Marko Marin verlässt Bremen:Die Sonne wird schwächer

Früher überraschte Werder die Gegner, heute überrascht der Klub immer öfter sich selbst. Von Marko Marins Wechsel zum FC Chelsea erfährt auch Tim Wiese nur von Reportern. Der Verein ist mittlerweile im Verkaufen wohl endgültig besser als im Einkaufen. Viele weitere Leistungsträger sind auf dem Absprung - zudem droht ein weiteres Jahr ohne internationalen Wettbewerb.

Boris Herrmann, Wolfsburg

Tim Wiese kann, wenn er gerade in Laune ist, wirklich ganz vorzüglich schimpfen. Am Samstag, so gegen halb sechs, war er in Laune. "Einfach zu dumm", habe sich seine Mannschaft, die gegenwärtig noch SV Werder Bremen heißt, mal wieder angestellt. Kein Wunder, fand der Torhüter, dass sie deshalb auch das achte Spiel in Serie nicht gewinnen konnte. Diesmal hatten die Bremer 1:3 beim Mittelklasseklub VfL Wolfsburg verloren.

Und das Minimalziel dieser Saison, die Qualifikation für die Europa League, verloren sie damit nach wieseschem Ermessen auch gleich noch mit. Der Mann grummelte der schlechtesten Rückrunde der Vereinsgeschichte dann noch allerlei mies Gelauntes hinterher, bevor er zu einer bedrückenden Gesamtbilanz seines siebenjährigen Engagements im Kasten des SV Werder ansetzte: "Gefühlte 200 Gegentore nach eigenen Standards" habe er in dieser Zeit aus dem Netz fischen müssen.

Wenn die Gefühlsrechnung stimmt, dann ereignete sich das 200. dieser Tore am Samstag in Wolfsburg. Dort hätten auch gut und gerne noch das 201. bis 205. dazu kommen können. Wieses Vorderleute hatten sich ja nicht nur zwischen einem verunglückten Freistoßversuch von Naldo und dem 1:2 durch Wolfsburgs Doppeltorschützen Patrick Helmes aufs Jämmerlichste auskontern lassen. Sie gerieten hinten fast immer in Gefahr, nachdem sie vorne eine Ecke oder einen Freistoß ausgeführt hatten.

Schlaue Köpfe behaupten, es gebe im modernen Fußball kein Umschaltspiel mehr, weil die Unterscheidung zwischen Offensive und Defensive überholt sei. Die Bremer aber müssen das mit der Abschaffung des Umschaltspiels irgendwie falsch verstanden haben. Wiese war nicht ganz von Ungefähr in bester Schimpflaune.

Wahrscheinlich würde er immer noch im Wolfsburger Stadionkeller stehen und sein Leid beklagen, hätte ihn nicht ein Reporter irgendwann auf Marko Marin angesprochen. Wann er denn von dessen Wechsel zum FC Chelsea erfahren habe, wurde Wiese gefragt. "Was? Der ist nach Chelsea gewechselt?", entgegnete er mit authentischer Verwunderung. "Ich dachte, der wurde operiert."

Überraschen kann der SV Werder also noch. Früher überraschte er allerdings die Gegner, heute überrascht er immer öfter sich selbst. Wiese war dann sehr schnell zu Nachforschungszwecken in der Kabine verschwunden. Marin dürfte er da nicht angetroffen haben. Der war nicht dabei in Wolfsburg. Und er wird wohl auch beim letzten Heimspiel gegen Schalke nicht mehr auflaufen, die Muskeln zwicken. Der 23-Jährige hat angeblich einen Fünfjahresvertrag in London unterschrieben. Er lässt ausrichten: "Chelsea ist mein Traumverein."

Marins durchwachsene Ära

Zu sagen, dass damit bei Werder eine Ära endet, wäre gewiss übertrieben. Die Ära Marin hat - entgegen der Erwartungen - nie so recht begonnen. Manager Klaus Allofs hatte den Dribbler 2009 für 8,5 Millionen Euro von Borussia Mönchengladbach geholt. Dass er ihn nun nach drei durchwachsenen Jahren (in denen Marin auch seinen Platz in der Nationalelf verlor) für geschätzte 7 bis 8 Millionen wieder loswird, ist zunächst einmal ein Zeugnis hanseatischer Handelskunst.

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Marin im vergangenen Herbst: Auf dem Weg zum "Traumverein"

(Foto: AFP)

Sollte Werder im Gegenzug auch noch, wie kolportiert wird, das belgische Sturmtalent Romelu Lukaku, 18, vom FC Chelsea erhalten, könnte sich der Deal erst recht gelohnt haben. Trotzdem blieb von diesem Tag in Wolfsburg ein seltsames Gefühl zurück. Das Gefühl nämlich, dass Werder Bremen im Verkaufen endgültig besser ist als im Einkaufen.

Allofs versicherte zwar mit gewohnter Unaufgeregtheit: "Es ist noch jede Menge Tafelsilber da." Das muss man derzeit aber schon ziemlich genau suchen. Neben Marin wird auch der Nationaltürhüter Wiese definitiv gehen. Dass der bei seinem möglichen neuen Arbeitgeber 1899 Hoffenheim gar nicht willkommen ist ("Koan Wiese"), hält ihn offenbar nicht davon ab, das Weite zu suchen.

Wenig Lust auf Werder haben zuletzt auch Angreifer Claudio Pizarro sowie die Innenverteidiger Sokratis und Naldo bekundet. Ungewiss ist ferner die Zukunft von Defensivmann Prödl sowie die von Angreifer Rosenberg.

Wir haben über all die Jahre Spieler abgegeben, das ist keine neue Situation", beschwichtigt Thomas Schaaf. Neu in seiner ewigen Trainerzeit wäre allerdings, wenn Bremen zum zweiten Mal hintereinander nicht europäisch spielte. Das würde die Fahndung nach neuem Tafelsilber erheblich erschweren. Zumal Allofs berichtete, man habe intern beschlossen, sich keinen so teuren Kader mehr zu leisten, falls das Klassenziel Europa League tatsächlich verfehlt werden würde.

Der Glanz der Marke Werder strahlte im vergangenen Jahrzehnt weit über Bremen hinaus. "Die Sonne wird immer schwächer", hat am Samstagabend einer eingeräumt, der es wissen muss. Sein Name: Klaus Allofs.

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