namen nennen. Das allerdings will Werdenigg nicht: "Dafür habe ich keine rechtliche Grundlage mehr."

Österreichs Skilegende Annemarie Moser-Pröll will während ihrer Karriere nichts von den Vorfällen mitbekommen haben und äußerte Bedauern für Trainer, Betreuer und Serviceleute. "Da gehören immer zwei dazu", so Moser-Pröll zum Fernsehsender ServusTV.

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