Michael Rensing:Auf die lange Bank gesetzt

Weil Bayern-Keeper Oliver Kahn seine Laufbahn über 2006 fortsetzt, muss sich der Ersatztorhüter gedulden.

Philipp Selldorf

Die fabelhafte Geschichte des Aufstiegs von Michael Rensing zum Fußballhelden beginnt mit einem klassischen Motiv: Junger Mann von 16 Jahren verlässt sein Heimatstädtchen - Lingen im Emsland -, um in der großen Stadt seinen Traum zu verwirklichen.

Sein Bruder und sein bester Freund setzen ihn nach 800 Kilometer Fahrt über die deutschen Autobahnen an der Türschwelle des Nachwuchsinternats ab, dort steht er dann mit seinen zwei Sporttaschen, "ein Nobody vom Land", wie er sich selbst sieht, fern von Zuhause, aber getrieben von dem Wunsch, beim FC Bayern Fußballprofi zu werden. Rensing stammt zwar aus Norddeutschland, doch er ist Bayern-Anhänger seit Kindertagen, seine ganze Familie, Vater, Mutter, Bruder, sind "ziemlich fanatische Bayern-Fans", erzählt er. Er trainiert hart, "wie ein Verrückter", sein ganzes Leben außerhalb von Jugendhaus und Schule spielt sich nur auf dem Fußballplatz ab. So arbeitet er sich auf geradem Weg von der B- in die A-Jugend, in die Amateurauswahl und bis ins Profiteam; 2003 erhält er seinen ersten Profivertrag und wird von Uli Hoeneß zum Nachfolger von Oliver Kahn bestimmt. Als Übergabedatum gibt der Manager den Sommer 2006 an, Widerspruch lässt er nicht gelten: Er hält Rensing nicht bloß für begabt, sondern für "den besten Torwart, den es in seinem Alter in Deutschland gibt".

Damals ist Rensing gerade 19 Jahre alt geworden, man durfte noch lächeln über Hoeneß' notorischen Enthusiasmus, aber die folgenden beiden Jahre geben ihm recht. Rensing bewährt sich im harten Training mit seinem Vorbild Kahn und Torwarttrainer Sepp Maier, er erhält den Platz im Tor der Juniorennationalelf, sammelt Erfahrungen in der Regionalliga, auch gelegentliche Einsätze im ersten Bayernteam sind verheißungsvoll. "Acht Pflichtspiele bei den Profis, acht Siege - das kann sich sehen lassen", darf Rensing feststellen. Bei seinem letzten großen Auftritt, im Mai beim Eröffnungsspiel der neuen Arena, schaut der Bundestrainer zu. Jürgen Klinsmann ist schwer beeindruckt von Rensings außergewöhnlich guten Paraden.

Typisch für solche Bilderbuchkarrieren ist, dass sie irgendwann einen Bruch erfahren. Für Michael Rensing könnte sich dieser Punkt am gestrigen Donnerstag erfüllt haben, denn da ist Oliver Kahn, 36, im Trainingslager in Bonn vor die Öffentlichkeit getreten und hat bekannt gemacht, dass sich sein Nachfolger noch etwas gedulden muss.

Seinen ursprünglichen Plan, nach der WM Abschied zu nehmen, hat der Nationaltorwart nämlich storniert. Im Urlaub hat Kahn erkannt, dass er sich "gut und fit, sehr frei und sehr ruhig" fühle und daher keinen Grund sehe, die Laufbahn zu beenden. "Ich will noch das ein oder andere Jahr dranhängen", sagt er, denn seiner Ansicht nach kann ein Torwart spielen "bis an die 40 dran, wenn Kopf und Körper es wollen und hergeben". Kahn, kein Zweifel, glaubt von sich, diese Voraussetzungen bestens zu erfüllen.

Aber glauben das auch die Verantwortlichen des FC Bayern? Seit 1994 ist Kahn beim Klub beschäftigt, im kommenden Sommer endet sein Vertrag, bisher hat niemand mit ihm über eine eventuelle Verlängerung gesprochen. NOCH nicht, muss es nun heißen. "Oliver ist immer noch ein überragender Torhüter", stellt Hoeneß fest und verspricht, er werde sich "freuen, wenn Oliver bei uns bleiben will".

Kahn die absolute Nummer Eins

Das war möglicherweise schon mal anders, doch hat besonders Kahns Leistung im vergangenen Halbjahr die Chefs wieder überzeugt. Auch den bis ins späte Frühjahr verlängerten Wettstreit mit Jens Lehmann im Nationaltor sieht Trainer Felix Magath nicht mehr als Bedrohung an: "Es ist Jürgen Klinsmanns Sache, wie er die Dinge handhabt, aber das Ergebnis wird dasselbe sein wie jetzt: Kahn bleibt die Nummer eins." Nach diesem Stand der Dinge wird Michael Rensing also auch in der Saison 2006/07 die Nummer zwei hinter seinem Jugendidol sein. Innerlich hat er sich darauf vorbereitet, obwohl Kahn bereits aufgefallen ist, dass die Ungeduld seines Trainingspartners zunimmt. Fast klingt es, als wäre ihm das in Erinnerung an den eigenen Werdegang etwas unheimlich (damals beim Karlsruher SC lebte der Stammtorwart Alexander Famula in Angst und Schrecken vor dem aufstrebenden Kollegen Kahn): "Es ist eine verdammt harte Aufgabe, gleich bei so einem Spitzenklub anzufangen, wo du extrem unter Druck und im Fokus stehst", meint Kahn, doch Rensing kann mit diesem Ratschlag nicht viel anfangen.

Sein Ehrgeiz ist groß, er hat nicht vor, seine Lehrzeit bei einem anderen Klub als beim FC Bayern zu vollenden. "Mein Herz hängt an diesem Verein. Ich will weiterhin erster Torwart bei Bayern werden und versuche mich für den Tag X zu wappnen", sagt Rensing, dessen Vertrag zwar 2007 endet, der aber hofft, "dass noch viele Jahre bei Bayern dazukommen". Die fabelhafte Geschichte hat ja gerade erst begonnen.

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