Martina Hingis in Wimbledon:Zurück mit Köpfchen

Martina Hingis hits the balls she used to secure her Mixed Doubles vicotry into the crowd in celebra

Alle Trümpfe in der Hand: Wimbledon-Siegerin Martina Hingis, 34.

(Foto: imago)

17 Jahre nach ihrem letzten Erfolg gewinnt Martina Hingis in Wimbledon im Doppel und im Mixed. Es ist das erstaunlichste Comeback der Tenniswelt.

Kommentar von Milan Pavlovic

Wer war der erfolgreichste Starter von Wimbledon? Serena Williams? Mitnichten. Novak Djokovic? Keineswegs. Nur Martina Hingis erweiterte in England ihre Trophäensammlung gleich um zwei Grand-Slam-Titel - mit 34 Jahren. Mit Siegen im Frauen-Doppel sowie im Mixed. Das ist - egal, wie hoch diese Konkurrenzen sportlich einzuschätzen sind - eine beachtliche Leistung. Ihren letzten Sieg in Wimbledon hatte die Schweizerin 1998 gefeiert. Um sich vor Augen zu führen, wie lange das her ist, reichen Namen von Spielern, die zu jener Zeit die Ziellinie ihrer Karriere anstrebten (Boris Becker, Steffi Graf, Jana Novotna) oder gerade anfingen (Serena Williams, Roger Federer).

Hingis war damals als Sportlerin auch deshalb so faszinierend, weil sie weniger auf Kraft als auf Köpfchen setzte. Sie hatte einen Plan, war aber so intelligent, ihn jederzeit ändern zu können. So galt sie als die prädestinierte Thronfolgerin von Steffi Graf, Chris Evert und Martina Navratilova, deren Vornamen sie trug - als erstes Zeichen der ambitionierten Mutter, wohin das Leben der Tochter führen sollte. Für die war der Ehrgeiz der Mutter Ansporn und Last zugleich.

Denn so cool und selbstbewusst Hingis als gefeierte Minderjährige war (vier Grand-Slam-Titel bis zur Volljährigkeit), so fragil zeigte sie sich nach den ersten Rückschlägen als Erwachsene. Nach der legendären Final-Niederlage 1999 gegen Graf bei den French Open lief plötzlich kaum noch etwas nach Plan. Erst folgte die Rebellion gegen ihre Mutter/Trainerin, dann die Abkehr vom klugen Spielstil - Hingis wollte der Kraft der aufstrebenden Williams-Schwestern plötzlich mit eigener Härte begegnen -, schließlich der frühe Rücktritt (2002). Mit 22.

Sie lächelte eifrig, aber weder das Reiten noch die Werbung noch das Leben als TV-Expertin füllten sie aus. Also kam es zum Comeback, mit gehobenen Mittelklasse-Resultaten (2006), und zu einem undurchsichtigen zweiten Rücktritt rund um einen Kokain-Befund (2007). Hingis blieb ruhelos, versuchte sich als Trainerin, unter anderem von Sabine Lisicki. Auch das klappte nicht wirklich. Aber an der Seite der Berlinerin begann sie, wieder Doppel zu spielen - und zu gewinnen. Sie fing Feuer, suchte sich die passenden Partner für ihre Art des Tennis und kehrte zurück auf Siegerlisten, jetzt also auch wieder bei einem Grand Slam, als vorläufige Pointe einer Karriere, die über viele Umwege zu einem unerwarteten Ziel geführt hat.

Jenseits der Nostalgie stellt sich die Frage: Wie viele Grand-Slam-Titel hätte Serena Williams heute weniger, wäre Martina Hingis in ihrer Laufbahn stets so gradlinig und konsequent vorgegangen wie in den Monaten seit ihrem zweiten Comeback? Die Antwort dürfte auch die 34-Jährige täglich beschäftigen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: