Max Schmeling:Mehr als das Herz eines Boxers

Es ist das Ende einer Heldengeschichte: Der Box-Star ist am Mittwoch im Alter von 99 Jahren gestorben. Zu Lebzeiten war Schmeling ein Idol - und das wird er auch über den Tod hinaus bleiben. Von Holger Gertz.

Der Boxer Luan Krasniqi hat vor kurzem ein Interview gegeben, in dem es um dies und das ging, aber auch um Max Schmeling. Er hat ihn mal am Ring getroffen, und es muss ein beeindruckendes Erlebnis gewesen sein. Krasniqi sagt: "Ich habe seinen Blick noch immer vor Augen, ich habe ihn sehr bewundert und war berührt, als ich ihn traf."

Schmeling, AP

Die Nummer eins der deutschen Sportgeschichte: Max Schmeling.

(Foto: Foto: AP)

Eigentlich sind Boxer, Preisboxer, nicht bekannt dafür, ihre Gefühle derart auszustellen, sie müssen hart sein im Ring und draußen, wahrscheinlich müssen sie sein wie alle, die heute irgendwie überleben wollen. Und, sie müssen sich größer machen, als sie sind, auch das ist ein Teil des Geschäfts.

Krasniqi aber, immerhin Europameister im Schwergewicht, hat erzählt, jemand habe ihn einmal gefragt, ob er Nachfolger Schmelings werden wolle. Da hat er nur gelacht. "Ich will Weltmeister werden. Aber ein Schmeling zu werden? Das ist ein Ding der Unmöglichkeit."

Ein alter Mann, aber ein grandioser Boxer

Luan Krasniqi ist 33. Er hat Schmeling, der zum letzten Mal 1948 antrat, nicht mehr live kämpfen gesehen, er hat nur einen alten Mann getroffen, von dem er wusste, dass der alte Mann einmal ein großer Boxer war.

Krasniqi ist so wie die meisten der Zuschauer im Fernsehen; lauter zu spät Geborene, die bei den vielen Umfragen nach den größten deutschen Sportlern aller Zeit immer noch sagen: Schmeling. Michael Schumacher, Steffi Graf, Boris Becker, Max Schmeling, das ist die Spitzengruppe.

Den Wettbewerbsnachteil, den meisten Abstimmenden nicht mehr als Aktiver bekannt zu sein, hat Max Schmeling immer locker ausgleichen können. Er war ja ein Mythos, so steht es in allen jüngeren Texten über ihn. Und gegen einen Mythos kommt keiner an, der Rote Baron Becker nicht, das Frollein Vorhand Graf nicht, auch nicht Michael Schumacher, obwohl der immerhin ein Regengott ist.

Der eine, große Sieg

Eine Möglichkeit, ein Mythos zu werden, besteht darin, etwas Großes zu schaffen und danach möglichst schnell zu sterben. Die andere, etwas Großes zu schaffen und danach noch sehr lange zu leben.

Max Schmeling. Geboren als Sohn eines Seemanns am 28. September 1905 in Klein-Luckow. Weltmeister im Schwergewicht von 1930 bis 1932. Aber das allein war es nicht. Das ganz Große, was einen zum Mythos werden lässt, war dieser eine Sieg, der unvergleichlich wird schon dadurch, dass mit ihm nicht zu rechnen war.

Die Fußballer waren 1954 Außenseiter gegen Ungarn und gewannen, der Springreiter Winkler lag 1956 schwer verletzt im Sattel seiner Stute Halla und gewann, der Boxer Schmeling war 1936 chancenlos gegen Joe Louis. Und gewann. Deutsche Heldengeschichten sind immer auch solche vom tapferen Außenseiter, der das Unmögliche vollbringt. Aber dieser Sieg allein war es auch nicht.

Es gab den Rückkampf gegen Joe Louis, 1938. Joe Louis gewann und erklärte, er habe "die Scheiße aus dem Arier herausgeprügelt". Der Arier, das war Max Schmeling.

Natürlich - und das ist die wahre Ursache seiner Popularität - war Max Schmeling, anders als Graf, Becker, Schumacher, eine politische Figur, allerdings ohne es sein zu wollen. Kein Nazi, aber ein Mann der Nazis. Wer wäre geeigneter gewesen, für das Regime zu werben, als der Weltmeister im Schwergewicht?

Sympathisant oder Widerständler?

Über seine Rolle ist viel diskutiert worden in all den Jahren, ob er Sympathisant war oder Widerständler, dabei hat der Boxer in seiner Biographie die Antwort selbst gegeben. "Ganz in meine privaten Freuden und Sorgen verstrickt, bemerkte ich kaum die Zeitenwende, als die sich später die Machtübernahme durch Hitler herausstellte."

Ob immer Absicht hinter seinen Handlungen stand, oder ob er eher seinem Herzen folgte - dem Herzen eines Boxers, das er später sogar einigermaßen melodiesicher besungen hat? Er hat jedenfalls entschieden, den Ehrendolch der SA nicht anzunehmen, anders als Caracciola, Brauchitsch und Rosemeyer. Er brauchte zwar einen Tag Bedenkzeit, aber immerhin.

Mehr als das Herz eines Boxers

Später bekam er den Auftrag, die Amerikaner vom Boykott der Olympischen Spiele 1936 abzuhalten. Er sprach bei den Amerikanern vor und sah später, wie Adolf Hitler dem schwarzen Leichtathleten Jesse Owens den Glückwunsch verweigerte. In seiner Biografie schreibt er: "Im nachhinein wird mir die grenzenlose Naivität deutlich, mit der ich mich für Dinge verbürgte, die gänzlich außerhalb meiner Macht lagen."

Schmeling war Weltmeister, aber ein Weltmeister kann manchmal überfordert sein. Das ganze Buch ist in diesem Tonfall geschrieben. Zwischen den Zeilen steht: Ich habe mich bemüht. Dabei hat er sich mehr als nur bemüht: Joe Louis, dem Gegner, bot er nach dem Krieg seine Freundschaft an.

Und Ende der achtziger Jahre erzählte der Hotelbesitzer Henri Lewin bei einer Feierstunde eine Geschichte, die viel sagt über den Menschen Schmeling. Am Tag der Reichskristallnacht hatte Schmeling den Juden Lewin und dessen Bruder in seiner Berliner Wohnung versteckt. "Wenn wir in seiner Wohnung entdeckt worden wären, wäre ich heute Abend nicht hier - und Max wäre auch nicht hier."

Harter Neuanfang

Bestimmt sagt die Tatsache, dass Schmeling die Geschichte all die Jahre für sich behalten hat, noch mehr über ihn aus, über ihn und das Herz eines Boxers.

Als Fallschirmjäger verletzte sich Schmeling bei der Landung auf Kreta 1941 an Knie und Rücken. Er kam ins Lazarett; hier wurde sein Tod gemeldet, dort seine Gefangenschaft. Er war irgendwie nicht mehr da, oder: Es ging ihm wie vielen. Nach Kriegsende war sein Landgut besetzt, seine Häuser waren zerstört. Er musste neu anfangen.

Er boxte. Fünf Kämpfe noch, von denen er zwei verlor; man hätte sagen können, da bringt einer sein eigenes Denkmal ins Wanken, aber er brauchte das Geld. Er war sozusagen ein Preisboxer geworden, der sich von der Börse in Hollenstedt bei Hamburg das Haus kaufte; er züchtete Pelztiere, später bekam er von den Amerikanern eine Konzession für den Verkauf von Coca Cola.

Der Konzernchef war seit Jahren sein Freund. So wurde aus einem Boxer ein Geschäftsmann, der im übrigen das tat, was man am besten tut, um seinen Mythos nicht in Gefahr zu bringen. Man macht sich rar.

Demut in Schwarzweiß

Max Schmeling war seit 1933 mit der tschechischen Filmschauspielerin Anny Ondra verheiratet, sie hätten ein Glitzerpaar sein können, eine Art Vorfahren von David und Victoria Beckham. Aber sie waren das Gegenteil. Sie fielen nicht sehr auf. Ein Mythos, ein deutscher Mythos, ist einer wie Fritz Walter oder Uwe Seeler.

Oder Max Schmeling. Sportsmänner, die jeder von Schwarzweiß-Fotos kennt, auf denen sie niemals arrogant wirken, wie die spätpubertären Helden von heute. Eher demütig, und wenn sie gewonnen haben, dann werden sie von ihrem Erfolg überrascht. Wie Schmeling beim Sieg gegen Louis, nach dem man ihn im Ring herumspringen sieht wie ein großes kleines Kind.

Wer in den Archiven nachliest, dem fällt auf, dass die Geschichten über Schmeling immer zärtlicher werden, je älter er wurde. 70 Jahre, 80 Jahre, 90 Jahre. 1989 schrieb noch der Zürcher Sport: "Keine Narben im Gesicht, keine Flecken im Reinheft - Schmeling, ein Mann wie ein Sonntagsschüler." Die Zeitung meinte das ironisch.

Seine Jagdleidenschaft war ihm peinlich

Schmeling meinte es ernst, dieses Image war ihm wichtig, und er hat sich darum bemüht, es nicht beschädigen zu lassen. Fotos, die ihn bei der Jagd zeigten, hielt er unter Verschluss - seine Fans da draußen sollten nicht einmal sehen, wie der Inbegriff des fairen Sportlers sich daranmachte, ein Karnickel zur Strecke zu bringen.

Das Publikum hätte ihm seine Jagdleidenschaft nachgesehen. Ab einem gewissen Alter wird einem eine Menge nachgesehen, und bestimmt liegt das auch daran, dass es eine geheime oder sogar ganz offene Sehnsucht der Leute gibt, an etwas zu glauben, sich auf etwas verlassen zu können. Und weil es immer weniger gibt, an das man glauben und auf das man sich verlassen kann, wird einer wie Max Schmeling, ein manchmal naiver, aber ehrlicher Boxer; ein erfolgreicher, aber bescheidener Mensch, zu einem Idol, auf Lebenszeit und darüber hinaus.

Am Mittwoch ist Max Schmeling im Alter von 99 Jahren in seinem Haus in Hollenstedt gestorben.

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