Matthias Bühler im Interview:"Deutschland wird weiter die Athleten völlig im Stich lassen"

Leichtathletik - WM

Matthias Bühler nach seinem Aus im WM-Halbfinale.

(Foto: dpa)

Hürdensprinter Matthias Bühler über seinen drastischen Fernsehauftritt und seine Kritik an der deutschen Sportförderung.

Interview von Saskia Aleythe, London

SZ: Herr Bühler, nach Ihrem WM-Aus im Halbfinale über 110 Meter Hürden haben Sie am ZDF-Mikrofon die deutsche Sportförderung kritisiert und von Athleten gesprochen, die "nicht mal ihre Miete bezahlen können". Ganz schön drastisch, oder?

Bühler: Nein, genauso ist es: Wenn ich die finanzielle Hilfe meiner Eltern nicht hätte, müsste ich sofort mit dem Sport aufhören. Das Thema liegt mir schon lange auf dem Herzen. Als deutscher Athlet wird man immer nach Leistung gemessen, aber was finanziell dahintersteckt oder eben nicht - das muss man einfach mal ansprechen.

Was genau stört Sie am deutschen Sportsystem?

Wenn man extra gefördert werden will, muss man zur Bundeswehr und hat dann sportliche Einschränkungen, weil man die Dienste leisten muss. Es ist toll, dass die Bundeswehr generell die Möglichkeit anbietet, aber aus leistungsorientierter Sicht ist es nicht richtig. Du gehst Jahr für Jahr mit Trainingsrückstand in die Saison, die Weltspitze trainiert da schon längst unter Topbedingungen, während die Deutschen durch Schlamm kriechen oder am Bahnhof rumstehen müssen, Schichtdienst haben, morgens um sieben. Die Leistung geht da automatisch flöten, das ist unendlich schade. Ich bin leidenschaftlicher Sportler, und ich sehe nicht ein, dass mein Sport eingeschränkt wird durch eine Förderung.

Welche Reaktionen haben Sie auf Ihr Interview bekommen?

Mir haben sehr viele Sportler geschrieben, dass sie dankbar sind für das Statement und ich als Sprachrohr gesehen werde für die Sportler, auch in anderen Sportarten. Das hätte ich so nicht erwartet. Es gab aber auch Kritik an meiner sportlichen Leistung, dass die erst stimmen muss. Aber ich denke, ich muss mich nicht verstecken. Ich bin unter den Top 20 der Welt, siebenfacher deutscher Meister, der einzige deutsche Hürdensprinter bei der WM. Das muss etwas wert sein. Viele Athleten würden das gerne öffentlich sagen, was ich gesagt habe, sind aber in den Strukturen zu tief drin und haben Existenzängste, wenn sie sich beschweren.

Sie selber trainieren seit 2013 während der Wintermonate in den USA, in einer Trainingsgruppe mit Weltrekordler Aries Merrit.

Ich habe vielen von den Bedingungen in Deutschland erzählt und sie sind alle schockiert. Sie können das gar nicht glauben, sie sagen: Deutschland ist doch eine Wirtschaftsmacht mit einem tollen Sozialsystem. Und dann sind sie erstaunt, dass man bei uns rote Zahlen schreibt.

Bei Facebook haben Sie im vergangenen Jahr geschrieben, Sie hätten nicht genug Geld, um Essen kaufen. War das nicht übertrieben?

Nein, absolut nicht. Ich mache Verluste. Ich habe durch Amerika hohe Kosten, etwa 30 000 Euro im Jahr. Mein Verein unterstützt mich, von der Sporthilfe gibt es 300 Euro im Monat und dann kommen noch Prämien bei manchen Meetings hinzu. Insgesamt kann ich also 15 000 bis 20 000 Euro im Jahr verdienen.

"Es geht nur mit staatlicher Unterstützung"

Was würde Ihnen denn an Förderung reichen?

30 000 Euro. Ich erwarte ja nicht, dass ich reich werde mit der Leichtathletik, aber ich will schon zumindest das reinbekommen, was ich ausgebe. Man muss ja auch bedenken: Wenn man Leistungssport macht, verliert man an beruflicher Erfahrung. Man nimmt in Kauf, dass man mit 35, 36 dann einen großen beruflichen Nachteil hat.

Was wäre eine Lösung, um an mehr Geld zu kommen?

Es geht nur mit staatlicher Unterstützung. Der Athlet muss sich das ganze Jahr über auf seinen Sport konzentrieren können.

Was aber nach dem Absegnen der Leistungssportreform für viele mehr denn je nicht passieren wird.

Genau, Deutschland wird weiter die Athleten völlig im Stich lassen. Ich war 2015 bei einer WM im Halbfinale, das ist im Hürdensprint ein unheimlicher Erfolg. Aber in Deutschland ist nichts passiert. Wenn man als Sportler sich in der Top 20 der Welt befindet und keinerlei Förderung erhält - wo sind wir denn da gelandet? Das ist enttäuschend und ich weiß nicht, wo es noch hinführen soll. Es wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Es ist hart, Ausrüster zu finden, Sponsoren zu finden, es ist hart, zu leben. Und die jungen Athleten merken das auch. Bei der deutschen Meisterschaft dieses Jahr sind ganze elf Athleten angetreten. Elf! Werden es noch weniger, brauchen wir bald nur noch einen Lauf auszutragen.

Klingt nach einem düsteren Szenario für die Zukunft Ihres Sports.

Das muss man so sagen, ja. Wenn man das System so weiterbetreibt, werden die Sportler irgendwann abspringen. Und dann geht die Leichtathletik völlig zu Grunde.

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