Matthias Sammer und Joachim Löw:Funktionierende Elf ohne Übergewicht

FC Bayern Muenchen v Fortuna Duesseldorf 1895 - Bundesliga

Matthias Sammer zeigt Zähne: Die segensreiche Wirkung durchsichtiger Zahnschienen.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Unbedachte Worte im aufgeregten Fußballzirkus: Matthias Sammer lobt den FC Bayern - und greift damit indirekt den Bundestrainer an. Nicht ganz zu unrecht. Löw hat das EM-Halbfinale gegen Italien vercoacht, Heynckes hat es gegen Juve besser gemacht.

Ein Kommentar von Claudio Catuogno

Aus aktuellem Anlass sei hier noch einmal an das "Wir-müssen-uns-als-Verein-disziplinieren"- Plädoyer von Matthias Sammer erinnert. Der Sportdirektor des FC Bayern hatte seine Klubkollegen kürzlich dazu aufgefordert, nicht mehr zu jedem Thema Stellung zu beziehen, denn: "Wir reden zu viel." Ein Schweigegelübde beim FC Hollywood? Die Vorstellung war schon ein bisschen lustig. Richtig lustig wurde sie, als am Tag darauf in der Abendzeitung ein Interview mit dem Titel "Warum eine Zahnspange, Herr Sammer?" erschien, in welchem Sammer Stellung zum Thema "Die segensreiche Wirkung durchsichtiger Zahnschienen" bezog: "Man braucht Disziplin, weil sie herausnehmbar sind. Die hatte ich. Jetzt bin ich das lebende Beispiel, dass das eine gute Alternative zu den ganzen Drahtgestellen ist."

Man muss nicht immer alles so ernst nehmen, was im aufgeregten Fußball-zirkus gesagt, kommentiert und entgegnet wird - das in etwa dürfte Matthias Sammer am Donnerstag auch dem Bundestrainer gesagt haben, den er extra anrief, weil der Bundestrainer ja in der Bild zu zwei Sätzen Stellung bezogen hatte, welche Sammer wiederum nach dem Champions-League-Spiel der Bayern am Dienstag gegen Juventus Turin (2:0) gesagt hatte. Nämlich? "Das Stören in der ersten Linie vorne, das war entscheidend, weil damit alle Spieler mitgezogen werden. Die Abstände waren klein, die Zweikampfstärke war erkennbar, und das, was uns ein bisschen kaputt gemacht hat beim Spiel gegen Italien im Halbfinale 2012, war in Spielzügen ja die gleiche Strategie von Juve - und wir haben es besser verteidigt, inklusive Pirlo weggenommen."

Nein, der Bundestrainer hatte sich nicht an der etwas unübersichtlichen Semantik der Beweisführung gestört. Sondern am Subtext der Sammerschen Spielanalyse: Wir, der FC Bayern, haben gegen Juve gut gemacht, was ihr, die Nationalelf, im Sommer beim EM-1:2 gegen Italien schlecht gemacht habt: den Zauberfuß Andrea Pirlo aus dem Spiel zu nehmen. Der Vergleich ist unzulässig, findet Joachim Löw. Damit hat er natürlich recht (schon weil der furchterregende Mario Balotelli zwar für Italien, nicht aber für Juve stürmt). Andererseits ist der Vergleich auch interessant.

Zur Erinnerung: Löw hatte gegen Italien die Statik einer funktionierenden Elf geopfert, um Pirlo ein Übergewicht im Mittelfeld entgegenzusetzen. Mit dem Ergebnis, dass Spieler wie Kroos, Özil, Podolski, Schweinsteiger, Khedira und Gomez (im Bewusstsein ihres Übergewichts?) eine eher durchlässige Zahnschiene um Pirlo legten, eindrucksvoll zu besichtigen bei dessen unbedrängtem Pass vor Balotellis 1:0. Der Bayern-Trainer Jupp Heynckes wurde gegen Juve durch eine frühe Kroos-Verletzung zu Umstellungen gezwungen. Er behielt aber die Statik seiner Elf bei, und vor allem ackerten auch Offensivspieler wie Mandzukic, Müller, Schweinsteiger, Robben und Ribéry derart aggressiv gegen den Ball, wie man in der Nationalelf selten jemanden gegen den Ball hat ackern sehen. Löw hat das Spiel damals vercoacht, Heynckes hat es besser gemacht, das darf man - zugespitzt - schon so sagen. Wobei Sammer das gar nicht so sagen wollte, sagt er. Seinen Vergleich als Vergleich zu interpretieren, gar als Löw-Kritik, das sei böser "Krawall".

Nun ja, dann schweigen wir eben. Wir reden ja sowieso immer zu viel.

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