Martina Hingis bei den French Open:Neustart als Kommandogeberin

2013 French Open - Day One

Trainerin Hingis (re.) mit der Mutter von Pawljutschenkowa auf der Tribüne.

(Foto: Getty Images)

Die frühere Weltranglistenerste Martina Hingis ist wieder im Profitennis aktiv - als Trainerin der begabten Russin Anastasia Pawljutschenkowa versucht sie in Paris, ihre Erfahrungen weiterzugeben. Die Betreuung ihres neuen Schützlings ist für die Schweizerin auch eine Reise in ihre eigene Vergangenheit.

Von Milan Pavlovic, Paris

Es bleibt eines der unvergesslichen Bilder der Tennis- und der Trainer-Historie: Martina Hingis, 18 Jahre jung, auf dem Court Central von Paris, heulend in den Armen von Mélanie Molitor, die damals weniger als Coach denn als Mutter gefragt war. Wenn sie nicht von ihren Emotionen überwältigt wurde, dachte ihre Tochter schon als Spielerin wie eine Trainerin.

Weil es ihr an Kraft mangelte, musste Martina Hingis mit Köpfchen agieren. In den besten Phasen ihrer Profikarriere, die schon mit 14 begann und relativ früh ihren Höhepunkt erreichte (fünf Grand-Slam-Titel als Teenager), war sie der Traum jedes strategisch denkenden Beobachters.

Sie hat nicht lange gewartet, bis sie den Drang verspürte, ihr Wissen weiterzugeben. Ende 2011 entschloss sich die damals 31-Jährige, in der Tennis-Akademie von Patrick Mouratoglou - dem derzeitigen Trainer von Serena Williams - reinzuschnuppern.

Sie sah nach einigen jungen Spielerinnen, "aber nur von Zeit zu Zeit, denn sie hatten immer ihre eigenen Trainer. Ich sah sie gut arbeiten, aber bei den Turnieren war ich nicht dabei. Anfangs mochte ich dieses Modell, aber mit der Zeit war ich verwirrt, weil ich nicht verstand, warum sie so selten gewannen." Deshalb wurde der Wunsch der Schweizerin immer stärker, sich einer einzelnen Spielerin anzunehmen.

Mit gerade mal 32 hat Hingis Ende April die Betreuung von Anastasia Pawljutschenkowa übernommen. Die 21-Jährige galt vor zwei Jahren als eines der größten russischen Talente, doch dann stagnierten ihre Leistungen, in der Weltrangliste fiel sie von Platz 13 auf 32 zurück.

Von Hingis erhofft sie sich einen anderen Blick aufs Tennis: "Sie ist meine erste weibliche Trainerin, was sich schon jetzt als großer Bonus erweist, weil sie meine Mentalität und meine Stimmungen besser nachvollziehen kann. Ich kann ihr ganz andere Sachen erzählen. Es ist außerdem inspirierend, wenn sie von ihren Erfahrungen erzählt, weil sie die Erinnerungen ganz konkret ins Training einfließen lässt." Hingis zeige ihr so, wie sie bestimmte Ideen in bestimmten Momenten mit Gewinn einbringen und ihr Potenzial besser ausschöpfen könne.

Hingis lobt ihre Elevin: "Nastia hat von Haus aus eine gute Tennis-Ausbildung genossen, das hilft." Sie wolle das Spiel der Russin, das von der Power lebt, nicht umkrempeln. "Sie bringt eine Spielweise mit, die mir als Profi nicht gelegen hat - mit viel Kraft, so wie Serena Williams oder Lindsay Davenport. Das soll sie beibehalten." Wichtig sei aber, "dass sie lernt, heikle Phasen zu überstehen und gegen noch druckvollere Spielerinnen wie Serena, Asarenka und Scharapowa defensiv agieren zu können".

Am liebsten ist sie weiterhin mittendrin

Es gehe Hingis dabei nicht darum, sich selbst in den Vordergrund zu drängeln. "Entscheidend ist, dass man als Trainer bereit ist, sein Ego hintanzustellen und für die Spielerin da zu sein. Für mich ist das kein Problem." Die Launen einer Spielerin kennt sie von sich selbst nur zu gut. "Ich verstehe meine Mutter heute viel besser als früher", erklärt sie und lacht, "deshalb frage ich sie oft um Rat". Sie selbst versuche, Pawljutschenkowa zur Eigenständigkeit zu erziehen, aber gleichzeitig klar zu machen, was nötig sei, um Erfolg zu haben.

Wenn das gelinge, könne das Trainerdasein erstaunlich erfüllend sein. "Als Nastia das Turnier von Estoril gewonnen hat, war es für mich gefühlsmäßig fast so, als hätte ich den Matchball selbst verwandelt." Wie zur Belohnung ist Pawljutschenkowa wieder auf Platz 19 der Welt geklettert, "die Top 10 sind nicht fern", glaubt Hingis. In Paris ließ sich die Russin in der ersten Runde auch von einem 4:6, 2:4-Rückstand gegen Andrea Hlavackova nicht irritieren, sie gewann noch 4:6, 7:6 (5), 6:4 und spekulierte erfreut, "das wäre mir in den vergangenen Jahren vermutlich nicht gelungen".

Serena Williams, nur ein Jahr jünger ist als Hingis, sieht neben den Ergebnissen weitere Zeichen des Erfolges: "Die beiden bilden ein gutes Team. Sie haben in jedem Fall eine Menge Spaß zusammen, man sieht sie ständig miteinander kichern und laut lachen." Auf dem Platz wirke Pawljutschenkowa wie befreit. Das komme auch daher, "dass sie eine gute Zuhörerin ist", findet Hingis, "deshalb lernt sie schnell".

Das helfe auch ihr, "weil ich mich als Trainerin daran gewöhnen muss, dass der Spieler die Sachen selbst in der Hand hat und die Entscheidungen treffen kann - und treffen muss; als Trainer kann man nur versuchen, alles so gut wie möglich vorzubereiten". Wenn man nicht gerade während des Spiels eingreifen kann.

So wie es sich für eine wahre Strategin gehört, ist Hingis ein großer Fan des "On-Court-Coachings", denn auf der normalen Tour kann man zwischen den Sätzen auf dem Platz mit den Spielerinnen reden, wie es beim Fed Cup oder Davis Cup seit jeher Usus ist. "Ich finde diese Idee gut", sagt Hingis, "weil es den Spielerinnen die Möglichkeit gibt, sich zu besinnen, beraten zu lassen und strategische Änderungen vorzunehmen."

In Paris wird man Hingis während der Spiele dennoch nicht neben ihrer Schülerin auf dem Platz erleben können, denn bei Grand Slams ist diese Art des Coachings nicht gestattet. Martina Hingis weiß das so gut wie nur Wenige. Als sie 1999 heulend von ihrer Mutter/Trainerin auf den Platz eskortiert wurde, war das nach der Finalniederlage gegen Steffi Graf. Ohne Mélanie Molitor wäre die kreuzunglückliche Hingis der Siegerehrung ferngeblieben.

Anastasia Pawljutschenkowas war damals sieben. Die beiden Finalistinnen waren ihre Idole, und es muss zu jener Zeit gewesen sein, dass die kleine Anastasia stundenlang Bälle gegen die Hauswand schlug und anschließend ihrer Mutter stolz verkündete: "Ich habe gegen Martina Hingis gewonnen. Und gegen Steffi Graf."

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