Mehmet Scholl:Wunderbare Begabung

Nur zehn Minuten durfte der fragile Mittelfeldspieler gegen Berlin sein Können unter Beweis stellen - es waren die schönsten in einem weitgehend faden Spiel.

Thomas Becker

Ein kurzer Wink und schon bricht der Jubel los. Was muss das für ein Gefühl der Macht sein! Doch die Begeisterung gilt nicht Seppo Eichkorn, dem Assistent von Bayern-Trainer Felix Magath, sondern dem Herbeibefohlenen. Bis zur 80. Minute hatte Mehmet Scholl mit den Kollegen Schweinsteiger, Guerrero und Ottl auf die dritte und letzte Einwechslung gewartet - viel zu lange für den Geschmack der meisten Fans.

Mehmet Scholl

Vom Publikum gefordert: Mehmet Scholl.

(Foto: Foto: dpa)

Als Scholl dann endlich Richtung Wechselzone traben und das gelbe Leibchen ausziehen darf, brandet schon vorfreudiger Applaus auf: Endlich kommt einer, der Fußball spielt. Brave Klatscher für den schwachen Ze Roberto, der seinen Platz räumt, volle Lautstärke, als Stadionsprecher Stefan Lehmann den Namen des Neuen fordert: "Mit der Nummer sieben: Mehmet...." 66.000-fache Brüll-Antwort: Scholl!!! Allmählich entwickelt sich so etwas wie Kult um den fragilen Mann mit der wunderbaren Begabung.

Die zehn Minuten mit Scholl waren die schönsten in diesem weitgehend faden 3:0, dem zwölften FCB-Triumph in Serie, dem 500. Bundesliga-Heimsieg der Bayern. Nach zwei Minuten gelingt Scholl fast das 2:0, doch sein Schuss wird abgeblockt. Dafür dann drei Minuten später: Ballack schaufelt ihm den Ball punktgenau auf den wieder kurz geschorenen Schädel und Scholls 84. Bayern-Treffer im 303. Bundesligaspiel ist perfekt, das erste Kopfballtor seit vier Jahren.

Berliner Stadion-Touristen

Roy Makaay, der zuvor zwei Herthaner auf sich gezogen hatte, sagt: "Dass ich das nochmal erleben darf, dass der Scholli ein Kopfballtor macht!" Spielkamerad Deisler weiß: "So ein schöner Kopfball - das passiert ihm nie mehr wieder." Logisch, dass nach dem großen Knuddeln auch noch der Dezibel-Rekord in der Allianz-Arena gebrochen wurde: "Torschütze mit der Nummer sieben: Mehmet..."

Und so findet sich der Meister nach drei Spieltagen bereits wieder allein auf weiter Flur: elf Tore, neun Punkte, schon zwei mehr als die Konkurrenz. Könnte eine fade Saison werden. Gerade daheim in der Allianz-Arena dürfte das bisherige Standardergebnis (3:0 gegen Gladbach und Hertha) zur schönen Gewohnheit werden: Hannover, Wolfsburg und Duisburg werden den Bayern wohl nicht alles abverlangen; erst im November kommt mit Bremen ein dickerer Brocken. Bis dahin wird man es mit massiven Abwehrverbänden zu tun bekommen, die wie nun die Hertha wenig Interesse an der Spielgestaltung mitbringen.

Der Ex-Berliner Sebastian Deisler, bei seiner Einwechslung von den Ultras übel beschimpft, wunderte sich: "Die wollten ja gar nicht gewinnen, die haben einfach nur mitgespielt und darauf gewartet, dass wir das zweite und dritte Tor machen. Vielleicht wollten die sich 60 Minuten lang erst mal das Stadion anschauen." Auch Michael Ballack konnte der defensiv bis destruktiven Gästetaktik nicht viel abgewinnen: "Die haben ja mit vier Innenverteidigern gespielt."

Magath war von der Anti-Haltung der Berliner nicht überrascht: "Ich wusste, dass es ein Geduldsspiel wird. Wir haben die Aufgabe gut gelöst, doch das Ergebnis täuscht über den Spielverlauf hinweg." Wohl wahr: Sowohl Pizarro als auch Ze Roberto und später Deisler sind noch Fremdkörper in der Mannschaft. Den Führungstreffer verdankten die Bayern Nationalverteidiger Arne Friedrich, der Ballacks Freistoß dankenswerterweise abfälschte.

Und vor den schönen Scholl-Minuten am Ende hatte die Bayern-Offensive meist nur aus hohen Bällen in den Strafraum bestanden. Gut, das fatale Defensivverhalten bei den Toren von Scholl und Makaay muss man auch erst mal nutzen, aber von überragender spielerischer Klasse konnte wahrlich nicht die Rede sein.

Magath weiß, dass sein Team noch nicht so gut ist wie es die Tabelle derzeit glauben macht und tritt folglich mit beiden Füßen auf die Euphoriebremse: "Wir haben nun mit neun Punkten das Maximale erreicht, bevor es jetzt im September so richtig losgeht." In zwei Wochen beginnt die Champions League und damit die gefürchtete Mehrbelastung, "da werden wir noch den ein oder anderen Punkt lassen müssen", weiß Magath.

Angst und bange muss ihm allerdings auch nicht werden: Die Reservebank ist ja bestens besetzt. Mehmet Scholl zum Beispiel würde "gern mal wieder 90 Minuten spielen" anstatt nur die letzten zehn, "aber solange wir gewinnen, ist das in Ordnung."

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