Manuel Neuer im Gespräch:"Ich habe nur diese eine Karriere"

Nationaltorwart Manuel Neuer über seine Jugend als Extremfan, den schmerzhaften Abschied von Schalke 04, die Gründe für seinen Wechsel und die neue Ära als Torwart des FC Bayern.

Moritz Kielbassa und Christof Kneer

SZ: Herr Neuer, fürchten Sie schon um Ihren Stammplatz bei der EM 2012?

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"Ich komm' ja aus der Kurve. Ich habe ein Auge für Banner und ein Ohr für Gesänge oder Rufe": Bayern-Torwart Manuel Neuer.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Neuer: Nein, warum?

SZ: Na, wegen der Rückkehr von Jens Lehmann, den der FC Schalke als zweiten Torwart neben Ralf Fährmann zu verpflichten plant.

Neuer: Ach so, nein, Jens wird mir meinen Platz schon lassen. Aber es ist auf jeden Fall interessant zu hören, welche Gedankenspiele es auf Schalke gibt.

SZ: Das müsste doch eine Schlagzeile nach Ihrem Geschmack sein: Lehmann wird Nachfolger von Neuer!

Neuer: Ich glaube nicht, dass es so kommt, und ganz ehrlich: Ich glaube, das kann auch nicht mehr funktionieren. Aber lustig wäre das schon, wenn mein Vorbild mein Nachfolger wird.

SZ: Sie haben sich ja schon immer an Jens Lehmann orientiert.

Neuer: An ihm und an Edwin van der Sar, das waren meine zwei Idole. Beide haben einen Torwart-Stil, an dem ich mich orientierte, offensiv und mitspielend. Aber natürlich war der Jens mir immer näher als van der Sar, als Schalke-Fan habe ich mich ihm besonders verbunden gefühlt. Als Jugendlicher bin ich extra früher ins Stadion, ich wollte sein Aufwärmen und seine Übungen sehen.

SZ: Ihre Vergangenheit als Schalke-Fan wurde zuletzt vermutlich mehr thematisiert, als Ihnen lieb war.

Neuer: Das kann man sagen.

SZ: Sie wurden von den Ultras des FC Bayern, zu dem Sie nun wechseln, als Schalke-Ultra beschimpft: Was bedeutet "Ultra" eigentlich für Sie?

Neuer: Ultra heißt "extrem".

SZ: Ein extremer Fan?

Neuer: Kann man so sagen. Bei mir muss man einfach meine Geschichte sehen: Ich komme ja nicht aus Gelsenkirchen, sondern aus Gelsenkirchen-Buer.

SZ: Darauf legen Sie Wert.

Neuer: Ja, das ist das Monaco von Gelsenkirchen. Das glauben nur leider viele nicht, die nicht aus Buer stammen.

"Ich habe Rücksicht genommen"

SZ: Und in Buer wird man quasi automatisch zum Ultra? Sie trugen ja auch als Profi lange ein Hemd mit der Aufschrift "Buerschenschaft" unter Ihrem Trikot.

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"Ich weiß nicht, ob es richtig ist, immer so loyal zu sein": Nationaltorhüter Manuel Neuer.

(Foto: dpa)

Neuer: Die Buerschenschaft hat nichts mit dem Klub Schalke zu tun, das ist ein Freundeskreis mit vielen begeisterten Schalke-Fans. Wir sind immer gemeinsam zu Spielen gefahren. Das T-Shirt trage ich übrigens schon länger nicht mehr, ich hab darin zu sehr geschwitzt.

SZ: Trotzdem nehmen Ihnen radikale Bayern-Fans dieses Jugendkapitel übel.

Neuer: Ich kann mit 16 Jahren doch nicht wissen, wie ich mich als Fußballer entwickle, ob ich mal Profi oder vielleicht sogar Nationalspieler werde.

SZ: Ob Sie also mal eine Entscheidung im Sinne der Karriere treffen müssen.

Neuer: Genau. Ich kann als 16-Jähriger schlecht sagen: Ich höre jetzt auf, mich in die Fankurve zu stellen, weil in sieben oder acht Jahren vielleicht mal ein Vereinswechsel ansteht. Ich hätte all meine Freunde verloren, wenn ich mit 16 aufgehört hätte, Schalke-Fan zu sein.

SZ: Im Winter hat die Bundesliga noch heftig über Söldner diskutiert...

Neuer: ...und mir hat man meine jahrelange Treue zu Schalke vorgeworfen. Ich habe das schon als komisch empfunden.

SZ: Was haben Sie aus der ganzen Geschichte gelernt?

