Mercedes-Duell in der Formel 1:Wenn sich jeder selbst der Nächste ist

Lewis Hamilton, Nico Rosberg, Mercedes, Formel 1

Faxen sind noch erlaubt, der Funk ist stark reglementiert: Mercedes-Pilot Lewis Hamilton ärgert Kollege Nico Rosberg beim Interview.

(Foto: Edgar Su/Reuters)

Beim Großen Preis von Singapur sind keine Fahr-Tipps über Funk mehr erlaubt - um das wahre Können der Formel-1-Piloten zu belohnen. Die Titel-Rivalen Lewis Hamilton und Nico Rosberg glauben beide, daraus einen Vorteil für sich ziehen zu können.

Von Elmar Brümmer, Singapur

So sieht das also aus, wenn sich jeder selbst der Nächste ist, man aber zusammen auf einer Bühne stehen und für den Konzern, das Team, die Sponsoren sowie die Fans Gemeinsamkeit spielen muss. Nico Rosberg steht vor der Werbe-Leuchtwand im Casino-Hotel und gibt ein Interview. Er versucht so staatsmännisch zu schauen, wie es sich für einen Formel-1- Führenden gehört.

Bis von hinten ein Mann ins Bild springt, den Mund weit aufgerissen, als würde er "Buuuh" rufen, dazu gleich mit beiden Händen das Victory-Zeichen machend. Je nach Blickwinkel wirken die gespreizten Finger von Lewis Hamilton dabei so, als würde er Rosberg Hasenohren verleihen. Der Saal tobt. Der Große Preis von Singapur in der schwülen Nacht Südostasiens ist das mental anstrengendste Rennen der Saison. Aber das bezieht sich für die beiden Kontrahenten aus dem Mercedes-Werksteam nicht nur auf die Rennstrecke.

Die Betriebstemperatur stimmt schon mal. Abends um neun Uhr noch 28 Grad, Luftfeuchtigkeit 80 Prozent, deutliche Anspannung. Innerhalb von einer Stunde schleust Mercedes seine beiden Chauffeure durch das Medienspalier. Brav nacheinander und nach Reporter-Nationalitäten getrennt. Schon da werden die deutsch-britischen Befindlichkeiten spürbar, ein klassischer Konflikt auch im Motorsport.

Aber der besondere Zweikampf ist auch global gesehen das Beste, was der Formel 1 passieren konnte. 20 Kameras, 40 Reporter, jeweils das Doppelte wie nebenan bei Sebastian Vettel, dem Noch-Weltmeister. Seine möglichen Nachfolger, Rosberg oder Hamilton, versuchen, das Risiko einer weiteren Berührung ihrer Silberpfeile zu relativieren, als ob es Spa-Francorchamps nie gegeben hätte - an dieser Maxime habe sich doch seit Saisonbeginn nichts verändert.

Allerdings erlaubt der enge und holprige Marina Bay Circuit beim längsten Rennen des Jahres keine Ausweichmanöver wie neulich in Monza. Die Konzernräson sieht für künftige Vergehen drastische Strafen vor. So weit will es keiner der beiden 29-Jährigen kommen lassen. Sechs Rennen noch in dieser Saison, Rosberg führt mit 22 Punkten vor Hamilton. Das klingt nach viel, doch so groß ist der Vorsprung nicht. Denn Mercedes gewährt beiden freie Fahrt, und das erhöht das Risiko.

Nach dem Willen des Automobilweltverbandes Fia soll das Titelrennen noch stärker durch rein fahrerisches Können entschieden werden. Kurzfristig pochten Präsident Jean Todt und Rennleiter Charlie Whiting auf den Paragrafen 20.1, der besagt, dass ein Fahrer ohne Hilfen auskommen muss - und wollten den Funkverkehr zwischen Box und Cockpit über Nacht fast ganz herunterfahren. Funkstille.

Hamilton ist ganz der Jäger

Am Freitag wurden die meisten Einschränkungen wieder zurückgenommen, aus Sicherheitsgründen. Denn die komplizierte und bei vielen Teams noch anfällige Hybrid-Technik beherrschen selbst Spitzenpiloten kaum ohne fremde Hilfe, zumal die Fahrer auf einem Kurs mit 23 Kurven auf fünf Kilometern wie in Singapur besser die Hand am Lenkrad behalten sollten, als an Displays und Schaltern zu drücken. Die Radikalreform wird also auf die nächste Saison vertagt, doch das Sprechverbot für Fahrtipps bleibt bestehen.

Bei Mercedes lässt das beide Parteien frohlocken. Sowohl Hamilton als auch Rosberg wähnen sich als versiert genug, um auch ohne Ratschläge klarzukommen, wenn nicht sogar aus den Einschränkungen einen Vorteil für sich zu ziehen. Rosberg erzählt eine Geschichte von einem Rennen im Frühjahr. Da diktierte ihm sein Ingenieur technische Einstellungen, und Kontrahent Hamilton, dessen Gewährsmann am Kommandostand alles mithörte, kopierte diese umgehend. Resultat: Rosbergs technisch-taktischer Vorteil kam nicht zur Geltung. Daran entzündete sich der schon länger schwelende Konflikt zwischen den beiden erst richtig. "Mit der neuen Regel kann jeder seine eigene Taktik machen und den anderen überraschen", frohlockt der WM-Spitzenreiter.

Lewis Hamilton tritt kurz darauf ans Rednerpult, gelassen, konzentriert und ernster als Rosberg. Er sei ganz froh, dass ihm niemand sage, wann er zu bremsen oder was er in der Kurve zu tun habe - das sei doch eine klare Sache des Gefühls. Und beim Rest ginge es doch mehr darum, ein paar Dinge im Prozedere auswendig zu lernen, wie bei einem Gedicht.

Wenn er provozieren oder verunsichern will, dann allein schon mit seiner gelebten Coolness. Doch auch bei ihm kann die Körpersprache die Anspannung nicht ganz verbergen, unter dem Tisch wippt er, ganz der Jäger, rhythmisch mit den Beinen. Der Angreifer vertraut darauf, den anderen in Fehler treiben zu können, wie es ihm bei Nico Rosbergs spektakulärem Verbremser in Monza schon gelungen ist.

Rosberg hingegen glaubt sehr wohl, dem Druck weiter Stand zu halten: "Ich sehe das, was in Italien passiert ist, gar nicht so sehr als Desaster. Am meisten lerne ich immer aus dem, was schief geht. Aber ich bemühe mich dann auch, die Sachen hinter mich zu bringen. Ich bin absolut optimistisch, positiv eingestellt - und befinde mich mental in einer guten Form." Sich stark zu reden bleibt auch nach den neuen Regeln unbenommen. Beiden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: