Marco Reus:Mann ohne Eigenschaften

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Marco Reus muss 540 000 Euro Strafe zahlen, weil er jahrelang ohne Führerschein gefahren ist. (Foto: dpa)

Marco Reus gilt nicht als der Typ Fußball-Schnösel, dem man Fahren ohne Führerschein zugetraut hätte. Bei seinem Klub Borussia Dortmund heißt es, der introvertierte Nationalspieler habe eine Scheu vor Prüfungen und Endspielen. Wer ist Reus wirklich? Eine Annäherung.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Blättert man durch die Internet-Seite der Spieleragenten von Marco Reus, dann könnte man auf die Idee kommen, dass die Welt einem Spieler nichts mehr anhaben kann, der bei SportsTotal gelandet ist. Wie eine Broschüre, irgendwo zwischen Elite-Internat, evangelischem Kirchentag und den Versprechungen der Vermögensberatung einer Bank liest sich das Selbstporträt der Firma: "Hand in Hand mit den Klubs und der Familie wird die schulische Ausbildung forciert, bei Schwierigkeiten helfen unsere Fachleute immer gerne, wir arbeiten nach den Grundsätzen Fingerspitzengefühl, Sensibilität und Leidenschaft."

Irgendetwas muss da aber trotzdem falsch gelaufen sein.

Reus ist seit acht Jahren, seit seinem 17. Lebensjahr, in den helfenden Händen von Dirk Hebel, einem der beiden Kompagnons von SportsTotal. Sechs Jahre davon war er offenbar ohne Führerschein unterwegs, zeitweise obendrein mit einem gefälschten niederländischen Führerschein, wie zumindest der WDR von der Staatsanwaltschaft Dortmund erfahren haben will; das falsche Dokument soll sich Reus in seiner Gladbacher Zeit besorgt haben.

Vor seiner finalen Fahrt in seinem Aston Martin - jener Marke, mit der James Bond auch oft unterwegs ist - hatte man "Rolls Reus" (so sein Spitzname in England) fünfmal wegen zu hoher Geschwindigkeit geblitzt. Beim sechsten Mal war es eine banale Verkehrskontrolle, in die er im März auf dem Dortmunder Südwall geriet.

Die Justiz hat jetzt also diese Rechnung aufgemacht: 90 Tagessätze, anzurechnen auf das Nettogehalt des Fußballprofis, ergibt die eindrucksvolle Rekordstrafe von 540 000 Euro. Reus' Bruttogehalt bei Borussia liegt bei knapp drei Millionen Euro, dazu kommen Werbeeinnahmen. Reus und sein Berater Dirk Hebel, den Reus bisweilen als "besten Freund" bezeichnet, sind abgetaucht und nicht zu sprechen. Borussia Dortmunds Öffentlichkeitsarbeiter sollen darauf gedrängt haben - nicht zuletzt, weil gerade Hebel in letzter Zeit durch scheinbar humorig gemeinte, aber nicht immer geschickte Statements via Facebook eher für Irritationen gesorgt hatte als für eine kluge Imagearbeit.

Schon bevor die Nachricht "Fahren ohne Führerschein" in die Landschaft platzte, stand der 25-Jährige im Mittelpunkt von unendlichen Spekulationen, monatelang. Verlässt er Dortmund? Geht er zu den Bayern? Oder doch nicht, geht er eher zu Real Madrid oder nach Barcelona? Seine Berater haben das Süppchen köcheln und den Druck auf ihren Schützling ansteigen lassen. Ganz nebenbei hat sich Reus in den vergangenen sieben Monaten dreimal schwer verletzt, was ihn die Teilnahme an der WM und jetzt auch den größten Teil der prekären Hinrunde beim BVB kostete.

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BVB-Boss Watzke meint, Marco Reus ist zu prominent, um eine Fahrschule zu besuchen. Ein Fahrlehrer, bei dem schon Fußballprofis das Fahren lernten, widerspricht vehement. Und er erklärt, was Reus neben der Strafe von 540 000 Euro noch blüht.

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Man hört gerade überall die Frage: Was ist schon eine halbe Million Euro für einen, der drei Millionen im Jahr verdient? Typisch sei der Führerschein-Eklat: verhätschelte Jung-Millionäre halt, die glauben, dass ihnen die Welt gehört.

Er spricht selten und mit ungeübter Stimme

Natürlich ist dies ein Teil der Geschichte, dabei ist Reus aus dem bürgerlichen Dortmunder Stadtteil Körne alles andere als ein Großkotz. Von ihm heißt es eher, er sei auf eine schüchterne Art bescheiden. Reus ist einer, der so verhaltensunauffällig ist, dass er unter dem Radar durchtaucht. Einer, den man nicht wirklich kennt, der nach Spielen entweder gar nicht spricht oder leise oder mit ungeübter Stimme. Was er sagt, klingt selten faszinierend, aber auch niemals dumm, niemals großsprecherisch - aber eben auch immer etwas unpersönlich.

Reus hat mehr Facebook-Freunde als sein früherer Kollege Mario Götze, der im selben Berater-Stall Kunde ist (wie auch Toni Kroos und Benedikt Höwedes). Erstaunlich, dass sich junge Menschen mit einem Mann ohne Eigenschaften im Internet offenbar besser identifizieren können als mit einem Star, der weltgewandt durch die Interviewzonen tingelt oder Interviews schnöselig verweigert. Reus ist everybody's darling bei denen, die schüchtern sind und die Unauffälligkeit suchen.

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Aus Dortmund hört man, es habe wirklich keiner gewusst, dass Reus jahrelang ohne Führerschein unterwegs war. Wie man überhaupt wenig von ihm weiß. Der Klub dosiert Interviews mit Reus, der ein höflicher, aber auffällig uninspirierter Gesprächspartner ist. Er gilt als introvertiert, fast eigenbrötlerisch, der BVB will ihn schützen vor zu großem Rummel. Kritik mache ihm sehr zu schaffen. Heißt es. Ob das stimmt, kann man ihn nicht fragen.

In Dortmund ist Reus direkter Nachbar von BVB-Kapitän Mats Hummels, beide wohnen am schicken Phoenixsee. Aber "schick" ist in Dortmund eben relativ. Vater Thomas Reus, früher Betriebsschlosser, aber seit den ersten Profi-Schritten des Sohnes bei RW Ahlen eher dessen hauptamtlicher Betreuer, gilt als bodenständig. Sohn Marco hat keine Model-Freundin wie die Mehrzahl seiner Arbeitskollegen. Die Realschule hat er leidlich zu Ende gebracht, die Ausbildung zum Industriekaufmann soll er abgebrochen haben, ebenso wie die Führerschein-Ausbildung.

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Manche in Dortmund sagen, dass Reus extreme Prüfungsangst zu schaffen mache. Natürlich hätte er ohne Weiteres seinen Führerschein machen können, aber Prüfungen seien ihm ein Graus. Vielleicht, so sagen es seine Vertrauten, könnte das auch erklären, dass er in seinen beiden Endspielen - dem Champions League-Finale 2013 und jenem um den DFB-Pokal 2014 - so schwach wie selten gespielt habe. Endspiel ist wie Prüfung.

Junge Männer, die sich für wenig anderes wirklich interessieren als für Ballspiele, schnelle Autos und HipHop, sind offenbar froh, wenn sie das Gefühl haben, jemand kümmert sich um alles, was sonst irgendwie zum Leben so dazugehört - jenseits des Fußballs. Die Naivität und der Realitätsverlust von jungen Fußballprofis sind das Geschäftsmodell der Beraterbranche. Dirk Hebel galt als einer der etwas besseren Berater, bisher jedenfalls.

Seit er 19 ist, fährt er ohne Führerschein

Jetzt kommt heraus, dass Reus in Dortmund mit seinen drei Millionen Gehalt unterbezahlt ist, falls man dieses Wort in diesem Zusammenhang benutzen darf; der BVB soll Reus seit einiger Zeit vergeblich einen neuen Vertrag mit mehr als acht Millionen Euro pro Jahr anbieten. Und es kommt auch heraus, dass der Berater Hebel vom Freund und Klienten Reus offenbar nicht viel mehr weiß als die Öffentlichkeit.

Der Verein hat beim Straßenverkehrsamt Dortmund inzwischen die Unterlagen für einen Führerschein-Antrag bestellt. Auch das wurde offenbar gleich an die Presse lanciert, ebenso wie Details der Anklageschrift den WDR erreicht haben. Fahren ohne Führerschein ist kein Spaß, vielleicht hätte das jemand dem jungen Mann mal sagen müssen. Gut möglich, dass der Erklärungsansatz von BVB-Boss Hans-Joachim Watzke zutrifft: dass Reus sich mit 19 entschlossen habe, ohne Führerschein zu fahren und dann keinen Ausweg mehr gefunden habe. Bei einem, der kraftstrotzende Statussymbole steuert, vermutet man nicht, dass er keinen Führerschein hat. Es wäre eine Blamage gewesen.

Die Einsamkeit, die hinter so einer Karriere als Phantom zu gähnen scheint, kann einen allerdings erschaudern lassen.

© SZ vom 20.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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