Matthias Sammer neuer Bayern-Sportdirektor:Bayern-Gen aus Dortmund

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Rumpelstilzchen, Trainersucher, Jugendpfleger: Matthias Sammer ist seit vielen Jahren ein eifriger Reformer im deutschen Fußball. Jetzt soll der Mann, der Erfolgsdenken wie kein Zweiter predigt, den FC Bayern wieder an die Spitze führen. Doch den früheren Dortmunder erwartet in München ein komplexer Job.

Christof Kneer

Matthias Sammer saß zuletzt in Lemberg und Charkow auf der Tribüne, er hat die ersten beiden Vorrundenspiele der deutschen A-Nationalmannschaft in der Ukraine verfolgt, nur beim dritten Spiel gegen Dänemark war er verhindert. Da sah er kraft Amtes das Finale der A-Jugend-Bundesliga, Schalke 04 siegte, es war ein interessantes Spiel, und Matthias Sammer gab hinterher ein paar routinierte Statements ab.

Er sagte, was man eben so sagt als Sportdirektor des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), er lobte das Niveau, analysierte die Spielsysteme und war ansonsten streng unparteiisch. Es dürfte einstweilen das letzte Junioren-Endspiel gewesen sein, das Sammer mit der gebotenen Überparteilichkeit studiert hat. Im nächsten Sommer würde ihn dieses Ergebnis kraft Amtes nerven müssen, denn die Schalker siegten 2:1 gegen die A-Junioren des FC Bayern. Und der FC Bayern, der ist ja jetzt Matthias Sammers neuer Verein.

Der FC Bayern mag ein bis zwei Dutzend Mal Zweiter geworden sein in der vergangenen Saison, aber dieser Montag dürfte für den Klub von der Säbener Straße ein innerer Meisterkorso gewesen sein. Der Europameister-Titel der furiosen Spanier? Die Debatte um Joachim Löw? Ach was, ab damit auf die hinteren Seiten. Das Thema am Montag war der wirkliche Mittelpunkt der Fußballwelt, ein Klub namens Bayern München, dem mit der Verpflichtung des Sportchefs Matthias Sammer "ein Paukenschlag" gelungen war, wie selbst die nüchternen Nachrichtenagenturen meldeten.

In der Tat handelt es sich hierbei um eine Personalie, die mit höchster Diskretion behandelt und von sehr wenigen Mitwissern begleitet wurde (immerhin war einer der Mitwisser der Trainer Jupp Heynckes). Am Ende war die Personalie so etwas wie eine erwartete Sensation, denn keiner, der diesen Verein kennt, konnte davon ausgehen, dass der Klub die vergangene Saison einfach so auf sich sitzen lassen würde. Als 2007 der VfB Stuttgart versehentlich Meister wurde, schlug ein entrüsteter FC Bayern mit dem Kauf von Franck Ribéry und Luca Toni zurück.

Als 2009 der VfL Wolfsburg versehentlich den Titel holte, leistete sich der FC Bayern in einem weiteren Wutanfall den sündteuren Mario Gomez. Nun kanalisiert der Klub seinen Furor ironischerweise in einer Personalie, die solche Wuttransfers künftig ausschließen und durch konzeptionelle Transfers ersetzen soll. Matthias Sammer, 44, geborener Feuerkopf, hat sich in seinen sechs Jahren beim DFB den Ruf eines Strategen erarbeitet; er ist nun der Mann, der Uli Hoeneß' tiefste Sehnsucht erfüllen soll.

Der Präsident, der Sammers Verpflichtung initiiert und maßgeblich vorangetrieben hat, will sich endlich keine Sorgen mehr machen müssen, er braucht auch diese Alltagskämpfe nicht mehr. Er will am liebsten nur noch auf seinem Logenplatz sitzen und das Spiel genießen.

Die Personalie Sammer lässt erahnen, wie sehr Hoeneß zuletzt gelitten hat. Nach Jürgen Klinsmann und Louis van Gaal holt er sich zum dritten Mal binnen kurzer Zeit einen Mann ins Haus, der bis dahin nicht gerade zum Freundeskreis des FC Bayern gezählt wurde. Schon als Spieler hat Sammer die Bayern gelegentlich geärgert, und auch in den letzten Jahren hat man unterschiedliche Mitglieder der Bayern-Führungscrew immer wieder bei unfreundlichen Nachreden in Sammers Richtung ertappt. Sammer weiß das, er hat eine konsequente, emotionale Art, die all jenen lästig erscheint, die nicht mit ihm in derselben Firma arbeiten.

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Längst nicht alle Spieler setzten sich beim FC Bayern durch, dabei kamen sie alle mit großen Hoffnungen. Eine Liste der Unglücklichen - von Calle del'Haye bis "Schapapapa".

Manchmal erscheint sie auch jenen lästig, die mit ihm in derselben Firma arbeiten - wie beim DFB, wo sich die A-Elf-Fraktion um Trainer Löw und Manager Oliver Bierhoff vom Sportdirektor Sammer so genervt fühlte, wie der sich von der A-Elf-Fraktion genervt fühlte. Zuletzt hatten sich die Lager angenähert, speziell Löw erkannte, dass es der Nachwuchsabteilung guttut, wenn da ein Unbequemer durch den Unterbau poltert und verhindert, dass alle einschlafen.

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Er begann seine Karriere bei einem Ostklub und feierte etliche nationale und internationale Titel: Matthias Sammers Fußball-Karriere ist geprägt von großen Erfolgen und Siegeswillen. Das soll er nun auch als Sportdirektor beim FC Bayern fortsetzen.

Sammers Jobzufriedenheit beim DFB ist deutlich gestiegen zuletzt, flankiert durch Anerkennung und einen komfortablen Vertrag bis 2016, aber er wusste natürlich, dass ihm der Zugriff auf die A-Mannschaft auch weiterhin verwehrt bleiben würde. Vom Trainerjob hat er sich längst verabschiedet, aber er hätte in diesem Verband schon gerne den Sport bis ganz oben verantwortet. Beim DFB haben sie gewusst, dass ihr Sportdirektor grundsätzlich ansprechbar bleibt für Vereine, zumindest für solche, die ihn reizen - wie der FC Bayern, dessen Geschäftsstelle der in Grünwald wohnhafte Sammer selbst bei vorsichtiger Fahrweise in geschätzten 20 Minuten erreicht.

Mit geradezu voyeuristischer Neugier verfolgt nun die Konkurrenz, ob die Münchner Pläne aufgehen. Es ist ja nicht gerade wenig, was sich die Bayern von ihrem neuen Sportchef versprechen. Einerseits soll sein Überblick über den Talentemarkt verhindern, dass der FC Bayern künftig wieder zwölf Millionen für überreife Profis wie den Ukrainer Anatoli Timoschtschuk verschwendet, wenn er für ein Zehntel der Summe den frischen Oberbayern Lars (oder Sven) Bender haben kann; andererseits soll der Jugendpfleger Sammer aber auch sein Talent zum Rumpelstilzchen nutzen, um jene Elf straff zu führen, die nach Meinung der Klubverantwortlichen das Elfmeterschießen des Champions-League-Finales in erschreckender Passivität über sich ergehen ließ.

Zwar haben ein paar Spieler durchblicken lassen, dass sie sich ein wenig straffere Führung auch beim Trainer Heynckes gut vorstellen könnten, aber die Analyse der Bosse hat die Verantwortung eindeutig beim Ex-Sportchef Nerlinger deponiert. Ach ja, und den neuen Trainer muss er natürlich auch noch finden, jenen Mann, der Heynckes im Sommer 2013 nachfolgen soll.

Matthias Sammer stammt aus Sachsen, er hat erfolgreich für den neuen Feind aus Dortmund gespielt, dennoch erkennt Uli Hoeneß in ihm das Bayern-Gen. Als Spieler war Sammer ein Siegertyp, als Sportdirektor hat er mit dem DFB-Nachwuchs zahlreiche Titel gewonnen, nur eine Disziplin liebt er nicht so besonders: Als die deutsche Nationalmannschaft im Halbfinale der EM 1996 gegen die Engländer ins Elfmeterschießen musste, verzichtete der beste Spieler: Matthias Sammer.

© SZ vom 03.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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