Mehrkampf-Meeting in Götzis:Klar im Kopf

Athletics meeting in Goetzis

Die vielen Erwartungen, die sie mit sich herumschleppt, scheinen Katarina Johnson-Thompson den Hürdenlauf in Götzis kaum zu erschweren.

(Foto: Peter Rinderer/dpa)

Die Britin Katarina Johnson-Thompson gilt als kommende Branchenführerin im Siebenkampf. Nach einer enttäuschenden WM-Saison startet sie in Götzis eine Art zweite Karriere - mit 23.

Von Johannes Knuth, Götzis

Der Moment verfolgte sie für eine Weile jeden Tag. Wenn sie aufstand, wenn sie ihren Computer anwarf, dieser eine, verdammte Sprung. Die Siebenkämpferin Katarina Johnson-Thompson hatte den verhängnisvollen Moment ihres dritten Weitsprungs aus Peking als Hintergrundbild auf ihren PC geladen, als Mahnung und Antrieb: Das Bild zeigte das Brett und ihren Fuß, ein paar Millimeter über der erlaubten Markierung, genug, um Johnson-Thompsons Ambitionen bei der WM im vergangenen August zu zertrümmern. Weitsprung ist ihre Kernkompetenz, stattdessen brachte sie damals drei ungültige Versuche in die Wertung. Der Moment, der sie Richtung WM-Titel lenken sollte, stürzte sie in den Keller des Klassements.

Katarina Johnson-Thompson, 23, aus Liverpool, arbeitet an diesem Wochenende in Götzis an ihrem ersten Siebenkampf seit Peking. Es ist so etwas wie ein zweiter Start in eine neue Karriere. Sie wirkt zuversichtlich, zufrieden mit ihrer Siebenkampf-Welt, als sie am Freitagabend die Athleten vorstellen. Draußen servieren sie Kalbsbratwurst, drinnen, bei der Präsentation im Kulturzentrum, spielt die Blaskapelle, dann holen sie die Athleten rein. Johnson-Thomson sagt: "Ich hoffe, dass ich den Schwung aus der Hallensaison mitnehmen kann. So etwas wie letztes Jahr darf nie wieder passieren."

Mit beeindruckender Sprint- und Sprungkraft gesegnet

Katarina Johnson-Thompson, oder "Gadderina Dschonsen-Dompsen", wie sie in Götzis sagen, ist eines der größten Leichtathletik-Talente, das sie in Großbritannien gerade heranziehen. Sie sammelte vor zwei Jahren 6682 Punkte in Götzis, eine beachtliche Marke für eine 21-Jährige. Spätestens seitdem schleppt sie die Erwartungen mit sich herum. Irgendwann einmal soll sie die Leitung im Siebenkampf-Ressort von Jessica Ennis-Hill übernehmen, der regierenden Weltmeisterin und Olympiasiegerin, vielleicht schon in diesem Jahr bei den Sommerspielen in Rio.

Ennis-Hill trägt gerade weniger die Erwartungen, dafür einige Verletzungen mit sich herum. Gegen Johnson-Thompson spricht, dass sie zuletzt einige Rückschläge erlitt. Für sie spricht, dass sie eine beeindruckende Sprint- und Sprungkraft mit sich führt. Außerdem trägt sie einen netten Spitznamen, KJT, sie klingt ein wenig wie ihr eigener Flughafen. Vor allem aber spricht für sie, dass sie ihre größte Kraft mittlerweile nicht mehr aus ihrer Begabung zieht, sondern aus all den Rückschlägen, vor allem aus dem verdammten Sprung aus Peking.

Die Latte mit dem Pferdeschwanz gerissen

Johnson-Thompson hatte sich damals vor dem Weitsprung in die Nähe von Ennis-Hill geschoben, der späteren Siegerin. Dann trat sie drei Mal über. "Die vergangenen Jahre habe ich so viele Gelegenheiten vergeben", sagte sie später dem Daily Telegraph. 2013, bei der WM in Moskau, hatte sie die Latte mit ihrem Pferdeschwanz hinuntergestoßen, es war vermutlich der Unterschied zwischen Platz drei und fünf. Und dann halt Peking. "Peking war eine kräftige Ohrfeige", erinnert sich Johnson-Thompson. "Ich war gezwungen, mich zu hinterfragen."

