McLaren-Report:Russland jubelt schon

MOSCOW RUSSIA DECEMBER 9 2016 Two time Olympic pole vault champion IOC Athletes Commission mem

"Ich bezweifle, dass uns konkrete Beweise gezeigt werden können, wenn wir darum bitten." - Jelena Issinbajewa, Stabhochsprung-Olympiasiegerin und neue Chefin von Russlands Anti-Doping-Agentur

(Foto: imago/ITAR-TASS)
  • Mehr als 1000 russische Athleten profitierten nach Erkenntnissen des McLaren-Reports von staatlich organisierter Doping-Vertuschung.
  • Dennoch glaubt Russland, dass dem Land ein Olympia-Ausschluss erspart bleibt.
  • Klar ist aber, dass weitere Athleten bestraft werden dürften - und womöglich auch Fachverbände.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Weite Teile der Sportwelt sind schockiert, aber der Auslöser des Schocks gibt sich entspannt. Seit Freitag liegen zahlreiche Beweise vor, dass es in Russland jahrelang eine "institutionelle Verschwörung" gab: Mehr als 1000 Athleten profitierten nach Erkenntnissen des von der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) eingesetzten Ermittlers Richard McLaren davon, dass staatliche Stellen die Vertuschung von Positivproben organisierten.

Doch trotz dieser Dimension gibt der Ex-Sportminister und jetzige Vize-Premier Witalij Mutko eine klare Linie vor: Einzelne Athleten mögen bestraft werden, aber Russlands Sport als Kollektiv droht fast nichts - erst recht kein Ausschluss von den Olympischen Spielen durch das Internationale Olympische Komitee (IOC).

"Mir scheint, dass das IOC seinen Kurs schon eingeschlagen hat. Dass es in diesem Fall keine Kollektivstrafe geben soll", sagte Mutko, und er hat sogar gute Gründe für diese Annahme. Russlands (sport-)politische Führung bestreitet trotz der zahlreichen Belege für umfangreiche Manipulationen den Vorwurf eines organisierten Dopingsystems, dafür verweist sie genüsslich auf ein spezifisches Detail in der Arbeit von McLaren: seine Erkenntnisse über das russische Olympia-Komitee (ROK). Die lauten gemäß McLaren: Wir haben Beweise dafür, dass Individuen beteiligt waren, aber das Komitee als Komitee ist nicht involviert.

Das angeblich saubere ROK lieferte schon im Sommer, nach Vorlage des ersten McLaren-Reportes, die Begründung dafür, dass das IOC Russland den nahezu geschlossenen Start in Rio ermöglichte. Dieses Gremium selbst sei ja nicht involviert, argumentierte IOC-Präsident Thomas Bach, der Russland traditionell nahesteht. Das verblüffte, weil gemäß des damaligen Berichtes zwei ROK-Leute involviert waren. Einer davon war der (inzwischen entlassene) Vize-Sportminister Jurij Nagornych: Der entschied gemäß McLaren über Jahre, ob ein Positivtest korrekt oder falsch weitergegeben werden sollte. Der zweite Bericht sowie die fast 1200 dazu im Internet veröffentlichte Dokumente belegen dies noch einmal in verstärkter Form.

Dennoch betont McLaren nun, dass das "Komitee als Komitee" nicht involviert gewesen sei. Die Argumentation klingt merkwürdig. Denn wenn es schon eine institutionelle Verschwörung von Sportministerium, Geheimdienst, Anti-Doping-Agentur und Kontrolllabor gegeben haben soll - warum gilt ausgerechnet die Institution als unbeteiligt, zu deren Nutzen die ganze Verschwörung ablief? Mit der gleichen Logik ließe sich im Übrigen festhalten, dass "der Geheimdienst als Geheimdienst" nicht involviert war, sondern halt nur vereinzelte Agenten.

"Sollen sie überprüfen", sagt Mutko

Die Pro-Russland-Front nahm das jedenfalls dankbar auf. Mutko hielt fest, dass es zum ROK keine Fragen gebe; es habe nur "irgendjemand abstrakt" mitgemacht. Ein abstrakt handelnder Irgendjemand, das ist eine nette Umschreibung für den eigenen Vize-Minister. Und IOC-Boss Bach drohte zwar in einer ersten Reaktion den beteiligten Athleten und Offiziellen mit einem lebenslangen Olympia-Bann, aber nicht mit Folgen für Russlands sportpolitische Institutionen. Erst kurz vor der Publikation des neuen Reports hatte er noch einmal betont, wie korrekt der IOC-Entscheid pro Russland im Sommer gewesen sei und dass das seiner Meinung nach immer mehr Leute so sehen würden.

Konkrete Folgen werden McLarens Erkenntnisse dennoch haben. Zumindest die wenigen internationalen Fachverbände, in denen nicht Russen als Präsident, Vize- Präsident, maßgebliche Strippenzieher oder Geldgeber wirken, könnten sich zu einem Komplett-Ausschluss entschließen. Die Leichtathleten taten dies bereits im Vorjahr. Die einzelnen Föderationen wollen nun erst einmal McLarens Ergebnisse genau studieren. Im Gros der Disziplinen sind keine Konsequenzen für Russlands jeweiligen Fachverband zu erwarten.

Bach kündigt Nachtests aller russischen Athleten von London 2012 und Sotschi 2014 an

Klar ist aber, dass es noch weitere Athleten treffen wird. Bei mehr als zwei Dutzend russischen Medaillengewinnern von London und Sotschi sind dank McLarens Arbeit Dopingverstöße nachgewiesen worden, teilweise wurden diese schon sanktioniert. Die Namen der vielen Hundert Sportler, die vom Manipulationssystem profitierten, liegen der Wada und den internationalen Fachverbänden vor. Thomas Bach kündigte unter dem Druck der Veröffentlichungen Nachtests aller russischen Athleten von London 2012 und Sotschi 2014 an. Regierungs-Mann Mutko nimmt auch das gelassen: "Sollen sie überprüfen", sagte er.

Der ehemalige Wada-Generaldirektor David Howman forderte noch umfangreichere Nachtests. "Es ist die nächste Gelegenheit für sie (das IOC), ihrer Verpflichtung nachzukommen, nämlich alle Proben nachzutesten, die sie gelagert haben, bevor die Frist ausläuft. Auf jeden Fall die Proben von London, auf jeden Fall von Sotschi, und von den Spielen in Vancouver hat bisher noch gar keiner gesprochen", sagte er der ARD. Er meint: Nicht nur die Proben russischer Starter. Auch die aller anderen.

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