Marco Reus im DFB-Pokalfinale:Reus ist jetzt endlich ein Großer

Marco Reus im DFB-Pokalfinale: Marco Reus mit dem DFB-Pokal. Er hat ihn tatsächlich gewonnen. Trotz Verletzung.

Marco Reus mit dem DFB-Pokal. Er hat ihn tatsächlich gewonnen. Trotz Verletzung.

(Foto: Tobias Schwarz/AFP)
  • Das 2:1 von Borussia Dortmund im Pokalfinale gegen Frankfurt ist der erste große Titel für Marco Reus, der bis dahin nur zuschauen konnte, wenn Pokale vergeben wurden.
  • Dabei erlebt der Nationalspieler in Berlin zunächst große Tragik.
  • Dass er sich erneut verletzt, kann er aber letztlich verkraften.

Von Christopher Gerards, Berlin

Hatte das Schicksal da nicht ein bisschen zu dick aufgetragen? Hatte diese Szene gerade wirklich so stattgefunden? Das konnte eigentlich gar nicht sein, weil: So zynisch lässt sich eine Fußballer-Karriere doch gar nicht verdichten. Es war aber so.

Die achte Minute im Pokalfinale am Samstagabend. Marco Reus kommt an der Mittellinie an den Ball, er schaut, er entdeckt Lukas Piszczek auf der rechten Seite, er passt diagonal, dann läuft er nach vorne. Piszczek spielt den Ball steil auf Dembélé, doch ehe der den Ball überhaupt angenommen hat, fällt Marco Reus auf dem Weg in den Strafraum plötzlich zu Boden. Dembélé schlägt einen Haken, schießt, trifft, jubelt. Und ein paar Meter weiter liegt Reus am Boden. Kurz darauf, mit der Halbzeitpause, ist sein Spiel vorbei.

Der BVB schießt in einem Finale ein Tor, das 1:0 gegen Frankfurt. Und Marco Reus verletzt sich in genau dieser Szene. Wie viel Pech passt eigentlich in ein Sportlerleben?

Er werde notfalls auch mit einem Bein spielen, hatte Reus ja vor dem Pokalfinale gesagt, nur für den Fall, dass ihn kurzfristig wieder irgendein Schmerz ereilen sollte. Hat er dann aber doch nicht gemacht - als ein Bein (bzw. ein Knie) streikte, war die Partie für ihn dann doch vorbei. Wieder mal. "Es war der gesunde Menschenverstand, der mir letztlich gesagt hat, dass es nicht mehr geht", meinte Reus. Also ließ er sich auswechseln. Später meinte er, er habe "vielleicht ein bisschen Kreuzband", wobei die genaue Diagnose tags darauf laut Bild-Zeitung ergab: Teilriss des Kreuzbandes im rechten Knie.

Der beste titellose Fußballer der Republik

Marco Reus, 27, hat in seiner Karriere oft ein unterkühltes Verhältnis zum Glück und zum Timing gepflegt, er war bis zum Samstag der wahrscheinlich beste titellose Fußballer der Republik. Wann immer sich die Chance auf einen Titel näherte, kam ihm irgendein Syndesmosebandanriss, Sonstnochwasbruch oder ein hundsgemein guter Gegner wie der FC Bayern dazwischen. Das war so vor der WM 2014, vor der EM 2016 oder halt bei diversen Endspielen in Pokal und Champions League. Reus war einer der wenigen Spieler, die dreimal hintereinander im Finale nicht den DFB-Pokal hatten gewinnen können. Nun also dieses Endspiel 2017 in Berlin. Und wieder eine Verletzung.

Andererseits war es ja so: Reus hatte, live und in Farbe, bei einem Finale auf dem Platz gestanden und dieses gewonnen. Er war 45 Minuten lang gerannt, hatte gedribbelt, ein Mal hatte er auch sehr ernsthaft aufs Tor geschossen. Er war, als Dortmund nach dem 2:1-Sieg gegen Frankfurt den Siegerpokal erhielt, eine Halbzeit lang auf dem Platz gewesen, und praktischerweise ist der moderne Fußball dann doch noch nicht so weit, dass es dafür nur einen halben Titel gibt.

Genau so wenig, wie es - nur als Beispiel - für Erik Durm einen Vierzehn-Minuten-Titel gibt. Marco Reus hat also einen Titel gewonnen, endlich. Er ist Pokalsieger, und wer wissen wollte, wie er sich fühlte, traurig oder glücklich, der musste ihm nur nach dem Abpfiff zusehen. Er riss die Arme hoch, er hüpfte (wenn auch sehr unrund), er lächelte. Und später reckte er bei der Siegerzeremonie als zweiter Dortmunder den Pokal in die Berliner Nacht, nach Kapitän Marcel Schmelzer.

Wann ist jemand "ein Großer"?

Die Geschichte von Marco Reus handelt einerseits von Glück und von Pech, aber sie handelt auch von etwas anderem: von der deutschen Obsession mit Titeln. Wann ist ein Fußballer eigentlich "ein Großer", wie das in der Branchensprache heißt? Implizit wabert diese Bezeichnung ja bei allem mit, was man über die Lebensleistung von Fußballern sagt: dass nur derjenige etwas auf sich halten darf, der auch Titel gewonnen hat - nach Möglichkeit mehrere und nach Möglichkeit auch internationale. Michael Ballack, in seiner aktiven Zeit unbestritten ein verdienter Profi, musste sich lange anhören, ein ewiger Zweiter zu sein, deutscher Meister zwar, Pokalsieger, aber nie: Weltmeister, Europameister oder Champions-League-Sieger.

Auch Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger haben sich trotz ihrer Leistungen lange vorwerfen lassen müssen, dass ihnen eine Siegermentalität fehle, wobei nie ganz klar war, was das eigentlich sein soll. 2013 jedenfalls dann gewannen Lahm und Schweinsteiger die Champions League, 2014 den WM-Titel. Und Reus? "Ich muss nicht viele Titel gewinnen, um glücklich zu sein", sagte er. Und fügte dann doch an: "So ist es natürlich besser. Ich freue mich unmenschlich."

Der DFB-Pokal ist kein WM-Titel, aber mal abgesehen davon, dass er schon recht hübsch aussieht, macht er sich gut in jeder Personalakte. Als er auf dem Bankett über Reus' nun vergangene Titel-Absenz sprach, sagte Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke: "Das hast du jetzt überwunden, das ist auch dein Titel. Als echter Dortmunder muss es für dich besonderer Tag sein. Herzlichen Glückwunsch."

Und wenn man so will, hatte Reus' Verletzung zumindest in der kurzen Frist etwas Positives, wenigstens ein ganz kleines bisschen. Thomas Tuchel berichtete nach dem Spiel jedenfalls davon, wie "tieftraurig" Reus in der Halbzeit gewesen sei. Auch der verletzte Julian Weigl sei in der Kabine gewesen, und so habe das Team sich vorgenommen, auch für Weigl und Reus zu spielen. Spätestens Anfang der Woche wird Reus dann nach einer genauen Untersuchung wissen, welche Verletzung ihn diesmal plagt. Aber das Praktische ist: Für den Confed Cup, das WM-Vorbereitungsturnier der Nationalmannschaft in Russland, war er ohnehin nicht nominiert worden. Er verpasst diesmal also nichts. Und kann einfach Urlaub machen - sechs bis acht Wochen fällt er wegen seines lädierten Kreuzbandes ohnehin aus.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: