Matthias Sammer in München:Bayern lernt vom Fußball-Obama

Eine bemerkenswerte Audienz gerät zur Erklärshow des Matthias Sammer: Seit er der neue Sportvorstand beim FC Bayern ist, wollen alle hören, was er zu sagen hat. In einem fünfstündigen Redemarathon erläutert er nun vieles, auch das Verhältnis zu Trainer Jupp Heynckes. Es scheint, als könne sich der Klub einiges von Sammer abkucken.

Michael Neudecker

Matthias Sammer sagt, er hätte gern ein Wasser, ein ganz stilles, "sonst muss ich immer Bäuerchen machen". Bäuerchen machen müssen ist blöd, wenn man viel redet, und deswegen ist Matthias Sammer jetzt ja hier: Er soll reden. Fünf Stunden lang, so steht es im Zeitplan.

Heynckes kontert Sammer: 'Ansprache uebernehme ich'

Alles ganz entspannt und professionell: Glaubt man Matthias Sammer, verläuft die Zusammenarbeit mit Jupp Heynckes hervorragend.

(Foto: dapd)

Jeder will hören, was Matthias Sammer zu sagen hat, das geht nun schon seit sechs Wochen so, seit er sogenannter Sportvorstand der FC Bayern München AG ist. Er ist der Mann, der dem FC Bayern eine Zukunft geben soll, in der wieder alle aufschauen zum FC Bayern, auch die Schwarzgelben; eine Zukunft, in der Uli Hoeneß auf der Tribüne nicht mehr so oft in den Hochpulsbereich kommt wie zuletzt.

Der FC Bayern ist groß, und die Größe dieses Klubs hat sich immer in Namen ausgedrückt, früher war der FC Bayern mal der FC Beckenbauer, dann der FC Hoeneß, sehr lange vor allem der FC Hoeneß. Für kurze Zeit war er der FC Klinsmann, aber daran erinnert sich heute keiner mehr so gern, und nun also, so sieht es aus: der FC Sammer.

Wegen der vielen Interviewanfragen, so hat der FC Bayern kürzlich geschrieben, haben sie sich dieses Angebot ausgedacht: Einen Medientag, sechs Gesprächsrunden à 45 Minuten, immer vier Reporter - und Matthias Sammer und drei Mitarbeiter der Medienabteilung. Es geht los um 8.30 Uhr und hört auf um 13.30 Uhr. Aus Gründen der Effektivität finden die Runden in zwei nebeneinander liegenden Räumen statt, während Sammer hier noch redet, sitzen drüben schon die nächsten, Sammer steht dann auf und geht rüber, hallo, guten Tag, er schüttelt jedem die Hand, er lächelt freundlich, setzt sich, weiter geht's.

Neulich hat Sammer gesagt: "Wenn du außergewöhnlich erfolgreich sein willst, kannst du nicht normal ticken." Es ging da um den Diskuswerfer Robert Harting, der nach Siegen gern besessen wirkend sein Trikot zerreißt, aber doch ist das ein schöner Satz gewesen, den man ruhig als allgemein gültig betrachten darf. Sammer ist ja auch einer, der immer besessen wirkt, einer, der nicht normal tickt: genau das, was der FC Bayern jetzt braucht.

Wenn die Mannschaft trainiert, steht er am Spielfeldrand und schaut zu, Matthias Sammer sieht sich alles sehr genau an, "ich kann ja nicht beurteilen, was ich nicht sehe", sagt er. Ob er schon mal eine Trainingseinheit verpasst habe? "Ich habe mal ein paar Minuten von einer Einheit verpasst", er weiß auch nicht, wie das passieren konnte. Die öffentliche Wahrnehmung, er verstehe das schon, sagt Sammer, sei auch deshalb die: "Da kommt einer, der alles entscheidet", aber natürlich sei das falsch.

Der Trainer heißt immer noch Jupp Heynckes, erst vor kurzem hat Heynckes sich öffentlich erstaunlich klar positioniert. Jupp Heynckes wirkt angespannt, seit Sammer da ist, aber Sammer sagt: Das Verhältnis sei prächtig, "viel enger, als ich mir in meinen kühnsten Träumen vorgestellt habe". Außerdem: Er findet es gut, "wenn ein Trainer seine Stärke nach innen und nach außen demonstriert", das habe Heynckes getan: "nach innen und nach außen", Sammer sagt das extra zweimal. "Wir dürfen nicht kleingeistig sein", sagt Sammer.

Auch sonst sagt er viel, es ist ja so: Wenn Sammer spricht, überkommt ihn so eine Sprecheuphorie, er ist überwältigt von Fußball, vom Job, von der ganzen Sache einfach, manchmal ist es, als ließe er sich mitreißen von der Begeisterung, die er selbst entfacht. Sammer rauscht dann wie ein tosender Fluss dahin, er spricht laut, gestikuliert, springt auf, steht plötzlich laut sprechend und gestikulierend im Raum, der Fluss wird dann zu einem Strom, das ist am Morgen genauso wie am Nachmittag, denn für einen reißenden Fluss sind fünf Stunden keine Zeit.

Fast jeder schätzt Sammers Arbeit

Matthias Sammer ist eine Art Fußball-Obama, und dass er auch er die Kompetenz mitbringt, steht in der Branche außer Frage. In seinen sechs Jahren beim DFB hat er sie so nachhaltig bewiesen, dass sogar die, die ihn als Person nicht so mögen, seine Arbeitsweise schätzten.

Beim echten Obama ist die blockierende Opposition das Problem, auch bei Sammer wird das der Schlüssel sein: ob er ohne Opposition arbeiten darf. Zurzeit sind Sammer und der FC Bayern noch dabei, sich kennenzulernen, aber bislang, so ist zu hören, sind sie im Klub beeindruckt vom Sammer-Strom. Allerdings: Beim DFB haben sie ihm Zeit gegeben, das wichtigste Gut, das man bekommen kann - beim FC Bayern besitzen sie so etwas nicht. Sie müssen wieder Meister werden, sofort, deshalb ist Sammer zunächst stark vom Erfolg auf dem Transfermarkt abhängig.

Weil Bastian Schweinsteiger körperlich und mental noch länger angeschlagen sein wird (Sammer: "Er ist ja kein Roboter"), haben sie bekanntlich diese Baustelle im Schaltzentrum des Spiels. Der Spanier Javier Martinez aus Bilbao ist ja der Kandidat dafür, Sammer sagt, Martinez sei "ein Typ, den wir so noch nicht haben". Inwiefern?

Mehr will er nicht sagen, Martinez ist ja kein Spieler des FC Bayern, zu diesem Zeitpunkt jedenfalls noch nicht. "Wir arbeiten daran", sagt Sammer, betont aber auch, es werde "keine Rekordablöse" geben. Anzunehmen ist, dass beide Klubs mit einer Ablösesumme um die 30 Millionen Euro leben könnten. Sammer sagt das so oder ähnlich in allen Gesprächsrunden, zwischen 8.30 Uhr und 13.30 Uhr. Er kann und darf sich noch nichts davon anmerken lassen, dass dieser Transfer angeblich schon fast perfekt ist.

Ob er Weggänge ausschließen könne? Ausschließen, sagt Sammer, könne man nie etwas, und: "Das Wort 'nicht' ist ein schwieriger Absolutismus." Sammer redet so, er verwendet Fremdworte, um zu erklären, er sagt "Konstellation", wenn er über Schweinsteigers Körper spricht oder das Verhältnis zu Heynckes, er sagt sehr oft "Konstellation". Was er vom Leitmotiv halte, das der FC Bayern zuletzt ziemlich überhöht hat, dieses "mia san mia", das auf jedem Trikot steht, jedem Shirt?

"Es ist gut, wenn ein Klub ein Leitmotiv hat", sagt Sammer, "aber wir sollten mehr daran arbeiten und weniger darüber reden." Die Leute, sagt er, "müssen das Motiv fühlen, sie müssen es an seiner Ausstrahlung erkennen". So, wie das bei Sammer selbst ist: Wenn Sammer spricht, kann man ihn auch fühlen.

Zwischen ihm und dem Leitmotiv ist die Konstellation so, dass sie sich aufeinander zubewegen, sagt jedenfalls Sammer. Es scheint, als könne das Motiv noch einiges lernen von Matthias Sammer.

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