Mayrhofer beim TSV 1860 München:Ach, Wittgenstein!

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Die Nachfolge von 1860-Präsident Gerhard Mayrhofer bleibt vorerst ungeklärt. (Foto: Armin Weigel/dpa)

München redet wieder über den TSV 1860 - wegen eines talentierten Japaners, aber auch wegen eines Klubpräsidenten mit Hang zum Destruktiv-Philosophischen. Denn Gerhard Mayrhofer überrascht das Vereinsumfeld des Zweitligisten mit seinem eigenwilligen Handeln.

Von Markus Schäflein und Philipp Schneider

Am frühen Samstagabend hat sich Gerhard Mayrhofer mal wieder im Internet auf Facebook eingeloggt, wo er ein Profil besitzt mit dem Namen Gerhard Mayrhofer, Präsident TSV 1860 München. Der Präsident des Zweitligisten liebt Facebook, er ist der erste Präsident der Vereinsgeschichte, der sich dort angemeldet hat, weil er lieber ungefiltert kommuniziert als in den Zeitungen, mit denen er kaum noch spricht. Was würde er diesmal verkünden?

Am Vorabend hatte seine Mannschaft ein furioses Fußballspiel abgeliefert, mit 4:0 war die von Trainer Friedhelm Funkel betreute Elf über den VfR Aalen hinweggefegt, mit so viel Energie, wie sie nur Spieler aufbringen können, die den Glauben an eine Mission noch nicht verloren haben, die bei Sechzig immer heißt: Aufstieg. "Toll gespielt!", "Platz drei ist wieder in Sichtweite!", - Präsident Mayrhofer hätte am Samstag alles mögliche im Internet verkünden können. Er begann zu tippen, und er schrieb: "Liebe Löwen, um jetzt dieser unglaublichen Kampagne gegen mich endgültig den Boden zu entziehen, hier der original Wortlaut der SMS-Konversation zwischen der Abendzeitung und mir."

Der ewig traurige Löwe mit Wohnsitz München kreist mal wieder um sich selbst. Er macht Politik, den Sport betreibt er nebenbei. Auch unter Gerhard Mayrhofer ist das so, dem 34. Präsidenten des TSV 1860. Am Tag des 4:0 gegen Aalen hatten zwei Münchner Zeitungen eine SMS veröffentlicht, die Mayrhofer an einen Reporter der Abendzeitung gesendet hatte; wenige Minuten, nachdem bekannt geworden war, dass das traditionsreiche Blatt hatte Insolvenz anmelden müssen. Er schrieb: "Manche Dinge erledigen sich von selbst... schönen Tag noch."

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Offensivstark wie lange nicht mehr: Beim 4:0 gegen den VfR Aalen gelingt dem TSV 1860 München der höchste Sieg seit September 2012. Verantwortlich dafür ist die neue Taktik von Trainer Friedhelm Funkel.

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Als der Reporter wissen wollte, ob er diesen Kommentar veröffentlichen dürfe, antwortete Mayrhofer: "Gerne." Die Abendzeitung druckte die SMS. Die Bild titelte: "Präsident peinlich - Weiß Löwen-Boss Gerhard Mayrhofer, was er tut?" Nun diskutiert München darüber, ob sich ein Präsident des TSV 1860 einen zynischen Kommentar über die drohende Arbeitslosigkeit eines Reporters erlauben darf, mit dem er sich ewige, von beiden Seiten befeuerte Scharmützel geliefert hatte.

Tatsächlich ist es so, dass es einiger Phantasie bedarf, um die präsidiale SMS auf etwas anderes zu beziehen als auf die Insolvenz des Arbeitgebers des Reporters. Andererseits beteuerte Mayrhofer in ausführlichen Stellungnahmen, er werde missverstanden. Und es passt natürlich auch mal wieder ins Umfeld des TSV, dass eine an sich private Korrespondenz überhaupt öffentlich wird.

Die neueste Posse um Sechzig hat eine lange Vorgeschichte. Seit der Marketingexperte Mayrhofer im Juli 2013 sein Amt angetreten hat, hat er viel verändert, und er hat dabei auch vieles richtig gemacht: Den überforderten Geschäftsführer hat er durch Markus Rejek ersetzt, einen neuen Mann aus der Marketingabteilung von Borussia Dortmund. Auch der unerfahrene Trainer musste gehen, in Friedhelm Funkel kam ein gewiefter Übungsleiter mit Vorliebe zur defensiven Strategie - und Kontakten. Dass der japanische Stürmer Yuya Osako nun für die Löwen spielt, einer der besten Spieler der jüngeren Vereinsgeschichte (fünf Spiele, drei Tore), ist Funkel zu verdanken. Zwar hat Osako eine Ausstiegsklausel für den Sommer, doch käme sie zum Tragen, hätte 1860 immerhin rund eine Million Euro an ihm verdient.

Den gerne plaudernden Verwaltungsrat hat Mayrhofer weitgehend ruhig gestellt. Und vor allem schaffte es der neue Präsident, den jordanischen Investor Hasan Ismaik, auf dessen Geld 1860 so dringend angewiesen ist, zu befrieden und auf seine Seite zu bringen.

Doch dann machte sich Mayrhofer auf, zu bekämpfen, was aus seiner Sicht das Grundübel dieses Klubs ist. "Es geht immer nur um das Schlechte, das Negative. Wenn wir mal zehn Spiele hintereinander gewinnen würden, dann würden wir manche Menschen in die Sinnkrise stürzen", klagte er. Dies bezog er auf Teile der Anhängerschaft und der Mitglieder, vor allem aber auf die Medien: "Jeden Tag denkt sich der Münchner Boulevard Geschichten über uns aus, und das geht an den Spielern nicht spurlos vorüber." Münchens Reporter hätten ein Eigeninteresse am Misserfolg der Löwen: "Die wollen uns genau da haben, wo wir sind. Weil sie glauben, dass das gut für die Auflage ist."

Also kündigte Mayrhofer an, Reporter und Fans künftig vom Trainingsgelände ausschließen zu wollen, "nicht bei jedem Training, aber ab und zu". Eine Maßnahme, die üblich ist bei vielen Profiklubs, sorgte für Protestwellen rund um das Löwenstüberl und in den Zeitungen ("Jetzt knöpft sich Mayrhofer die Fans vor"). Dazu muss man wissen, dass es an der Grünwalder Straße einen findigen Internet-Blogger gibt, der im Löwenstüberl nahezu wohnt. Und der ein Geschick entwickelt hat, jede Woche die korrekte Mannschaftaufstellung vorab zu veröffentlichen. Weil er das Abschlusstraining beobachten darf.

Gerhard Mayrhofer ist zweifelsfrei eine bemerkenswerte Persönlichkeit. Er liebt die Filme von David Lynch, die so surreal und verkopft sind, dass manche Zuschauer entgeistert wegschalten. Lynchs Lebensthema sind Parallelwelten, die Menschen entgegen der Realität in ihrer Psyche erschaffen können. In der veröffentlichen SMS-Korrespondenz zitiert Mayrhofer den Philosophen Ludwig Wittgenstein, dessen These es war, dass Fehlanwendungen der Sprache das Grundübel aller philosophischen Probleme seien. "Ach, Wittgenstein!", schrieb ihm der Reporter zurück.

Und Mayrhofer ist Vegetarier, was allein schon bemerkenswert ist beim TSV 1860 München, dessen Historie geprägt ist von Männern wie dem Großgastronom Karl-Heinz Wildmoser, dem Metzgermeister Karl Auer und dem Ismaninger Großbauern Jacki Kraus. Mayrhofer berichtete einmal, wie er sich entschied, kein Fleisch mehr zu verzehren: "Ich saß eines Tages auf dem Sofa mit meinem Hund Emma und wir haben uns tief in die Augen geschaut. In dem Moment habe ich mir gedacht: Ich kann dich nicht essen, nein, unmöglich." Mayrhofers Gedankenwelt kann stringent und logisch sein, nur erschließt sie sich oft nicht unmittelbar.

"Das ganze Konstrukt um 1860 - seine Medienlandschaft und die sogenannten Fans außenrum - hat das Potenzial, Menschen zu zerstören", hat Mayrhofer gesagt. Mag sein, er hat den Verein durchschaut. Mag ebenfalls sein, er weiß noch nicht recht, wie genau er das Konstrukt verändern soll.

© SZ vom 10.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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