Manipulationsvorwürfe im Snooker:Tricksereien am Tisch

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Was stimmt an O'Sullivans Vorwürfen?

(Foto: AFP)

Der Snooker-Weltmeister Ronnie O'Sullivan erhebt ebenso schwere wie schwammige Manipulationsvorwürfe gegen seine Kollegen und den Weltverband. O'Sullivan ist zwar nicht die glaubwürdigste Person, doch Sperren wegen Betrugs sind in seiner Sportart tatsächlich keine Seltenheit.

Von Boris Herrmann

Wenn man Ronnie O'Sullivan, 37, ernst nimmt, dann ist jetzt eigentlich ein britischer Nationalsport kaputt. Dann ist Snooker, diese überaus beliebte Variante des Billard, verseucht von Spielabsprachen, verkauft an Wettpaten, verraten von den eigenen Superhelden. Aber manch einer fragt sich im Moment natürlich: Kann man diesen O'Sullivan überhaupt ernst nehmen?

Diesen ebenso durchgeknallten wie begabten Szene-Künstler, der schon fast so viele Entziehungskuren wie Weltmeistertitel erlebt hat, dessen Vater mit Sexshops ein Vermögen machte und später wegen einer Messerstecherei lebenslang bekam, dessen Mutter wiederum wegen Steuerhinterziehung im Knast saß, der sich zwischenzeitlich fast ins Grab soff, der mal mit dem Islam, mal mit dem Buddhismus sympathisierte, um später zu erklären, er fühle sich bei keiner Religion gut aufgehoben, der in der vergangenen Saison lieber auf einer Schweinefarm jobbte als zu trainieren, nur um im Mai im berühmten Crucible-Theater von Sheffield in aufreizender Lässigkeit seinen fünften WM-Titel zu gewinnen?

Die Erfahrung zeigt sehr wohl, dass man nicht alles ernst nehmen muss, was Ronnie O'Sullivan sagt und tut. Andererseits ist es auch nicht einfach, sein Wort zu ignorieren, jedenfalls nicht in jener seltsamen Welt, die sich um einen grünen Filztisch mit allerlei bunten Kugeln dreht. Ronnie O'Sullivan ist und bleibt eine der wichtigsten Figuren in dieser Welt, für die sich zumindest in Großbritannien und in Fernost Millionen begeistern und die auch hierzulande immer mehr Anhänger findet. Eher beiläufig, im gleichen Stil, in dem er neulich in Sheffield triumphierte, hat er am Dienstag ein paar Kurznachrichten gezwitschert, die seine Welt noch eine Weile beschäftigen werden.

Kurz zuvor war sein Snooker-Kollege Stephen Lee, 38, vom Weltverband WPBSA verurteilt worden, Spiele absichtlich verloren zu haben. O'Sullivan kommentierte das so: "Ich habe gehört, dass noch viel mehr Spieler Snooker-Partien verschieben... Ich denke, Steve Lee ist bloß ein Bauernopfer." Wenig später schrieb er: "Sie werden mich wohl bestrafen dafür...Sie wollen nicht, dass man sowas macht...Sie wollen die Sache unter den Teppich kehren." Das ergänzt die Behauptung, es werde branchenweit manipuliert um den sportpolitischen Vorwurf, der Weltverband sei aber vor allem mit der Vertuschung dieser Korruption beschäftigt.

Sperren und hohe Geldstrafen

Das wiederum konnte der WPBSA-Chef Barry Hearn nicht lange auf sich sitzen lassen. Zwar hat er O'Sullivan noch nicht bestraft, wohl aber scharf gerügt. Es sei nicht akzeptabel, dass jemand solche Anschuldigungen erhebe, ohne vorher den Verband darüber zu informieren. Das schade dem Sport extrem, ließ Hearn wissen. Weiterhin erklärte er auf der Webseite des Verbandes: "Wir nehmen die Art von Vorwürfen sehr ernst. Wir haben Ronnie angeschrieben und ihn gebeten, seine Kommentare zu erläutern und Namen von Spielern zu nennen, auf die er sich bezieht." Dem kann von Seiten der Anklage offenbar nicht entsprochen werden. Er habe keine konkreten Beweise, teilte O'Sullivan mit, um dann in seiner bewährten Kneipensportsprache zu stänkern: "Aber wie jeder, der in einem Büro arbeitet, haben die eine klare Vorstellung davon, wer wen pimpert."

Dass beim Snooker nicht nur unbescholtene Sportsleute am Werk sind, kann im Grunde keinen überraschen. Der viermalige Weltmeister John Higgins, 38, wurde 2010 für sechs Monate gesperrt und musste 75 000 Pfund Strafe bezahlen. Gerade wird auch gegen dessen schottischem Landsmann Ross Muir, 17, ermittelt. Bei den offenbar von Lee manipulierten Spielen der Jahre 2008 und 2009 standen unter anderem auch die Branchengrößen Stephen Hendry und Mark Selby am Tisch.

Doch selbst wenn man sich an die nüchternen Fakten hält, ist der Imageschaden wohl schon gravierend genug. Der soeben verurteilte Stephen Lee war immerhin einmal die Nummer Fünf der Weltrangliste. Laut Urteilsbegründung der Sportgerichtsbarkeit lief der Wettbetrug in seinem Fall über ein ausgeklügeltes Netzwerk, an dem sich ehemalige Sponsoren und Manager sowie Lees Ehefrau beteiligten.

Verdacht erregte bei den Ermittlern unter anderem die Tatsache, dass diese guten Bekannten unabhängig voneinander nahezu identische Wetten auf Lees Niederlagen platzierten. Sie bezogen sich auf das exakte Endergebnis, aber auch auf den Ausgang einzelner Sätze, sogenannter "Frames". Fünf der sieben verdächtigen Partien, zu denen auch ein Match von der WM 2009 gehört, verlor Lee dann tatsächlich. Bei den anderen beiden verlor er den ersten Frame. Lees Bekannte wetteten insgesamt 111 000 Pfund auf diese Spiele und gewannen dabei 97 000. Wie viel davon bei Lee landete, ist nicht bekannt. Wohl aber, dass mindestens in einem Fall die Hälfte des Wettgewinns auf das Konto von Lees Frau überwiesen wurde. Am Dienstag will die WPBSA über seine Strafe entscheiden.

Alles andere als eine lebenslange Sperre wäre für neutrale Beobachter eine Überraschung. Für Ronnie O'Sullivan wäre es vermutlich eine Bestätigung.

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