Mario Mandzukic beim FC Bayern:Der Fremde

Eintracht Braunschweig v FC Bayern Muenchen - Bundesliga

Er schießt Tore in schöner Regelmäßigkeit: Mario Mandzukic.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Mario Mandzukic ringt nach zwei Jahren beim FC Bayern München immer noch um Anerkennung. Nun könnte der Kroate Torschützenkönig der Bundesliga werden. Wenn da nicht einer wäre, der genauso stolz ist wie er: Sein Trainer Pep Guardiola.

Von Benedikt Warmbrunn

Ein paar Stunden, bevor die Welt endgültig aufhörte, ihren Bruder zu verstehen, fing Ivana Maslov an zu weinen. Auf den Nachrichtenkanälen liefen die Bilder zur Freilassung von Ante Gotovina, dem kroatischen General, in erster Instanz vom Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verurteilt zu 24 Jahren Gefängnis. Ivana Maslov musste noch mal an alles denken, an die Fliegeralarme, die Nächte in den Bunkern, die Flucht, die Jahre in der Fremde.

Ein paar Stunden später liefen über die Nachrichtenkanäle die Bilder ihres Bruders. Er weinte nicht. Er jubelte. Legte die rechte Hand an die Stirn, streckte den Arm weit von sich. Und die Welt hörte auf, Mario Mandzukic zu verstehen.

33 Tore hat Mandzukic in der Bundesliga in zwei Jahren für den FC Bayern erzielt. Ein weiterer Treffer an diesem Samstag gegen Stuttgart, und er könnte die sogenannte Torjägerkanone gewinnen, als bester Schütze der Liga. Es wäre die Auszeichnung für einen Stürmer, der stolz ist, der so sehr um Anerkennung ringt. Es ist ein Ringen, in dem er rätselhaft geblieben ist.

Ivana Maslov kennt das Bild der Öffentlichkeit von ihrem Bruder, sie hasst es. Weil es sie entsetzt. Kantiger Kämpfer. Bockiger Unruhestifter. Vor allem: ihr jüngerer Bruder als ein Nationalist.

Seit dem Tag im November 2012, an dem Mandzukic nach einem Tor den General Gotovina grüßte, spricht er nicht mehr in der Öffentlichkeit, Interviewanfragen lehnt er ab. "Er hat eine andere Seite gezeigt, er war emotional", sagt Maslov, "und er wurde dafür bestraft." Sie erzählt, dass dieser Tag ein berührender für die Familie war, Gotovina ist für sie wie für viele Kroaten eine Symbolfigur der Unabhängigkeit. 1995 hatte er serbische Milizen aus dem kroatischen Krajina vertrieben. Später wurde er verurteilt, weil 300 von ihnen starben.

"Dass Mario über diese Freilassung gejubelt hat, das war spontan, er ist seinen Gefühlen gefolgt", sagt seine Schwester, "gedacht hat er dabei nichts." Wie Mandzukic selbst, so sagt auch seine Schwester, dass er "politisch uninteressiert" sei. Doch nach dem Jubel war er, sagt Ivana Maslov, nur noch "der Krieger". Ein Krieger, der sich zurückzog. Weil er sich schutzlos fühlte.

Die Geschichte von Mandzukic ist voller Konflikte. Von dem der Völker. Von dem mit der Sprache, der Fremde, der Heimatlosigkeit. Von dem Konflikt mit dem bedrohlichen Gefühl, ständig ausgeliefert zu sein.

Er spielte Fußball, und alle achteten ihn

Als er sechs Jahre alt war, floh er mit seiner Familie aus Slavonski Brod in Nordkroatien. Dort wütete der Balkan-Konflikt, seine vier Jahre ältere Schwester erzählt von Monaten der Angst vor Granateneinschlägen, vom ständigen Hall der Schüsse, von den Nächten in den Kellern. Der Vater, ein Montagehelfer, flüchtete mit seiner Familie. Nach Ditzingen, Landkreis Ludwigsburg, nordwestlich von Stuttgart. Erstmals erlebte Mario Mandzukic, wie es ist, wenn ihn keiner versteht.

In der Schule lachten ihn die anderen Kinder aus, weil er kein Deutsch sprach. Mittags kam er weinend nach Hause. Schutzlos, ausgeliefert. Und spielte Fußball. Lachte wieder. "Auf dem Platz ist er ein Draufgänger geworden, einer, der sich in Duellen Kraft holt", sagt Ivana Maslov, die wieder in Ditzingen wohnt, "privat braucht er dafür seine Ruhe." Sie beschreibt ihren Bruder als "ruhigen, langweiligen Typen". Als einen, der sich erst öffnet, wenn er sich geborgen fühlt. "Wenn er Anerkennung bekommt, hilft ihm das, mehr aus sich herauszukommen."

Erst lobte Guardiola den Stürmer. Dann wechselte er fast kein Wort mehr mit ihm

Mandzukic hat sich daran gewöhnt, um diese Anerkennung kämpfen zu müssen. 1996 musste die Familie zurück nach Kroatien - wieder lachten ihn die anderen Kinder aus, weil nun sein Kroatisch fehlerhaft war. Er spielte Fußball. Und alle achteten ihn. Er zog als 19-Jähriger nach Zagreb, war alleine. Er spielte Fußball. Und alle achteten ihn. Er zog nach Wolfsburg, wurde unterschätzt, zog nach München, wurde Champions-League-Sieger. Ein sehr erfolgreicher eigenwilliger, langweiliger Typ.

Dann lernte er Pep Guardiola kennen.

Guardiola, der stolze Katalane, kam nach München mit der Idee, dass ein Team am besten Fußball spielt, wenn möglichst viele wendige Spieler auf dem Platz stehen. Ein Stürmer wartet in dieser Idee nicht im Strafraum auf Zuspiele, er weicht auf die Seiten aus, ins Mittelfeld, ist eine weitere verschiebbare Anspielstation. Im Juli sagte der neue Trainer zu Mandzukic, dass er unter Jupp Heynckes eine sensationelle Saison gespielt habe. Dass er aber nicht wisse, ob er für ihn einen Platz finden werde. Mario Mandzukic, erzählt ein Vertrauter, war sauer, enttäuscht. In einem Testspiel jubelte er über ein Tor, indem er den Trainer beschimpfte.

Aber der fand auf einmal Gefallen an dem klaren, geraden Stil von Mandzukic. Er lobte ihn mehrfach, auch vor der Mannschaft; zum damaligen Präsidenten Uli Hoeneß und zum Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge soll er gesagt haben, wie dankbar er sei, dass er einen Spielertypen wie den kantigen Mandzukic kennen- und schätzen lernen durfte. Der Stürmer dankte mit Toren. Und wurde unsicher. Natürlich geht es um Anerkennung.

Mandzukic sei verwirrt, erzählt ein Vertrauter, weil er nicht wisse, wie Guardiola mit ihm plane. Über den Jahreswechsel habe der Trainer kaum mit ihm gesprochen. Auch nicht, als der Wechsel von Robert Lewandowski öffentlich wurde, dem Angreifer, der wie Mandzukic nach 33 Spieltagen 18 Tore erzielt hat. Mandzukic fühlte sich ausgeliefert, fand sich im System nicht mehr zurecht. Wollte er am Positionsspiel teilnehmen, stand er oft falsch. Wartete er im Strafraum, kamen keine Zuspiele, ihm fehlten die Flanken von Philipp Lahm, der meistens nicht mehr Rechtsverteidiger spielte. Ein bisschen verlor Mandzukic auch die Lust. Im Rückspiel im Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid fiel er nur auf, als er vor dem ersten Gegentor nicht mit Sergio Ramos mitlief.

Seit feststeht, dass Lewandowski nach München kommt, reden viele über Mandzukic' Zukunft. Rummenigge sprach davon, den Vertrag zu verlängern. Ein Angebot gab es nie, es sind auch keine Gespräche geplant, der Vertrag läuft ja bis 2016. Der einzige, der etwas zu seiner Zukunft sagen könnte, redet nicht. Mandzukic selbst.

Ivana Maslov sagt, sie wisse nicht, was ihr Bruder nach der WM machen werde, sie hofft, dass er in München bleibt. "Ich denke, dass er dort spielen wird, wo er findet, dass sie ihn am meisten achten." Ihn, den eigenwilligen, langweiligen Typen.

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