Mats Hummels in der DFB-Elf:Endlich Anführer

Fußball-WM, Mats Hummels, Deutsche Nationalmannschaft

"Es ist ziemlich heftig, was alles im Positiven klappt" - Mats Hummels.

(Foto: dpa)

Vor nicht einmal einem Jahr entfernte Joachim Löw Mats Hummels aus der Startformation. Im WM-Viertelfinale gegen Frankreich ist die Leistung des 25-Jährige an Klasse kaum zu überbieten. Hummels ist zu einem der Chefs in der DFB-Elf aufgestiegen - weil er seinen Führungsstil angepasst hat.

Von Thomas Hummel, Rio de Janeiro

"Das wird nicht in diesem Maße so weitergehen", kündigte Bundestrainer Joachim Löw an, "wir werden uns die nächsten Spiele stabiler zeigen." Irgendjemand musste büßen für den fürchterlichen Auftritt, und es büßte jemand: Mats Hummels spielte so schnell nicht wieder in der Nationalmannschaft.

Diese Geschichte ist nicht einmal ein Kalenderjahr her. Nach dem 3:3 der DFB-Elf im Testspiel gegen Paraguay entzündete sich eine emotionale Debatte um die Stellung des Verteidigers und die Wertschätzung des Bundestrainers im Allgemeinen. Dortmunds Trainer Jürgen Klopp forderte eine Klarstellung. Ein lange schwelender Konflikt schien sich zuzuspitzen.

Am Freitagnachmittag in Rio de Janeiro war diese Debatte so weit entfernt wie der bislang letzte WM-Titel einer deutschen Mannschaft. Nicht einmal der 25-Jährige schien zu begreifen, wie gut er gerade ist: "Es ist ziemlich heftig, was alles im Positiven klappt", sagte er. Mats Hummels ist in seinem bisherigen Leben nicht dadurch aufgefallen, dass er zu wenig von sich hält. Doch dieses Ereignis im Estádio do Maracanã überwältigte ihn für einen Moment.

Deutschland hat das Viertelfinale gegen Frankreich 1:0 gewonnen. Danach übergab ein Sponsor wie immer die Auszeichnung für den "Man of the Match", den Mann des Spiels. Das ist bisweilen ein unsinniges Ereignis, weil ja meistens doch immer derjenige gewählt wird, der ein Tor erzielt hat. Oder ein Torhüter, was der Wahrheit oft näher kommt. Auch für Ehrung nach diesem Viertelfinale wurde der einzige Torschütze ausgesucht. Doch selten war die Wahl so gerechtfertigt.

Mats Hummels erzielte einerseits dieses enorm wichtige Tor. Es war sein zweiter Treffer bei dieser WM nach dem 2:0 gegen Portugal, beide nach der gleichen Schablone: Standardsituation von Toni Kross, Hummels gewinnt den Luftkampf gegen seinen Gegenspieler und köpfelt den Ball ins Tor. Gegen Portugal hatte er sich gegen Pepe durchgesetzt, diesmal gegen Raphaël Varane. Beides Innenverteidiger von Champions-League-Sieger Real Madrid.

Auf sein Rezept angesprochen sagte Hummels: "Eine richtige Methode steckt da nicht dahinter. Die Bälle waren einfach gut geschlagen. Und ich stand zum Glück goldrichtig." Gegenspieler Varane segelte derweil wie eine fluglahme Fledermaus durch den Strafraum, wobei dies eher der körperlichen Wucht geschuldet war, mit der Hummels diese Zweikämpfe führt. "Ich bin nicht umsonst so schwer. Da muss ich wenigstens Kraft haben, wenn ich schon nicht der leichtfüßige Typ bin."

Vorne die entscheidende Situation geschaffen, hinten alles weggeräumt, was daherkam - die Leistung des Dortmunders war an Souveränität und Klasse kaum zu überbieten. Wenn die Franzosen sich einmal durchspielten durch das dichte deutsche Geflecht im Mittelfeld, war meist Hummels die vorletzte Instanz (vor Torwart Manuel Neuer). Er verlor keinen wichtigen Zweikampf, wusste oft schon vor den Franzosen, wohin sie gleich passen würden. Hummels wehrte einen Kopfball von Karim Benzema mit dem Bauch ab. Einmal stand er so gut, dass er fast ein Eigentor fabriziert hätte. Hummels war überall und überall stark. Er bot eine Vorstellung, die sogar Joachim Löw würdigte.

Chef ohne Worte

"Mats war sensationell heute", sagte der Bundestrainer", die Art und Weise wie er in die Zweikämpfe geht und sie gewinnt und wie er immer am richtigen Ort steht, ist sehr beeindruckend."

Das Verhältnis der beiden war lange Zeit getrübt gewesen. Hummels war aufgrund seiner Leistungen in Dortmund nach der Weltmeisterschaft 2010 in den Kader gekommen, und wie es seinem Naturell entspricht, benahm er sich sogleich wie ein Anführer. Das sorgte bei den etablierten Kräften für Irritationen, auch Löw hieß dieses Verhalten keineswegs gut. Schließlich hatte seine Elf in Südafrika eine hervorragende WM gespielt, Löws Elf.

Dazu sagte die Spielweise des Innenverteidigers dem Bundestrainer wenig zu. Wie das bei vielen Dortmundern mehr oder weniger der Fall ist. Löw erließ das legendäre Verbot, hohe und weite Pässe aus der Abwehr zu spielen, Hummels musste sich umstellen. Es dauerte eine Weile, bis ihm das gelang.

Es gab weitere Verwerfungen, weil Hummels im EM-Halbfinale gegen Italien vor dem ersten Gegentor einen Zweikampf verlor. Dann entsponn sich die Debatte nach dem Spiel gegen Paraguay. Im November verletzte sich Hummels während des Testspiels in England und fiel lange aus. Seine Rückkehr nach Dortmund verlief dafür umso beeindruckender.

Mats Hummels bot überragende Leistungen in der Champions-League gegen Real Madrid oder auch im Pokalfinale gegen den FC Bayern. Zusammen mit Marco Reus stand er für den Aufschwung der Borussia, nach dessen Ausfall ist er nun der einzige Dortmunder, der sich bei der WM in Löws Elf durchsetzt. Inzwischen ist er sogar das, was er immer sein wollte: ein Anführer.

Dafür muss er nicht mehr sprechen, dafür reichen seine Leistungen. Als Hummels im Achtelfinale gegen Algerien wegen einer Grippe ausfiel, wackelte die deutsche Abwehr anfangs bedenklich. Als er nun zurückkehrte, waberte das Gefühl der Sicherheit bis unters Stadiondach des Maracanã. Dabei gestand der 25-Jährige nach dem Spiel: "Ich war relativ früh platt heute, da musstest du Wasser nachschütten ohne Ende." Die Hitze setzte ihm zu, vielleicht waren es auch die Nachwehen seines Infekts. Hätte er nichts davon erzählt, niemand wäre während der 94 Minuten darauf gekommen, dass Hummels bis zuletzt an Halsschmerzen und Fieber litt. Gegen Frankreich wirkte er geistesgegenwärtig bis zum Schluss.

Stoppen könnte Hummels bei dieser WM höchstens der Weltverband Fifa, wenn dieser die "Sojalatte" (Kaffee mit Sojamilch) seiner Freundin Cathy Fischer auf die Dopingliste setzt. Fischer erklärte seit Tagen, dass sie ihren Mats damit gesund gepflegt habe. Wenn das mal nicht der Keim des nächstes Zerwürfnisses mit Joachim Löw ist. Der ist bekanntlich Liebhaber eines schlichten Espresso.

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