Neuer: Dass man manchmal besser seinen Mund halten sollte. Es ist anscheinend nicht immer richtig, wenn man als Spieler zu allen ehrlich ist. Ich habe schon im März Felix Magath (früherer Schalke-Trainer, d. Red.) Bescheid gesagt, dass ich meinen Vertrag nicht verlängern will. Es war abgestimmt, dass wir nach dem Valencia-Spiel bekannt geben, dass ich den Verein verlassen möchte. Das wäre eine klare Aussage gewesen, ich glaube, dass mein Abschied dann anders verlaufen wäre.

SZ: Aber?

Neuer: Ich habe Rücksicht genommen. Ich merkte, dass bei uns ein Trainerwechsel ansteht, da wollte ich nicht noch mehr Unruhe reinbringen. Ich habe abgewartet, wie die Positionen besetzt werden, und dann mit Manager Horst Heldt und dem neuen Trainer Ralf Rangnick gesprochen. Das lief wieder offen und ehrlich.

SZ: Aber der richtige Zeitpunkt war verpasst, es wurde eine Hängepartie.

Neuer: Ich hab schon gelitten in dieser Zeit. Ich weiß nicht, ob es richtig ist, immer so loyal zu sein. Vielleicht muss ich künftig mehr an mich denken. Aber ich kann in den Spiegel schauen und sagen, dass ich mir nichts vorzuwerfen habe.

SZ: Worunter litten Sie am meisten?

Neuer: Dass ich mich nicht richtig verabschieden konnte. Nicht mal auf der eigenen Siegesfeier nach dem Pokalfinale, erst recht nicht am Tag danach beim Autokorso. Der Verein hat sich Zeit gelassen, ich verstehe ja die Interessen des Klubs, aber es wäre vielleicht nicht verkehrt gewesen, wenn ich wenigstens intern eine kleine Abschiedsfeier hätte machen können, im Kreise der Mannschaft.

SZ: Beim Bankett nach dem Pokalsieg sah man, wie Vereinschef Clemens Tönnies mit Ihnen mitten in der Nacht an der Spree stand und auf Sie einredete. Ganz ehrlich: Hat diese letzte Schalker Offensive Sie noch mal schwanken lassen?

Neuer: Nein. Es ging da nochmal ums Geld, dass ich noch mehr verdienen könnte auf Schalke, aber das war für mich nicht wichtig. Geld ist kein Kriterium bei meinem Wechsel. Es geht um meine persönliche Weiterentwicklung und um den sportlichen Erfolg. Bayern ist einfach der beste Verein in Deutschland, deshalb wechsle ich dorthin. Es geht um meine Karriere, ich habe nur diese eine.

"Ich komm' ja aus der Kurve"

SZ: Sie mussten während dieser Debatte gleich zweimal in München spielen. Beim ersten Mal gab's Koan-Neuer-Plakate und viele Pfiffe, beim zweiten wiederum wurden die Pfeifenden von wohlmeinenden Bayern-Fans ausgepfiffen. Bekommt man das als Spieler alles mit?

Neuer: Viele Sportler reden ja immer vom Tunnelblick, und dass man nichts mitkriegt. Aber das stimmt nicht. Man kriegt alles mit, und ich erst recht.

SZ: Warum Sie erst recht?

Neuer: Ich komm' ja aus der Kurve. Ich habe ein Auge für Banner und ein Ohr für Gesänge oder Rufe. Ich habe früher ja auch gerufen oder Banner hochgehalten, ich interessiere mich für das alles.

SZ: Haben diese Reaktionen Ihren Wechsel nach München gefährdet?

Neuer: Die Reaktionen waren zu diesem Zeitpunkt kein Problem. Ich habe das Schalker Trikot getragen, als Kapitän. Wenn die Fans der anderen Mannschaft mich beleidigen, muss ich das ertragen, schlimm wäre es, wenn es aus der eigenen Familie kommt. Mit Bayern-Fanklubs planen wir bald mal einen runden Tisch, um sich besser kennenzulernen.

SZ: Eine Schalker Ultragruppe hat Ihnen die Mitgliedschaft entzogen. Verstehen Sie das? Wie würden Sie als junger Fan reagieren, wenn der Klubheld geht?

Neuer: Ich habe das ja erlebt, bei Lehmann. Der ist nach Mailand gewechselt und ein Jahr später sogar nach Dortmund, da war ich 13. Ich habe ihn nicht gehasst dafür. Ich habe mich nicht davon abbringen lassen, dass er mein Idol ist.

SZ: Ab sofort werden Sie ein Bayern-Idol sein. Vorstandschef Rummenigge sagt, dass Sie eine große Bayern-Tradition fortsetzen sollen. Sepp Maier und Oliver Kahn waren beide ewig lange die Nummer eins bei Bayern - und in der Nationalelf. Ist das auch Ihre Motivation?

Neuer: Ich habe nicht ohne Grund für fünf Jahre unterschrieben, das ist schon alles auf Langfristigkeit angelegt. Aber ich kann schlecht über mich selber sagen: Hallo, ich läute jetzt eine Ära ein!

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