Johnson-Thompson ließ sich im Winter am Knie operieren. Sie hatte ihre chronischen Sehnenschmerzen im Vorjahr lange verheimlicht. Diesen Fehler, sagt sie jetzt, werde sie nie wieder begehen. Sie steigerte sich früher oft in jede Disziplin hinein, aber wer immer am Anschlag arbeitet, den wirft der zehrende Mehrkampf schnell aus der Bahn. "Ich habe mich zu oft auf mein Talent verlassen, weniger mit dem Kopf gearbeitet", sagt sie heute. "Ich will die Dinge ernsthafter angehen." Sie ist dabei, sich ein wenig neu zu erfinden, mit 23. Bis jetzt scheint es zu klappen.

In Götzis begann sie mit 13,37 Sekunden über 100 Meter Hürden, eine persönliche Bestleistung, daran reihte sie starke 1,92 Meter im Hochsprung, nur 11,55 Meter mit der Kugel, dafür 22,79 Sekunden über 200 Meter. Am Samstagabend, zur Halbzeit, hatte sie 3932 Punkte erwirtschaftet, 40 weniger als Brianne Theisen-Eaton/Kanada, die Vorjahressiegerin und Führende. Aber Johnson-Thompsons vorerst größte Probe wartet ohnehin am Sonntagmorgen: beim Weitsprung.

Das Bild von ihrem Absprung hat sie mittlerweile von ihrem Computer gelöscht, die Erinnerungen an Peking haben sich ohnehin im Gedächtnis eingebrannt. "Ich habe dabei eine Menge gelernt", sagt sie. Sie ist mittlerweile ganz dankbar für die dunkle Zeit, wenn sie sich in Peking durchgemogelt hätte, hätte sie womöglich in eine trügerische Zufriedenheit getrieben. "In diesem Jahr ist alles auf Rio ausgerichtet", sagt sie. "Und in meinem Kopf ist jetzt alles ganz klar."

Freimuth, Knobel, Abele mit je drei Fehlversuchen

Für die deutschen Zehnkämpfer nahm der Samstag einige abrupte Wendungen. Rico Freimuth, der WM-Dritte von Peking, knüpfte im Weitsprung drei ungültige Versuche aneinander; nachdem er bereits vorher an Wadenproblemen gelitten hatte, stieg er aus dem Wettkampf aus. Auch der Frankfurter Jan Felix Knobel trug keinen gültigen Weitsprung in die Wertung. Arthur Abele erwischte es nach seiner langer Verletzungspause und einem verheißungsvollen Start (7,57 Meter im Weitsprung) im Kugelstoßen, drei Mal trieb es ihn aus dem Ring. "Meine beste Disziplin, ich habe versagt", sagt er, den Tränen nahe.

Abele, Knobel und Freimuth bleibt nur noch der Zehnkampf im Juli in Ratingen, um die Zulassung für Rio zu erwerben. Von einst sechs deutschen Startern in Götzis (Mathias Brugger hatte sich bereits vorher verletzt abgemeldet) waren zur Halbzeit nur noch zwei mit voller Kraft im Rennen: Vorjahressieger Kai Kazmirek, der sich als Zweiter (4417) hinter den Führenden Damian Warner aus Kanada (4424) klemmte, dazu der junge Ulmer Tim Nowak (21./3912).

Bei den Frauen deutete Carolin Schäfer (TV Friedrichstein) an, warum die Trainer ihr für den Olympiasommer am meisten zutrauen. Die 24-Jährige reihte sich mit 3922 Punkten hinter Theisen-Eaton und Johnson-Thompson ein. Jennifer Oeser beendete den ersten Tag als Zwölfte (3688), gefolgt von Hürden-Expertin Cindy Roleder (14./3668), Claudia Rath (17./3639), Anna Maiwald (18./3619) und Lilli Schwarzkopf (22./3569).

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