Michael Ballack:Verlängerung bis zur Geisterstunde

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Joachim Löw plant offenbar, die Lösung der K-Frage zu verschieben. Er wird Michael Ballack wohl nicht für die ersten EM-Qualifikationsspiele berufen. Begründung: mangelnde Fitness.

Philipp Selldorf

Vom Deutschen Fußball-Bund kam am Donnerstag die spektakuläre Mitteilung, dass die Anstoßzeit für das EM-Qualifikationsspiel der Nationalelf in Kasachstan auf 23 Uhr festgesetzt wurde. Nutznießer des späten Spielbeginns sollen die Zuschauer zu Hause sein: Wenn am 12. Oktober in Astana die Geisterstunde näher rückt, sitzt das Publikum in Deutschland zur besten Sendezeit vor den Fernsehern. Aufgrund der westlich-östlichen Zeitverschiebung liegen vier Stunden zwischen den Ländern. Der Bundestrainer hat der abenteuerlich anmutenden Absprache der beiden Verbände zugestimmt, hieß es DFB.

Darf er sie nun behalten oder nicht? Michael Ballack will wieder die Kapitänsbinde des DFB um seinen Arm tragen. (Foto: dpa)

Das ist aber auch die einzige öffentliche Wortmeldung, die Joachim Löw am Donnerstag zu übermitteln hatte. Alle anderen Versuche, seine Meinungen und Überzeugungen in Erfahrung zu bringen, scheiterten an seiner Weigerung, Telefongespräche mit Journalisten zu führen; er hat diverse Gesprächsofferten zurückgewiesen.

Vor der Bekanntgabe seines Aufgebots für die erste Runde der EM-Qualifikation (am 3. September in Brüssel gegen Belgien, am 7. September in Köln gegen Aserbaidschan) will sich Löw nicht öffentlich äußern. Für die Meldung des kicker, Michael Ballack gehöre nicht zum Kader der Länderspiele, gab es daher keine offizielle Bestätigung. Es spricht aber Einiges dafür, dass die Mutmaßung den Tatsachen entspricht.

Rudi Völler: "Total logisch"

Rudi Völler konnte am Donnerstag in dieser Sache nicht zur Aufklärung beitragen, der Sportchef von Ballacks Arbeitgeber sieht den Fall jedoch "sehr entspannt", wie er vor dem Europacupspiel von Bayer 04 Leverkusen im ukrainischen Simferopol versicherte. "Ich bin mir sicher, dass die beiden miteinander telefonieren und zusammen eine vernünftige Entscheidung treffen werden", meinte er. Völler sagt es zwar nicht, aber auch er ist offenkundig der Ansicht, dass die beiden Länderspiele für seinen Mittelfeldspieler noch zu früh kämen: "Dass Michael nach seiner langen Verletzungspause beim Bundesligastart in Dortmund spielen könnte, das hätte ja vor vier Wochen keiner geglaubt."

Ballack hatte am Sonntag nach dem 2:0-Sieg von Bayer04 in Dortmund erklärt, dass er sich gern der Reisegruppe des DFB anschließen würde; es wäre eine Enttäuschung für ihn, wenn er nun keine Einladung erhielte. Löw darf sich jedoch auf einen prominenten Zeugen berufen: Mit dem Argument, dass Ballack nach seinem fordernden Aufbauprogramm und den in rascher Folge absolvierten Praxistests mehr Regeneration und Training benötige, hatte Leverkusens Trainer Jupp Heynckes dem 33-Jährigen am Mittwoch die Reise mit der Mannschaft auf die Krim vorenthalten. Völler bezeichnete diesen Beschluss als "Toplösung und total logische Entscheidung" und wendete sich gegen Interpretationen, dass Heynckes durch die Reiseverweigerung einer ausufernden Selbstständigkeit seines selbstbewussten Stars entgegentreten wolle. "Bayer 04 soll nicht zum Flohzirkus mit Direktor Michael Ballack werden", kommentierte der Kölner Stadt-Anzeiger, weil Heynckes seine Wahl wie einen Befehl erläutert hatte ("der Spieler hat das zu akzeptieren").

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:Ball und Ballack

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Völler weist solche Auslegungen zurück, den Verzicht auf den Einsatz in Simferopol hätten die Beteiligten abgesprochen, sagt er - und auch der Bayer-Sportchef hielte es für falsch, Ballack gleich nach dem Wiedereinstieg in den Spielbetrieb der Akkordarbeit auszusetzen: "Er soll am Sonntag im Heimspiel gegen Gladbach mitmachen. Das genügt. Eine englische Woche nach der anderen ist kontraproduktiv."

In der Bundesliga durfte Michael Ballack schon ran, für die EM-Qualifikation ist er offenbar nicht fit genug. (Foto: AP)

Dieses Argument dürfte dann auch Löw heranziehen, wenn er Ballacks Rückkehr auf die nächste Gelegenheit verschiebt, zumal da er ihn als Augenzeuge in Dortmund noch nicht in bester Verfassung erlebt hatte. Völler meint außerdem, dass der Bundestrainer dem ungeduldigen Mittelfeldchef a.D. womöglich einen Gefallen tut, indem er ihn zu Hause lässt: "Alle Augen würden sich nur auf ihn richten. Michael muss doch praktisch den Eckball schießen, schnell reinrennen und den Ball dann ins Tor köpfen, damit der Beweis erbracht ist, dass er wirklich fit ist - abgesehen davon, dass der Schiedsrichter das Tor nicht anerkennen würde."

Das Schweigen des Löw

Die Kehrseite der Medaille ist, dass die enervierende Debatte um Ballacks Zukunft im Nationalteam und die stark stilisierte Frage, ob künftig der alte Amtsinhaber oder sein WM-Stellvertreter Philipp Lahm die DFB-Auswahl als Kapitän anführt, noch einige Wochen anhalten dürfte. Löw könnte zwar durch das Bekenntnis zu einer eindeutigen Lösung die Verhältnisse klären, doch diese Art des Vorgehens liegt nicht auf seiner Linie.

Der Bundestrainer hat das Thema bei der WM in Südafrika nicht durch die Moderation der Ansprüche und Rivalitäten beruhigt, und er hat das auch in den folgenden Wochen nicht getan; er schweigt und meidet entschieden eine Festlegung. Auch Philipp Lahm weiß deshalb nicht, woran er ist. Der Münchner bekräftigte jetzt seinen Anspruch aus den späten WM-Tagen ("meine Meinung ist immer noch dieselbe wie vor sechs Wochen"), weiß aber nicht, was der Trainer plant. Eine Kommunikation zwischen den betroffenen Profis gibt es sowieso nicht. Der tz erzählte Lahm, er habe keine Ahnung, welche Folgen die Entscheidung in der Kapitänskonkurrenz haben werde: "Ich weiß nicht, ob Michael damit ein Problem hat. Ich habe keins", sagte er, "wenn Michael Kapitän wird, ändert sich für mich nichts."

Wie der Fall enden wird - erst zur Geisterstunde in Kasachstan wird man vermutlich mehr wissen.

© SZ vom 27.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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